1. Reichstag, Weimarer Republik


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Ich bitte, uns nachher solche Worte vorzulegen, wie ich sie jetzt anführen werde. Ich möchte mir erlauben, hier eine Blütenlese auch nur weniger saftiger Stellen der Görlitzer Verhandlungen zu geben. Ich erwähne keine Namen. Denn es widerstrebt mir, mit diesen saftigen Stellen auch nur irgendeinen Urheber in Verbindung zu bringen.

(Sehr schön! Rechts.)

Es ist dort von deutschnationaler infernalischer Hetze, von deutschnationalen Mörderbuben und Gassenbuben gesprochen worden.

(Sehr richtig! links.)

- Sie richten sich selbst mit diesen Äußerungen. -Man hat von Erhardtbestien, die auf die Menschheit losgelassen werden, geredet. Man hat die Geschmacklosigkeit begangen, von einem feisten Hinterfrontbauch eines Prinzen zu reden.

(Sehr wahr! Links. - Pfui Teufel! Rechts. - Große Unruhe.)

Man hat behauptet, daß der Säuglingstod nach dem Willen des Landbundes unter den Arbeitern der Städte noch mehr wüten soll, als bisher.

(Sehr wahr! Links.)

Man hat von Kahrs Saustall gesprochen; man hat von meinem Parteifreund Helfferich als dem Hetzhund gesprochen,

(sehr wahr! Links; Pfuirufe rechts)

der den Banditen von Griesbach das Wild vor die Brownings lieferte. Eigentlich müsste der Herr Präsident etwas von dem zu Notiz nehmen, was ich vorgelesen habe, mit Rücksicht auf die Zwischenrufe. Man hat weiter gesagt, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß die Arbeiterschaft eines Tages zum Kampf antreten müsse. Man hat von noch nie dagewesenen Mitteln, die man gegen Bayern anwenden wolle, gesprochen. Es widerstrebt mir, die Liste weiter fortzusetzen. Ich wiederhole: Ich bitte, mir nur irgendeine Erklärung auf unserem Parteitag entgegenzuhalten, die sich hiermit in Vergleich setzen ließe.

(Lebhafte Zustimmung rechts.)

Wir protestieren überhaupt dagegen, daß immer nur einseitig solche Erklärungen auf der rechten Seite in betracht gezogen werden, nicht aber das, was von der linken Seite kommt. Meine Damen und Herren, wir haben nicht ein "zentnerschweres Material", wir könnten dem Herrn Reichskanzler ein tonnenschweres Material zusammenstellen von dem, was auf der linken Seite passiert ist.

(Stürmische Zurufe links.)

Und nun zu den Feiern, den Regimentsfesten und Feiern von früheren Siegen aus unserer ruhmreichen Vergangenheit!2

(Lachen bei den Sozialdemokraten.)

- Ach lachen Sie doch bitte nicht, wenn wir von unserer ruhmreichen Vergangenheit sprechen. Haben Sie, die Sie hier Zwischenrufe machen,3 denn gar kein Verständnis für die tiefere Bedeutung aller dieser nationalen Feiern. Kein Volk kann leben, ohne


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daß es sich aus seiner Vergangenheit wieder auffrischt wie aus einem Jungbrunnen. Wir haben eine ruhmreiche Vergangenheit.

(Bravo! bei den Deutschnationalen.)

Wir können uns daran aufrichten. Unser Volk weiß genau, daß es nicht besiegt worden ist, sondern daß der Krieg einen unglückseligen Ausgang genommen hat. Ich will gar nicht die Gründe hierfür untersuchen und will nur, daß das allgemein wieder klargestellt wird. Unser Volk sehnt sich danach, daß die alten deutschen Tugenden wieder anerkannt werden: der alte deutsche Soldatengeist und nicht zu vergessen die alte deutsche Kameradschaft.

(Lebhaftes Bravo rechts.)

Meine Damen und Herren! Wir müssen doch auch an eine Zukunft denken, wir brauchen doch alle diese Reste des soldatischen Lebens als Kern für eine Wiedergeburt, die wir wahrhaft notwendig haben.

(Lebhafte Zurufe links.)

Wir wollen nicht verzichten auf eine Zukunft des Deutschen Reiches, wenn wir hierbei auch nicht an irgendwelche Gewalt mit dem Auslande denken.

(Bravo! Bei den Deutschnationalen.)

Präsident: Das Wort zur Begründung der Interpellation sowie der Anträge Frau Agnes und Genossen hat der Herr Abgeordnete Dittmann.4

Dittmann, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Die Klagen des Herrn Hergt5 über die Behandlung seiner Partei - ich glaube, er hat selbst nicht angenommen, daß irgendjemand in diesem Hause, mit Ausnahme seiner Parteifreunde, sie ernst genommen hat. Nein, wir wissen doch, was wir von den Versicherungen der Deutschnationalen über ihre Loyalität und Harmlosigkeit zu halten haben. Wir wissen doch aus der Geschichte, daß herrschende Klassen niemals freiwillig auf ihre Privilegien und ihre Macht verzichten, daß sie stets mit Nägeln und Zähnen, mit List und Gewalt darum gekämpft haben, daß sie dabei auch vor keinem Verbrechen zurückgeschreckt sind.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ausgerechnet die Junker, die Monarchisten und Militaristen, deren Gewaltsystem 1918 zusammen-gebrochen ist, diese Repräsentanten des brutalsten Gewaltsystems, das die Geschichte überhaupt kennt, sollten sich anders verhalten? Nein, mit allen Mitteln betreiben diese Leute die Wiedererrichtung ihrer zusammengebrochenen Herrschaft.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Der Kapp-Putsch hat uns doch gezeigt, wessen sie fähig sind. Seitdem aber haben sie nicht etwa resigniert, ganz im Gegenteil, man muß aussprechen: Die Republik kommt nicht zur Ruhe und nicht zur Konsolidierung ihrer Grundlagen infolge der


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