1. Reichstag, Weimarer Republik


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Gustav Stresemann (DVP)
Walter Simons (Außenminister)

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Kiamil Pascha

Erläuterungen zur Sitzung Nr. 81, 1. Legislaturperiode

Die 98. Sitzung ist die fortgesetzte Debatte von RT 97

Stresemann wählt zu Beginn seiner Rede eine modifizierte Form des "Dolchstoßes", indem er behauptet, das deutsche Heer hätte gegebenenfalls noch weiter kämpfen können, wenn nicht die Revolution dazwischen gekommen wäre. Angesichts der sehr hohen Reparationszahlungsforderungen der Alliierten bedeutet das: wenn die Streitkräfte weiter stand gehalten hätten, bzw. noch ein gewisses Maß an Wehrkraft geblieben wäre, hätte man den Alliierten gegenüber ein Faustpfand in der Hand gehabt. Sie hätten sich dann ihren Diktatfrieden noch härter erkämpfen müssen. Es ist ein Strohhalm, an den sich Stresemann hier klammert, aber er hat innenpolitisch große Bedeutung und Brisanz: Denn er besagt nichts anderes, als daß die Reparationskosten nicht so drastisch ausgefallen wären, wenn--- Im Klartext lautet der Vorwurf: Die SPD und USPD seien maßgeblich für die Bedingungen des Versailler Vertrags verantwortlich. Damit hat diese Behauptung mehr innen- als außenpolitische Bedeutung.
Sodann widmet sich seine Rede der Entlastung der deutschen Industriellen, von denen besonders die Linke behauptet, sie seien maßgeblich für den imperialistischen Krieg und der Formulierung der sehr weitreichenden Kriegsziele verantwortlich gewesen, da sie eine wirtschaftliche Hegemonialstellung in Mitteleuropa angestrebt hätten. Dabei ging es im wesentlichen um die Anexion wirtschaftlich wichtiger Gebiete (Longwy-Briey, Minetteerze in Frankreich) oder auch um die Hafenstadt Antwerpen in Belgien. Darüber hinaus aber auch um die großen Zerstörungen von Industrie- und Grubenanlagen in den zu räumenden Gebieten der deutschen Armee. Stresemann versucht die Zerstörungen in Frankreich und Belgien als eine rein militärische Maßnahme darzustellen, die allein politisch entschieden worden sei. Die Strategie Stresemanns ins klar: Die deutsche Großindustrie ist die letzte, nennenswerte Kraftquelle des Deutschen Reiches, die es unter allen Umständen auch von moralischen Anschuldigungen reinzuhalten gilt. Denn wenn es nochmals zu einem Wiederaufstieg Deutschlands zur europäischen Großmacht kommen soll, dann nur durch sie. Zusammenfassend kann man sagen: Die Kosten des Krieges hat die Allgemeinheit zu tragen, die Industrie ist nach Möglichkeit davon frei zu halten.
Aber es kündigt sich hier auch ein viel weitreichender Gedanke an: Stresemann vertritt die Ansicht, daß via komerzieller Interessen auf beiden Seiten die nationalen Fronten überschritten werden können. Die miteinander verflochtene Weltwirtschaft zwingt die Nationen zu rationalem Handeln und dazu, auf kurz oder lang, die überholte nationalistische Romantik abzulegen. Denn, zwingt man die eine Nation in den wirtschaftlichsozialen Abgrund, so wird die eigene dem zwangsläufig folgen. Die negativen Auswirkungen der Reparationspolitik der Siegermächte war in England schon deutlich sichtbar (Rede Ledebours).

Literaturhinweise

Fritz Fischer
Griff nach der Weltmacht
Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18

Fischerkontroverse