Kommentar zur Quelle: Staatspolitische Arbeitsgemeinschaft, Juni 1919, DNVP
v. Oppeln-Bronikowski sieht im Antisemitismus ein eher unbegründetes Vorurteil. Er empfiehlt der Versammlung aber
dennoch den Antisemitismus, der in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung vorhanden ist, für parteipolitische Ziele
zu nutzen. Er will mittels Antisemitismus die Deutschen wieder zum Deutschtum erziehen. Dabei teilt er zunächst einmal
die Juden in zwei Gruppen ein: solche die eher konservativ gesonnen seien und solche, wie Mosse vom "Berliner Tageblatt"
und dem "Ulk" bzw. solche, die den Sozialismus und Kommunismus anhingen und propagierten.
Das äußerst grotesk Anmutende aber ist, daß er zur antisemitisch geprägten Volkserziehung zu Nationalstolz und
Nationalismus - also gegen Liberalismus, Demokratie und Sozialismus/Kommunismus - die Juden selber gewinnen will. Die konservativen
Juden sollen kraft ihrer journalistischen Fähigkeiten den Antisemitismus so propagieren, daß sie mit ihm den "jüdischen Geist",
der in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden sei, bekämpften.
Für uns heutige klingt das fast so, als sollten die Juden ihren eignen Holocaust organisieren. Aber genau das war damit
nicht einmal im Entferntesten gemeint. Den Deutschkonservativen wie Oppeln-Bronikowski und v. Hassel geht es um die Bekämpfung
des "undeutschen Geistes" mittels antisemitischen Ressentiments. Nicht die Juden sind das Ziel dieser Agitation,
sondern das deutsche Volk, das zu 50% einem "jüdischen Geist" anhinge.
Das Grundproblem der Konservativen innerhalb der DNVP ist, daß sie nach der Revolution ihren politischen Einfluß dahinschwinden
sehen. Vorher regierten sie - in Koalition mit den Nationalliberalen - das Kaiserreich über die Länderkammer, in der Preußen
eine sehr starke Machtposition hatte, da es zu den preußischen Landtagswahlen noch das Dreiklassenwahlrecht gab, was sozial
Schwache, die wenig Steuern zahlten, stark benachteiligte und somit die Sozialisten schwach hielt, und die obere Gesellschaftsschicht
aus Grundbesitz und Industrie überproportional mit Parlamentssitzen ausstattete. Diese Bastion war nun für die
Preußisch- und Deutschkonservativen verloren und sie befürchteten, bei den Wahlen zur Nationalversammlung, als auch zu den
später anstehenden Wahlen zum Reichstag, unterzugehen.
Deshalb stellte sich ihnen die Frage, wie sie als alte und zum Teil auch verhaßte Machtelite die Masse der Wähler ansprechen
könnten. Und sie glaubten, das mit den Mitteln des Ressentiments - hier im Besonderen mit den Inhalten des Antisemitismus - versuchen zu können.
und da die Juden, wie Oppeln-Bronikowski meinte, einfach über mehr Esprit und Witz verfügten, sollte man hierzu die Juden gewinnen.
Damit dem "verjudeten" deutschen Volk, "der jüdische Geist" durch Antisemitismus ausgetrieben werde.
Das Problem war nur, daß zu viele Antisemiten aufgrund der Sammlungstendenz der DNVP in der Partei waren. Also Antisemiten, denen es
nicht nur um die "Umerziehung" des deutschen Volkes ging, sondern um die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen "Vokskörper".
Den Konservativen a la Bronikowski ging es also gegen den undeutschen Geist, den Antisemiten in der DNVP aber gegen die Juden.
Seine "Denkschrift" will nun, wenn auch schon leicht resignierend, die "Realpolitiker" in der DNVP davon überzeugen, den Völkischen
nicht nachzugeben und keinen Antisemitismus gegen die Juden als solche zu propagieren - sonst könne man ja die fähigen Juden nicht
für die Partei gewinnen -. Es soll stattdessen ein Konzept her, das mit den dem Antisemitismus inhärenten "Ideen" des Antiliberalismus
und Antisozialismus, als auch mit der einer aberwitzigen Kapitalismuskritik, die Demokratie "von innenheraus", durch Verächtlichmachung,
zersetzt. Das war das homöopathische Prinzip, wie er es nannte: Gleiches mit Gleichem kurieren.
Auch wenn in manchen Ausführungen der konservativen AG-Teilnehmer aus heutiger Sicht ein latenter Antisemitismus durchblickt,
in ihrer Selbstwahrnehmung sahen sie sich jedoch nicht als solche. Im Gegenteil: Einige verwiesen sogar stolz darauf, mit Juden befreundet zu
sein oder zumindest irgendwie mit ihnen Umgang zu haben. Diese Hinweise dienten ihnen in der Runde der Staatspol. AG jedoch auch
als Alibi, mit dem sie sich gegen den unbürgerlichen, weil unfeinen Radauantisemitismus absetzen konnten.
