1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 118

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Ritterromane sind der historische Hintergrund für den Zweck der ganzen weltliterarischen Satire. Der irrende Ritter aus der Mancha ist der Mann des fanatischen Ideals, der der Meinung ist, es könne eine abstrakte Idee in dieser Welt der Wirklichkeit durchsetzen, der ganz unbekümmert um die Wirklichkeit der Dinge seinen Phantomen nachjagt. Dieser irrende Ritter ist harmlos, solange er nur durch entlegene Sterne seines Traumes jagt. Aber sobald er seine Gedanken aus dem luftigen Reich der Phantasie auf die staubbedeckte Erde bringen will, wird das Bild ernsthafter, es wird blutig oder zur grotesken Lächerlichkeit. Und dieser Don Quijote schreitet seit der Revolution durch die deutschen Lande. Er hat erst vor wenigen Monaten Mitteldeutschland in Blut und Tränen gestürzt, und er kämpft in der Interpellation, die wir hier beraten, den unsterblichen Kampf gegen die Windmühlen. Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Unterleitner hat gesagt, in Bayern werde die Freiheit des Gedankens geknebelt, die Arbeiterbewegung werde dort niedergehalten, die ganze politische Macht werde dort einseitig gegen eine Partei gewendet, und er hat daraus geschlussfolgert, daß der Kampf der Arbeiterschaft an sich gelte. Der Kampf richtet sich aber nicht gegen die Arbeiterklasse,

(sehr richtig! bei den Deutschnationalen)

sondern er richtet sich gegen die Irreführung der Arbeiterschaft.

(Sehr wahr! Bei den Deutschnationalen.)

Niemand denkt daran, im zwanzigsten jahrhundert gegen die Belange, ja nicht einmal gegen die Ideenwelt der Arbeiterschaft, soweit sie vernünftig ist, ankämpfen zu wollen. Man kann den Zeiten keine Gestalt geben, die nicht zu ihnen paßt. So wenig man im 19. jahrhundert erfolgreich gegen die Ideenwelt der Bourgeoisie kämpfen konnte, so wenig kann man im 20 Jahrhundert erfolgreich gegen die Ideenwelt der Arbeiterschaft kämpfen. Was war denn die Wirkung als im 19. Jahrhundert gegen die Ideenwelt der so genannten Bourgeoisie gekämpft worden ist? Es war jener beständige Wechsel zwischen Revolution und Reaktion, der die ganze Zeit von 1789 bis 1870 durchzieht, bis ihm die Weisheit des Fürsten Bismarck ein Ende gemacht hat.

(Lachen links.)

Ich erinnere Sie nur an die Jahre 1789, 1800 -

(Zurufe links.)

- Hören Sie (nach links) nur zu, Sie können hier viel lernen!

(Heiterkeit und Zurufe links.)

- Auch Sie!

(Erneute Heiterkeit.)

Vielleicht sind Ihnen die Jahreszahlen nicht ganz unbekannt: 1789, dann 1800 die Militärdiktatur Napoleon Bonapartes, 1814 und 1815, dann die Revolutionsjahre 1830 und 1848, dazwischen immer die Zeiten der Reaktion, bis dann schließlich diese Ideenwelt unaufhaltsam zum Siege gelangte. Das war der Unterschied im Verhalten Bismarcks und Napoleons, daß der letztere die Diktatur bis zu Ende durchgeführt hat, Bismarck aber nur bis zu dem Augenblick, wo es notwendig war. Vom Jahre 1866 ab finden Sie die großartigste liberale und soziale Gesetzgebung, die überhaupt ein Staat aufzuweisen hat.


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(Sehr richtig! rechts. - Zurufe links.)

Glauben Sie denn, wir lernen aus der Geschichte so wenig wie Sie?

(Sehr gut! rechts. - Lautes Lachen links.)

Glauben Sie denn - -

(Große Heiterkeit links.)

- Die Herren wollen zeigen, daß sie eine Partei sind, die nur mit den Mitteln des Geistes kämpft; daher das Gelächter!

(Andauernde stürmische Heiterkeit links. - Abgeordneter v Graefe: Das Lachen steht Ihnen sehr natürlich! - Andauerndes Lachen links. - Rufe links: Weiterreden! - Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich bitte um Ruhe!

Bazille, Abgeordneter: Wir haben durchaus nicht die Absicht, im 20. Jahrhundert eine Wiederholung dessen zu schaffen, was das 19. Jahrhundert gezeigt hat. Längst kann man erkennen, daß auf dem blutigen Hintergrunde des Weltkrieges sich eine Welt mit neuen Ideen abhebt, eine Welt, die vielfach noch unsichtbar, jedenfalls unseren Feinden unsichtbar ist, weil sie noch berauscht sind von dem Siege, den sie mit den Mitteln der Lüge allein errungen haben. 5

(Sehr wahr! bei den Deutschnationalen.)

Die Ordnung, die hier geschaffen ist durch die Friedensverträge von Versailles, von Saint Germain usw. kann keinen Bestand haben. Von den mannigfachen Ursachen des Weltkrieges waren die bedeutsamsten die imperialistischen Gegensätze und die soziale Frage. Ich will hier nicht über die Berechtigung von Kriegen reden, ich will nur aus der Geschichte feststellen, daß Kriege häufig die Spannungen gebrochen haben, die immer unerträglicher sich über den Staaten abgelagert haben. Aber dieser Weltkrieg hat die Spannungen nicht gebrochen, sondern sie im Gegenteil noch vermehrt, und zwar sind gerade die beiden Hauptursachen des Weltkrieges, die soziale Frage und der Imperialismus, nicht beseitigt worden, sondern die Gegensätze, die in diesen Begriffen liegen, haben sich noch verschärft.

(Sehr richtig! rechts.)

Erst wenn die Lüge, die jetzt über der Welt liegt, gebrochen sein wird, wird man sehen, daß in der Tat diese Zeit eine Wende in dem Schicksal der Menschheit bedeutet. Deshalb ist es so überaus töricht, von Reaktionsabsichten bei uns zu reden.

(Sehr richtig! Rechts.)

Wer der Meinung ist, daß eine Welt aus ganz neuen Ideen sich aufbauen wird, ist doch nicht reaktionärer Gesinnung verdächtig.

(Sehr richtig! Rechts.)

Wir wissen sehr wohl, daß der Staat der Zukunft nur der soziale Staat sein kann, und ich glaube, daß keine Partei mit größerem Ernst sich bemüht, auf praktische Mittel zu sinnen, um diesen Staat zu verwirklichen.

(Sehr richtig! rechts.)

Wir wissen auch sehr wohl, daß das, was ich eine wahrhafte Demokratie nennen möchte, sich im zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr beseitigen läßt.


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