1. Reichstag, Weimarer Republik


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menssteuern zu überwachen. Wenn Sie die Steuereingänge nachsehen, werden Sie mir zustimmen, daß wir seit zwei Monaten hier erfreuliche Erfolge zu verzeichnen haben. Ich darf aber auch hinzufügen, meine Herren, daß der aus gewissen Gründen verständliche langsame Fortgang in der Veranlagung der Besitzsteuern, bei denen für große Unruhe gesorgt hat, deren Steuern direkt vom Lohn einbehalten werden. Ich muß den Appell an alle Kreise unseres Volkes richten, daß die eingetretene Erregung, die durch die Lohn- und Gehaltsabzüge bei den abhängig Beschäftigten eingesetzt hat, nicht zu politischen Unruhen führen darf. Wir müssen alles tun, um in rascher Folge die Besitz- und Einkommensteuern auch bei denen zur Durchführung zu bringen, die über Produktionsmittel verfügen.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! Eine gewisse Reserve liegt vielleicht auch noch bei der Erbschaftssteuer in gewissen Größenstufen und Verwandtschaftsgraden. Aber wir werden auch nicht umhin kommen, die allgemeinen, indirekten Steuern zu erhöhen, das ist ja ganz klar. Hierzu gehört der Ausbau der Branntweinsteuer, Biersteuer, Tabaksteuer, höhere Steuern für Zucker und andere Süßstoffe sowie die Erhöhung der Zölle auf Luxusgüter. Bei der indirekten Besteuerung wird das Hauptgewicht darauf zu legen sein, daß die Steuern eine Gestalt erhalten, welche einen guten Steuerertrag garantieren unter möglichst geringer Steigerung der Verbraucherpreise.

(Zurufe rechts, Lachen links: Wasch mir den Rücken, aber mach mich nicht naß!)

Ich habe aber auch bereits Verbindung zu den Landesfinanzämtern aufgenommen, um die Frage zu erörtern, wie es möglich ist, in kurzer Zeit die alten Ertragssteuern auf Erträge des Grund und Bodens und des Gewerbes in eine moderne Form zu gießen. Hier liegen tatsächlich noch manche nicht beachtete Steuerquellen vor. Meine Damen und Herren! Die Reichsregierung ist sich bewußt, daß die Arbeit der Notenpresse den Geldwert verschlechtert. Das bedeutet für alle Lohn und Gehaltsempfänger, für alle, die nicht über Produktionsmittel verfügen, daß sie am meisten von der Inflation betroffen sind. Die Last darf nicht vorzugsweise auf diese Schultern geladen werden.

(Zuruf von den Kommunisten: Wir werden sehen!)

Neben der unvermeidlichen Belastung des Verbrauchers müssen weitere Einnahmequellen gesucht werden. Dabei denkt die Regierung insbesondere an den Besitz, die sogenannten Goldwerte, also solche Realwerte, die von der Wertveränderung des Papiergeldes nicht betroffen sind, vielmehr ihren Wert behalten oder gar noch gesteigert haben. Es muß unter allen Umständen verhindert werden, daß sich zu den Kriegsgewinnlern auch noch die Reparationsgewinnler gesellen.

(Zuruf bei den Kommunisten: Sie denken doch nicht etwa an Hugo Stinnes. Lachen links.)

Meine Damen und Herren! Durch diesen nur in seinen großen Grundlinien angedeuteten Finanzplan

(Zuruf links: sehr gut formuliert!)


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hoffen wir, die Finanzen des Reiches den Bedürfnissen des Reiches entsprechend ausgestalten zu können. Im engsten Zusammenhang mit dem finanziellen Programm steht das Wirtschaftsprogramm. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß die Summen, die wir an das Ausland zahlen müssen, auf Dauer nur aus dem Überschuß unserer Wirtschaft gezahlt werden können, wenn wir nicht unsere wirtschaftliche Substanz nachhaltig schwächen wollen. Das erfordert höhere Produktion bei nationaler Sparsamkeit. Wir müssen die Einfuhren einschränken und die Warenausfuhr steigern.

(Zuruf von den Kommunisten: Mal sehen, was Eure imperialistisch - kapitalistische Konkurrenz dazu sagt!)

Nur so können wir die Passivposten, die sich aus den Reparationszahlungen in unserer Zahlungsbilanz erge-ben, niedrig halten. Meine Damen und Herren! Wir werden die großen Aufgaben nur mit Erfolg bewältigen können, wenn es uns gelingt, die richtige soziale und ethische Einstellung der deutschen Volksseele zu gewinnen. Die Lösung dieser gewaltigen Aufgaben hängt maßgeblich davon ab, inwieweit es uns gelingen wird, unseren innenpolitischen Hader zurückzudrängen. Nur wenn wir die inneren Gegensätze zurückstellen, wird uns der Wiederaufstieg gelingen. Unterdrückung der sozialen Gegensätze wird besonders von denen gefordert werden müssen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

(Zuruf von den Kommunisten: Wir werden sehen! Gewähren Sie Amnestie für unsere inhaftierten Genossen! Gegenrufe von rechts. - Unruhe. - Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Meine Herren, lassen sie doch den Herrn Reichskanzler aussprechen.

(Wiederholte Rufe der Kommunisten nach Amnestie. - Große Unruhe. Gegenrufe rechts: Ihr Papageien.! - Heiterkeit.) 4

Vermehren Sie bitte nicht weiter die Unruhe.

Dr. Wirth, Reichskanzler: Meine Damen und Herren! In den letzen Wochen und Tagen ist unser aller Blick nach Oberschlesien gerichtet. wo unsere Brüder unter dem Druck der Korfanty - Banden Unerträgliches zu erdulden haben. Als die Volksabstimmung in Oberschlesien den Polen nicht den erhofften Sieg brachte, als die überwiegende Mehrheit des oberschlesischen Volkes in allen seinen Schichten sich für Deutschland entschied, hat Korfanty den Versuch unternommen, sich mit Waffengewalt in den Besitz des Landes zusetzen. Die deutsche Regierung hatte dies kommen sehen und es bei den verantwortlichen Alliierten nicht an Warnungen fehlen lassen. Trotzdem kamen Kampfmittel in gewaltigem Umfange über die polnische Grenze nach Oberschlesien, trotzdem wurden 80.000 Polen von diesseits und jenseits der Grenze bewaffnet. 5

(Hört! Hört!)


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5S. 3714C

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