1. Reichstag, Weimarer Republik


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Einleitung zu den Sitzungen der 1. Legislaturperiode

(das gesamte, hier dargestellte Programm ist in Arbeit)
Einleitung zur 1. Legislaturperiode 1920 - 1924 Die Debattenauswahl beginnt mit der Reichstagssitzung (RT)Nr.17, vom 3.Aug.1920 über die Einwanderung von Ostjuden bzw. deren Abschiebung respektive Einlieferung in Lager. Zu Wort kommen nahezu alle Parteien des damaligen Reichstags. Die darauf folgende Sitzung (Nr.21, 20.Okt.1920) befasst sich vordergründig mit einem Antrag über Auslieferung bolschewistischer Spitzenfunktionäre der UDSSR. Im Kern aber geht es den Antragstellern um das Anreichern antisemitischer Agitation durch "Fakten", und besonders um die Diskreditierung der Republik, die solchen "jüdisch-bolschewistischen" Elementen die Einreise gestattet habe, damit das deutsche Volk nach dem Muster der russischen Revolution zu Grunde gerichtet würde. Ebenso geht es in der RT 32, vom 22.Nov.1920 um das Aufdecken antisemitischer Agitation im Reichstag.

Mit den Debatten (RT 45, 54,) kommt sodann ein weiteres Feld der konservativen und rechten Agitation: die Abwehr der Steuergesetzgebung zur Finanzierung des Nachkriegshaushaltes und der Erfüllung der alliierten Reparationsforderungen durch alle sozialen Schichten (Verteilungskampf um das Volkseinkommen). Die Kampagne gegen den Finanzminister Mathias Erzberger (RT 56,72,101) die im Sommer 1921mit dessen Ermordung endet (RT 134,136,137), der Mord am bayerischen Landtagsabgeordneten Karl Gareis (RT 116), wegen seines angeblichen Verrats illegaler Waffenlager an die Siegermächte, sowie die Ermordung des Außenministers Walter Rathenau am 24. Juni 1922 (RT 234, 235, 236) - stets verunglimpft als "Judenfürst"-, bilden den Spannungsbogen der Reden bis Herbst 1922. Der thematische Hintergrund zu diesen Morden bildet die Steuerpolitik des Finanzministers und späteren Reichskanzlers Wirth und seine mit Rathenau nach den Erfahrungen des "Londoner Ultimatums" (RT 103, 109,110) betriebene "Erfüllungspolitik".

In die erste Legislaturperiode fällt zudem der sogenannte Flaggenstreit (RT. 125). An ihm entzündete sich einmal mehr die Systemfrage: Monarchie oder Demokratie. Der Streit um die Flagge - hier speziell um die Handelsflagge (schwarz-weiß-rot mit schwarz-rot-goldener Gösch) führte in letzter Konsequenz zum Rücktritt der Regierung Luther (RT 206).

Ein besonderer Themenbereich war der Agrarsektor. Die Debatten (RT 145 und RT 173) zeugen von der Härte, mit der im (immer noch) Klassenstaat der Weimarer Republik Standesinteressen verfochten wurden. Hier waren es vornehmlich die Großagrarier Ostelbiens, die einen politischen Lieferstreik geplant hatten, um die Demokratie innenpolitisch durch Hungerrevolten in den Großstädten noch stärker unter Druck geraten zu lassen. Gleichsam war es auch der Kampf um freie Marktwirtschaft sowie Agrarprotektionismus gegen staatliche Zwangsbewirtschaftung knapper Ressourcen. Auch diese Auseinandersetzung wurde - genau wie der Flaggenstreit - seitens der Deutschnationalen mit antisemitischen Ressentiments geführt.

In den Debatten (RT 191, 193, 194, 195) geht es um die Finanzierung der Forderungen aus dem Londoner Zahlungsplan (siehe RT 103 "Londoner Ultimatum"). Das innenpolitische Problem ist: wer zahlt für den verlorenen Krieg: die "Besitzenden" oder das "Proletariat"? Nahezu jede Haushaltsdebatte stand unter dem Negativvorzeichen der Erfüllung alliierter Forderungen materieller wie monetärer Art. Gerade die Wortbeiträge der Kommunisten zeigen das ganze Ausmaß der Verelendung weiter Bevölkerungsschichten - wenn auch in agitatorischer Absicht. Als gerade das Steuerpaket zur Erfüllung des Londoner Zahlungsplans geschnürt war, platzte Reichskanzler Wirth mit neuen alliierten Forderungen in die Versammlung. Was aus Sicht der deutschen Parlamentarier das Maß der Zumutungen zum Überlaufen brachte (RT. 196).

Ein Bild der Weimarer Republik wäre nicht vollständig ohne einen Blick auf die "Goldenen Zwanziger". Hierzu äußerten sich die Politiker von rechts bis links äußerst kulturkritisch. Besonders die Flügelparteien prangerten die "Entartung" der Gesellschaft an und kontrastierten das Treiben der reichen "Schieber" und "Kriegsgewinnler" - etwa beim Sechstagerennen in Berlin - mit dem sozialen Notstand weiter Bevölkerungsschichten (RT 203, 231 Theater- und Literaturkritik).

