1. Reichstag, Weimarer Republik


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Otto Wels SPD
Wilhelm Marx Zentrum
Oskar Hergt DNVP
Gustav Radbruch SPD
Arthur Crispien USPD
Joseph Wirth Zentrum
Rudolf Heinze DVP
Carl Wilhelm Petersen DDP
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Wiesbadener Abkommen

Erläuterungen zu der Sitzung Nr. 236
1. Legislaturperiode

Nach der Ermordung des Außenministers Rathenau fordern die Politiker von links bis zur Zentrumspartei und der DDP ein scharfes Vorgehen gegen deutschnationale und vor allem völkische Umtriebe gegen die Republik. Sie fordern von der DNVP, daß sie sich endlich von ihrem radikal-völkischen und antisemitischen Flügel um Wulle und v. Grafe trennen solle. Gleichzeitig macht aber Otto Wels (SPD) deutlich, daß beide - deutschnationale und völkische - viel zu eng miteinander verwoben sind, als daß eine Trennung zu erwarten wäre. Zu sehr ist die DNVP auf die Völkischen in ihren Reihen angewiesen, da sie in ihnen den Garant für eine Massenbasis bei den Reichstagswahlen sieht. Eine Abspaltung dieser Gruppe bedeutete für die DNVP drohenden Machtverlust. Wie gefährlich aber diese Indienstnahme des völkischen Antisemitismus durch die Deutschnationalen war, machte Joseph Wirth (RK) deutlich.

Wirth: "Dann können Sie wohl verstehen, daß unter dieser völkischen Verheerung, unter der wir leiden, unser Vaterland rettungslos dem Untergang entgegentreiben muß."

Mit diesem Satz schreibt er bereits zehn Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten für das Deutsche Reich - und nicht nur für die Demokratie - das Menetekel an die Wand. Aus heutiger Sicht erscheint dieser Satz bemerkenswerter noch als der viel zitierte Satz "… und dieser Feind steht rechts." Wo der Feind steht, ist nur für die Linke wichtig, die durch diese Aussage entlastet wird bzw. wurde. Aber die Bewertung, was dieser "Feind" mit seiner besonders perfiden Art der Agitation bewirken wird, nämlich nicht nur die Beseitigung der Demokratie und den Wechsel der Staats- und Regierungsform, ist viel aussagekräftiger. Denn er sieht bereits 1922 die totale Katastrophe voraus. Diese Volksverhetzung wird den Untergang von Volk und Staat überhaupt zur Folge haben und zwar "rettungslos", weil offenbar kein Kraut gegen diese Art der Volksverhetzung, gegen "das Gift" das "in die Wunden des Volkes geträufelt wird" gewachsen scheint.

Marx macht in seiner Rede darauf aufmerksam, daß es nicht der Mob sei, aus dessen Reihen heraus die Mordtaten geschehen, sondern die gebildeten und gehobenen Kreise des Bürgertums dafür verantwortlich seien. Es sind die alten Eliten, die in der Demokratie Machtverlust befürchten und die sich mit den Völkischen solidarisieren, um sie als Rammbock gegen die Demokratie zu benutzen. Auch macht Marx darauf aufmerksam, wie wenig christliche Deutschnationale und rassistische Völkische doch eigentlich zusmamen passen. Wie paßt Christentum und Wotanskult zusammen? Warum bedienen sich Deutschkonservative - und der Bezug zum Christentum ist Kernbestand des Konservatismus - sich der Völkischen, wo sie kulturell eigentlich doch nichts verbindet---? Es ist der Haß auf die Demokratie, die "Herrschaft der Masse", die Ablehnung des Sozialstaats (durch die Konservativen) und die Todfeindschaft gegenüber dem Kommunismus.

Literaturhinweise

Gesetz zum Schutz der Republik
Art. 48, "Notverordnung"
Wirth/ Rathenau, Entwicklung 1919 bis Juni 1922