1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 178

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damit, ob Sie wollen oder nicht, die Erfüllungspolitik der Regierung Wirth-Rathenau.

(Sehr richtig! Bei den Deutschnationalen.)

Sie schwenken damit in die Reihen derer ein, die diese aussichtslose und verhängnisvolle Erfüllungspolitik decken. Sie helfen bei unseren Gegnern den auf eine baldige Totalrevision hinwirkenden Druck abzuschwächen.

(Unruhe und Widerspruch bei der Deutschen Volkspartei.)

- Wenn widersprochen werden sollte, dann bliebe mir nur übrig, Sie an Ihre eigenen Kompromissgenossen zu verweisen. Sowohl Herr Herold wie Herr Dr. Fischer haben Kompromiß und Zwangsanleihe aus außenpolitischen Notwendigkeiten, das heißt aus der Erfüllungspolitik des Kabinetts Wirth-Rathenau, begründet. Der Herr Kollege Quaatz hat mir neulich zugerufen:5 Wir sind keine Dogmatiker, wir sind Praktiker! Das will ich ihm gern zugestehen. Auch aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Becker klang ja mehr Opportunismus als Dogmatismus heraus. Das Wort von dem "kleineren Übel", zweifellos ein opportunistisches Wort, klang mit einiger Betonung durch seine Ausführungen hindurch. Ich will mich nicht in Konjekturen über das größere Übel ergehen, daß mit dem Steuerkompromiß vermieden worden sein soll, sondern will nur sagen, daß auch wir die verschiedenen Eventualitäten abgewogen haben, nicht leichten Herzens, sondern ernst und gewissenhaft, wie das der Bedeutung der Sache entspricht. Wir waren entschlossen, diese Eventualitäten zu bestehen, und ich bedaure nur, daß man sich anderwärts von dem größeren Übel hat beeindrucken lassen. Meine Herren (zu der Deutschen Volkspartei), solange Sie nicht bereit sind und gewillt sind, auch dem größeren Übel entschlossen in die Augen zu sehen, werden Sie der kleineren Übel, an denen wir zugrunde gehen, niemals Herr werden.

(Sehr richtig! Bei den Deutschnationalen.)

Die Theorie von dem kleineren Übel hat uns zur Waffenstreckung von Compiègne, hat uns nach Versailles, nach London und Wiesbaden geführt, sie hat uns Schritt für Schritt tiefer in das Verhängnis und in die Ketten geführt.

(Sehr richtig! Bei den Deutschnationalen.)

Ist je ein Volk nach der Theorie vom kleineren Übel von Ketten befreit worden? Nach der Theorie vom kleineren Übel werden wir niemals die Ketten der Reparationen und Kontributionen abgeschüttelt oder auch nur lockern können.

(Sehr richtig! Bei den Deutschnationalen. - Zuruf von der Deutschen Volkspartei.)

Und, meine Herren von der Deutschen Volkspartei, mit der Theorie vom kleineren Übel werden Sie auch niemals den Satz verwirklichen, der vor den letzten Wahlen an allen Straßen und Mauern prangte:

Von roten Ketten macht uns frei
Allein die Deutsche Volkspartei!


5S. 6380A

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(Sehr wahr! Bei den Deutschnationalen.)

Das geht nur, wenn man den Mut fasst, dem größeren Übel in die Augen zu schauen, ihm zu leibe zu gehen und es zu bekämpfen, bis man es überwunden hat.

(Bravo! Rechts. - Zurufe links und von der Deutschen Volkspartei.)

Der Herr Kollege Becker hat uns vorgeworfen, wenn ich ihn recht verstanden habe, wir machten im Gegensatz zur Deutschen Volkspartei Opposition um jeden Preis, wir wollten mit dem Kopf durch die Wand. Ich habe schon auf einen solchen Zwischenruf geantwortet, daß mir mein Kopf zu lieb ist, um damit gegen jede Wand anzurennen.

(Heiterkeit. - Zuruf links.)

Aber Kopf und Wand sind relative begriffe. Es kommt darauf an, wie dünn die Wand und wie dick der Kopf ist.

(Sehr wahr! Bei der Deutschen Volkspartei.)

Unsere Köpfe sind vielleicht dicker als die Ihrigen (zu der Deutschen Volkspartei) und ich möchte sogar sagen: hoffentlich sind sie dicker.

(Sehr richtig! Und Heiterkeit rechts. - Zuruf von der Deutschen Volkspartei.)

Ich hoffe auch, daß wir mit unseren Köpfen schließlich doch noch manche Wand zum Einsturz bringen werden.

(Sehr richtig! Rechts. Zurufe. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Meine Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe!

Dr. Helfferich, Abgeordneter: Der Herr Kollege Herold ist noch etwas weiter gegangen. Er hat uns vorgeworfen, wir stellten als Oppositionspartei die Agitation vor die Staatsnotwendigkeiten.

(Sehr richtig! Bei den Sozialdemokraten.)

Er hat uns also genau das vorgeworfen, was sein Fraktionskollege Stegerwald nicht uns, sondern der Sozialdemokratie vorgeworfen hat. Herr Herold, ich freue mich, Sie hier zu sehen, und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Verhalten der Sozialdemokraten gerade in diesen Steuerfragen mit dem unseren etwas genauer vergleichen wollten. Wir hätten es ja so leicht gehabt, gewisse Fensterscheiben einzuwerfen.

(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)

Wir wollen einmal über das Thema Opposition in diesem Zusammenhang, wo es sich um die Verabschiedung so wichtiger Gesetze handelt, im Ernst sprechen.6 Gewiß, meine Damen und Herren, wir machen der jetzigen Regierung ganz bewusst eine entschiedene Opposition. Wir haben in dieser Regierung nach ihrer persönlichen Zusammensetzung und nach der Parteienkonstellation, auf der sie beruht, nicht das Vertrauen, daß sie unser Vaterland den rechten Weg führt.

(Zurufe.)


6S. 6381A

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