Die Reichstagssitzungen 231, 233 und 234 sind in einem Zusammenhang zu sehen, da sie Einblick in die Art und Weise verleumderischer Agitation geben. RT 234 ist die Trauerkundgebung für den ermordeten Außenminister Rathenau. RT 233 ist die Philippika des DNVP Abgeordneten Helfferichs gegen Rathenau, die nachfolgend als Urgrund der Ermordung Rathenaus gesehen wurde, und RT 231 sind Stellungnahmen Rathenaus zur Rheinlandbesetzung und dem Saarland, die in RT 233 von Helfferich in agitatorischer Absicht gegen Rathenau und die Demokratie umgemünzt wurden. Die anschließenden Sitzungen über die "Verordnung zum Schutz der Republik" geben Einblick in die Methode der deutschnationalen Volksverhetzung (RT 235,236, 244). Hier spielte in der Verleumdung der demokratischen Politiker besonders die Dolchstoßlegende, mit der behauptet wurde, Demokraten und Sozialisten hätten das deutsche Heer 1918 von "hinten erdolcht" und somit eine weitere Landesverteidigung unmöglich gemacht, eine besondere Rolle (RT 245, 246, 254).

In der Besprechung der Regierungserklärung des neuen Reichskanzlers Cuno tritt dann zum ersten Mal in der Weimarer Republik eine eigenständige antisemitisch-völkische Gruppe in Erscheinung, die sich zuvor von der Deutschnationalen Volkspartei abgespalten hatte, da ihr diese nicht antisemitisch genug erschien (RT 274). Hiermit tritt nun eine neue Richtung im Parlament auf, die bei ihrer Kapitalismuskritik rückhaltlos Gebrauch macht von dem Verschwörungsmythos der "Protokolle der Weisen von Zion", die zum Inhalt haben, das "internationale Judentum" strebe nach der Weltherrschaft und beabsichtige die Völker zu versklaven. Die Debatten des Katastrophenjahres 1923 beginnen im Januar mit einem scharfen Protest aller Parteien gegen die militärische Besetzung des Ruhrgebiets durch Franzosen und Belgier, die das produktivste Industriegebiet Deutschlands unter ihre Kontrolle bringen und die so ihren Reparationsforderungen bzw. deren Erfüllung Nachdruck verleihen wollen (RT 286). Die Republik muß sich zum wiederholten Male gegen die Radikalen zur Wehr setzen, diesmal mit einem Verbot der antisemitischen Deutschvölkischen Freiheitspartei in Preußen, für die die Deutschnationalen jedoch glauben, sich erneut einsetzen zu müssen (RT 352), indem sie den Demokraten mit ihrem Partei-Verbot undemokratisches Verhalten vorwerfen. Während die Entente-Truppen das Ruhrgebiet besetzt halten, rüsten in Bayern und in anderen Ländern des Reiches die völkischen Organisationen zur Auseinandersetzung mit den in vielen Teilen des Reiches, besonders in Sachen und Thüringen, entstehenden "proletarischen Hundertschaften" der Kommunisten (RT 353). Der Bericht des SPD-Abgeordneten Henke veranschaulicht, wie vor allem die antisemitisch-rassistischen Bürgerkriegstruppen der Völkischen 1923 in Bayern gegen links aufmarschierten und von der anwesenden Reichswehr unbehelligt blieben. Die Rede dieses Abgeordneten zeigt zudem, daß überhaupt kein Zweifel darüber bestehen konnte, was mit den Juden passieren würde, wenn diese Kreise an die Macht kommen würden (hierzu auch RT 361, 389).

Die ausgewählten Reichstagssitzungen Nr. 391 und 392, 393 befassen sich mit den Auswirkungen der Ruhr- und Rheinlandbesetzung, der neuen Rentenmark nach Vernichtung der Mark durch die Hyperinflation sowie mit den politischen Zuständen in Bayern, hier insbesondere mit dem gescheiterten Hitler-Putsch vom 8./9. November 1923 sowie mit der Reichsexekution gegen die sozialistisch regierten Länder Sachsen und Thüringen. Das militärische Vorgehen der Regierung Stresemann gegen die beiden Mitteldeutschen Länder führt zu einem Misstrauensvotum gegen die Regierung und in folge dessen zu deren Rücktritt. Anfang März 1924 - nach Stresemann ist nun die Regierung Marx im Amt - triumphieren die drei Völkischen im Reichstag. Es wird absehbar, daß sie bei den bevorstehenden Reichstagswahlen starken Zulauf verzeichnen werden. Deshalb nutzen sie noch einmal die Tribüne, um ihre erfolgversprechende antisemitische Agitation zu betreiben (RT 404, 409). Die neue Reichsregierung beklagt, daß sie einen Haushalt einschließlich der Zahlungen an die Siegermächte aufstellen muß, ohne über die Steuereinnahmen aus den besetzten Gebieten an Rhein und Ruhr verfügen zu dürfen. Die gesamte Entwicklung arbeitet den Radikalen von rechts und links entgegen. Da trotz neuer Währung kein geordneter Haushalt mehr aufgestellt werden kann, scheint das Reich de facto am Ende. Einziger Ausweg: Auslandskredite.

(RT 408). Philipp Scheidemann (SPD) setzt sich gegen die antidemokratische rechte Volksverhetzung zur Wehr. Er prangert die rechte Frauenfeindlichkeit an, den Antisemitismus, den Antikatholizismus und besonders die Legende vom Verrat der Heimat am unbesiegten Heer (Dolchstoßlegende). Zudem beklagt er die demokratische Unreife des deutschen Volkes und warnt vor einem neuen Krieg, angezettelt durch Hitler und Konsorten. Die letzte Sitzung des ersten Reichstags der Weimarer Republik (RT 411, 13. März 1924) endet mit einem kurzen Resümee des Reichstagspräsidenten über die Zeit nach dem Systemwechsel.

Literaturhinweise