1. Reichstag, Weimarer Republik


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Erläuterungen zur Sitzung Nr. 81, 1. Legislaturperiode

In diesen Reichstagsreden geht es um antisemitische Agitation, Kulturkritik und deutschnationaler Gegenwehr gegen eine weitere Säkularisierung der Gesellschaft. In diesem Falle um den Beibehalt des Religionsunterrichts in Schulen, bzw. einer Verpflichtung der Schüler, an diesem teilzunehmen.
Ein wesentlicher Aspekt beim Religionsunterricht, als auch bei der massiven Kulturkritik der Deutschnationalen ist die "Erstarkung" der Seelen, mit der Begründung, der Krieg sei nicht an der Front verloren worden, sondern durch innere Dekadenz und Verderbtheit weiter Teile der Bevölkerung. Ein christlicher Pfarrer (Mumm) predigt also im Reichstag die Religion der Nächstenliebe zur ideologischen Vorbereitung des Revanchekrieges, Revanche für einen Krieg der über 10 Millionen Menschenleben gekostet hat und maßgeblich für die Abkehr von "alten Werten" und der Revolutionierung der Moralvorstellungen verantwortlich ist. In einer rechten Broschüre der 20ziger Jahre hatte ich mal gelesen: Der Krieg 1870/71 (Sedan!)sei nicht an der Front gewonnen worden, sondern in den Klassenzimmern! Mit anderen Worten: Wer im nationalistischen, aber auch antisemitischem Sinne, die Herzen der Jugend gewinnt, gewinnt auch den nächsten Krieg. Diese Art von innerer "Ertüchtigung" züchtete die künftige Führungsschicht der Nazis heran. Aus dieser Jugend kamen die Lagerkommandanten. Diese Gefahr, die aus dieser Jugenderziehung (vornehmlich an Gymnasien) erwuchs, wurde aber schon früh auch von Konservativen im Reichstag erkannt (hiervon mehr in späteren RT-Reden).

Maßgeblich verantwortlich für diese Zersetzung der Volksseele ist in den Augen des Pfarrers Mumm und des völkischen Rassisten Wulle das Judentum. Bei Mumm sind es die "Wühler", die mit ihren sozialistischen Umtrieben die innere Harmonie des Volkes störten und bei Wulle - in Übereinstimmung mit Mumm - ist es der von Juden stark geprägte Kulturbetrieb in Berlin.

Wie verlogen aber die Moral dieser Nationalisten ist, belegt Löwenstein, der einen kleinen Blick auf die perverse Verleumdung gewährt, die die Deutschnationalen - im Besonderen aber die von der DNVP hofierten Völkischen - draußen im Land betrieben. Das Stichwort, das hier seitens der Völkischen im Reichstag mit weiterem "Inhalt" angereichert werden soll, heißt "Kulturschande".

Auf Seite 58 (hier) erwähnt Mumm zudem 2 Politiker jüdischer Herkunft (Dr. Cohn und Löwenstein) nicht ohne Grund. Er versucht ihnen zu unterstellen, daß sie als Juden bzw. Politiker jüdischer Herkunft gegen den christlichen Religionsunterricht seien, um die eigene Religionsgemeinschaft so gesellschaftlich zu stärken. Daß diese Politiker jedoch auf der Grundlage ihrer Parteibeschlüsse agieren, spielt für ihn nur eine Nebenrolle. Die christlichen als auch die rassistischen Konservativen versuchten zu behaupten: Der vornehmlich von Juden propagierte Sozialismus und Liberalismus mit seiner antichristlichen Tendenz sei die Rache des ehemaligen Getto-Judentums an den Christen. In völkischen, aber auch von Pfarrern herausgegebenen Broschüren der 20ziger Jahre wurde dann in einer bizarren Mittelalterverklärung behauptet: dem Deutschen Reich sei es am besten zu jener Zeit gegangen, als die Juden noch unter Kontrolle, also in Gettos gelebt hätten.

Angesichts des breiten, antisemitisch geführten politischen, als auch kulturellen Diskurses in der Weimarer Republik halte ich es nicht für angezeigt, das "Dritte Reich" zu reduzieren auf "Nazideutschland". Die Gefahr kam nicht nur von rechts, sondern auch aus der Mitte der Gesellschaft der Weimarer Republik. Die Gründe hierfür waren: remantisch verklärter Vergangenheitsbezug und Mittelalterromantik, Sehnsucht nach einfachen überschaubaren gesellschaftlichen und politischen Strukturen sowie die Suche nach den Übeltätern, die Schuld waren an der gestörten Harmonie, Schuld hatten an dem verlorenen Krieg und die nun zuleistenden Reparationen, die mit großen Entbehrungen verbunden waren.

Hierzu auch die Rede Mumms imApril 1922

Literaturhinweise

Liebesgedichte von Herrmann-Neisse
Der "sittenlose" Frank Wedekind "Zeit online" Evchen Humbrecht von Heinrich L. Wagner
(komplett digitalisiert)

Dt. Zensur-Museum1919-1933

Kulturpessimismus

Naturalismus

Anita Berber
Nackttanz als expressive Kunst

Der Reigen
Kindlers Literaturlexikon

Der Reigen.Theaterausschnitt auf Youtube