1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 109

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Leider ist diese Vorherrschaft nicht zum Lachen; wenn sie zum Lachen wäre - äußerlich ist sie es manchmal -, wenn sie innerlich nicht zum Weinen wäre, würden wir gar nicht dagegen ankämpfen.

(Zurufe und Unruhe.)

Es ist recht merkwürdig, daß die Herren bisher meinen Ausführungen ganz ruhig zugehört haben. Sobald aber das Wort "Juden" fällt, wird es anders.

(Lachen rechts. - Zurufe links.)

Ich verstehe ja, warum. Ich habe für alle menschlichen Schwächen und Eigenschaften Verständnis, warum nicht auch für diese bei Ihnen. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir die Vorherrschaft des Judentums in unserem Volke seit der Revolution, wie es in diesem Programm heißt, außerhalb dieses Hauses bekämpfen, dann haben wir unseren Wählern und unseren Anhängern gegenüber die Pflicht, das ebenso loyal in diesem Hause zu tun.

(Sehr richtig! rechts.)

Sie haben im Moment keine Gelegenheit, die Regierung anzusehen. Aber wenn Sie sie ansehen könnten, würden Sie mir doch nicht bestreiten, daß dort schon rein äußerlich eine Vorherrschaft des Judentums - ich will damit den anderen Herrn Ministern nicht nahe treten - unbedingt vorhanden ist. Und ich zweifle darum auch nicht daran, daß auch der innerliche Einfluß dementsprechend sein muß.

(Zustimmung rechts. - Widerspruch und Zurufe links.)

Daher haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, unsere Bedenken in der loyalen Form, wie es durch Herrn v. Braun hier geschehen ist, aber auch mit aller Entschiedenheit zum Ausdruck zu bringen, das hat gar nichts gemein mit der menschlichen Bewertung des einzelnen Ministers jüdischer Abstammung, aber es ist das System, das wir zu bekämpfen haben, und darin lassen wir uns Vorschriften weder vom Herrn Reichskanzler noch von Herrn Petersen oder von wem sie hier im Hause oder sonst in der Welt kommen sollten, machen.

(Sehr richtig und Bravo! bei den Deutschnationalen. - Lebhafte Zurufe links.)

- Ja ich sehe, das hat wieder die erwartete Beunruhigung hervorgerufen.

(Zurufe links: Heiterkeit.)

Ich weiß, daß diese Äußerungen außerhalb dieses Hauses im deutschen Volke andere Resonanz finden als bei Ihnen!

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Das werden auch noch Sie zu bemerken bekommen.

(Lebhafter Beifall bei den Deutschnationalen.)

Vizepräsident Dittmann: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller (Franken).

Müller, Abgeordneter: Meine Damen und Herren!2 Solange die jetzige Regierung durch Reden, wie sie Herr v. Graefe sie hier eben gehalten hat, bekämpft wird, kann uns das im neutralen Ausland nur nützen. Seine Angriffe sind uns lieber, als auch nur ein Prozent Vertrauen. Die Rede, die Herr Edler v. Braun hier gehalten hat, war schon stark. Ich will aber gegen sie nichts sagen,


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nachdem der Herr Abgeordnete Petersen sich genügend mit ihr auseinandergesetzt hat. Daß aber heute, ausgerechnet nach dieser Rede, die deutschnationale Fraktion noch einen richtigen antisemitischen Scharfmacher hier vorschickt, ich meine, daß ist ein starkes Stück. Meine Damen und Herren! Das, was Herr v. Graefe sich hier geleistet hat, ist meiner Auffassung nach der Gipfel der Geschmacklosigkeit, die wir bisher im Parlament erlebt haben.

(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)

Es fällt mir nicht ein, auf alle Einzelheiten dieser Rede einzugehen. Ich will nur mit ein paar Sätzen und nicht mit mehr die Judenfrage streifen.

(Aha! bei den Deutschnationalen.)

- Ja, Sie werden gleich erfahren warum. Es ist mir und wahrscheinlich doch auch Herrn v. Graefe bekannt, daß der frühere preußische Staatsminister Dr. Friedberg am 18. November 1919 in der preußischen Landes-vertretung einen Brief verlesen hat, der aus der Feder des Parteivorsitzenden der Deutschnationalen Partei, des früheren Staatsministers Hergt, stammt. Der Brief des Vorsitzenden der Partei, die sich ein antisemitisches Parteiprogramm geschrieben hat, lautet: - der Herr Präsident wird wohl genehmigen, daß ich ihn verlese-:

Verehrter Herr Dr. Friedberg! Sie haben den bisherigen Verhandlungen des Hauptaus-schusses der Deutschnationalen Partei über die antisemitische Frage regelmäßig beigewohnt und wissen um die Schwierigkeiten, die sich in der Frage ergaben, ob wir in unsrem antisemitischen Programm die Juden namentlich erwähnen sollten oder nur andeutungsweise. Sie wissen, daß wir den Völkischen in unserer Partei Rechnung tragen mußten, und uns am Ende nichts anderes übrigblieb, als den Absatz so zu fassen, daß die Stoßrichtung gegen das Judentum deutlich hervortrat. Ich kann daher meine Verwunderung nicht unterdrücken, daß sie nun darauf bestehen, diese Frage in ihrem Sinne lösen zu wollen. Viel wichtiger würde mir erscheinen, wenn die Herren jüdischer Abstammung, die auf dem Boden des Konservatismus stehen, und die sich nach außen auch offen zu unserer Partei bekennen, sowohl durch Propaganda als auch durch Opfer für die Partei einträten,

(große Unruhe und lebhafte Zurufe links: Aha, Geld wollen die Deutschnationalen von den Juden!)

um sich so die von ihnen erstrebte Stellung in der Partei und die Sicherung ihrer Interessen bei der Partei zu erkämpfen.

Meine Damen und Herren! Überlegen Sie diesen Brief, und denken Sie an das, was der Herr Abgeordnete v. Graefe hier gesagt hat, und dann frage ich Sie, wie das miteinander vereinbar ist. Wenn Sie den ganzen Mühlendamm ablaufen, werden Sie keine Juden finden, die frecher auftreten, als Herr v. Graefe hier aufgetreten ist.

(Große Unruhe bei den Deutschnationalen- Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Herr v. Graefe sagte, es gehe ihm und seiner Partei nicht um den einzelnen jüdischen Minister, sondern es gehe


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