Man dringt beim Lesen dieser Quelle in eine merkwürdige und oft nicht ganz nachvollziehbare Gedankenwelt ein, die jedoch bei
genauerem Hinsehen ihre eigne, etwas zynische Logik hat. Auf den Punkt gebracht lautet die strategische Überlegung: der "dummen Masse"
in ihren dummen Ansichten und Vorurteilen Recht zu geben, um so ihre Wählerstimmen zu gewinnen für die Parlamente. Um sodann über
die Parlamente eine Politik zu betreiben, die nicht ansatzweise dem sozialen Unmutspotential - man wollte so u.a. die Arbeiter,
"unsere Proletarier", ansprechen - hätte gerecht werden können. Denn Karl Helferich (DNVP) hatte schon verlauten lassen, daß
allein schon das Wort "Sozial" vor den Staatgerichtshof gehöre. Wenn Paul Breitscheid im Reichstag sagt, die DNVP beabsichtige
den Klassenkampf umzuwandeln in einen Rassenkampf, so beinhaltet dieser Satz eine Wahrheit insofern, als daß der Antisemitismus bei
der "Volkserziehung" ein Ablenkungsmanöver war. "Rassenkampf" wollten zumindest die ehemals Deutschkonservativen um v. Hassel
und der Staatspol. AG, im Gegensatz zu ihren völkischen Parteifreunden, nicht.
Wenn nun v. Oppeln-Bronikowski fordert, auch die Konservativen sollten etwas dem "Ulk" vergleichbares auf die Beine stellen, also ein
konservatives Satireblatt herausgeben, um die Zustände in der jungen Republik dem Gespött preiszugeben, so hat allein dieser Gedanke
schon etwas satirisches. Denn diesen verbiesterten Konservativen fehlte für die Satire wohl die Grundvoraussetzung: Die Achtung vor
dem anderen, vor allem aber die Menschenliebe. Betrachtet man nämlich den "Ulk" mit seinen Artikeln und Cartoons, so ist er weder
für die Mißstände, noch auf dem "linken Auge" blind. Zudem hätte manche Satire, so sie denn die Siegermächte betraf, in ein
erzkonservatives Blatt gepaßt. Für die Konservativen aber hätte ein Satireblatt nur als Kampforgan gegen links gedient. Das
Wesen des Satyr waren diesen Leuten wesensfremd. Zur kritisch-satirischen Selbstbespiegelung hätte es von daher auch nicht gereicht.
Jeder "Jude" wäre wohl vor die Tür gesetzt worden, wenn er das gewagt hätte.
Verfolgt man die Reden der Konservativen im Reichstag, so waren sie selten witzig. Studiert man ihre Schriften, so findet man dort
oft nur den Ton des sich geistig und kulturell überlegen fühlenden Sarkasten, der auf andere Parteien und Politiker mit Hohn und Abscheu herabblickte.
Ein einziges Mal fand ich in den Reichstagsreden den Beitrag eines Deutschnationalen, der Satirecharakter hatte: Es war in einer
Rede des Abgeordneten Berndt. Er nahm dabei den Sozialisten Arthur Crispien (USPD) aufs Korn, der im württembergischen Landtag
kostenlose Kreuzfahrten weltweit für alle gefordert haben soll. Hierzu meinte Berndt: Dieser Forderung könne man im Prinzip zustimmen,
jedoch unter der Prämisse, wenn der Abg. Crispien auch selber nur reichlich davon Gebrauch machen würde.
"Witzig" wurde es bei den Deutschkonservativen und Völkischen, innerhalb wie außerhalb der DNVP, immer nur dann, wenn sie sich
gegenseitig bescheinigten, "verjudet" zu sein, bzw. sich als Hilfstruppe des "Judentums" zu betätigen. Gerade dann aber sah man
den Schlagwortcharakter des Antisemitsimus und die Angriffswaffe gegen Andersdenkende, die "von Hause" aus, "blutsmäßig", wohl
eher "reine Arier" gewesen sein mögen. Solche Angriffe kamen meistens von den Völkischen gegen die sich zuweilen antisemitisch
gebenden DNVP-Politiker, aber auch vom DNVP-Vorsitzenden Hergt gegen die völkischen Abtrünnigen aus den eignen Reihen.
Daß die Druckerzeugnisse der Deutschnationalen uns heutigen einige Verständnisprobleme bereiten, liegt nicht nur darin begründet,
weil das alles schon fast 100 Jahre zurückliegt. Sondern es liegt an dieser speziellen Denkwelt. Liest man hingegen den "Vorwärts",
in der Zentrumspresse (sofern sie nicht über die kathl. Mission elaboriert) oder dem "Berliner Tageblatt" kommt einem die Sprache,
als auch der Blickwinkel auf die Politik irgendwie vertraut vor, obwohl auch sie aus der gleichen Zeit stammen.
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