1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 213

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von so ungeheurer Grausamkeit und Rohheit, daß sie das Blut in den Adern erstarren macht. Heute Vormittag ist - es ist Ihnen alle bekannt -, als er in seinem Kraftwagen die Wohnung verließ, Reichsminister Rathenau von einem anderen Wagen aus durch Schüsse meuchlings ermordet worden.

(Stürmische Zurufe auf der äußersten Linken: Da stehen die Mörder! Ins Zuchthaus! Helfferich!)

Der Mann, der sein privates Leben, seine privaten Neigungen, seine Ansprüche, seine Ruhe aufgab, um der deutschen Republik nach bestem Wissen zu dienen!

(Lebhafte Rufe auf der äußersten Linken: Tribünen aufstehen!)

Nicht aus eigenem Entschluß, nicht aus Ehrgeiz hat er dieses Amt übernommen, sondern nach langem vielen Bitten der Herren, die heute unsere Regierung sind. So oft ich Herrn Rathenau habe sprechen hören, auch in der schärfsten Polemik ist nie ein unsachliches Wort über seine Lippen gekommen.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)

Und er erlag der Mörderhand!

(Zuruf auf der äußersten Linken: Helfferich hat gestern die Mordrede gehalten! )

Ich brauche der Trauer und dem Entsetzen, das uns alle bewegt, nicht Ausdruck zu geben, nicht der Verachtung für die Elenden,

(erneute Zurufe auf der äußersten Linken: Helfferich!)

Die dieses Werk vollbracht haben. Aber meine Herren, es steht mehr auf dem Spiel!

(Lebhafte Zustimmung.)

Auf dem Spiele steht das deutsche Land, das deutsche Volk, die Deutsche Republik!

(Erneute lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und den Deutschen Demokraten.)

Meine Herren! Die Täter haben Gehilfen, haben Spießgesellen,

(stürmische Zurufe auf der äußersten Linken: Helfferich! Dort sitzt er!)

haben eine Organisation von Mördern gehabt.

(Zurufe auf der äußersten Linken.)

- Herr Abgeordneter Remmele, glauben Sie, daß Sie die Wirkung meiner Worte durch solche Szenen erhöhen?

(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)

Ich bin der Überzeugung: sie haben Gehilfen, sie haben Spießgesellen,

(erneute Zurufe auf der äußersten Linken: Helfferich!)

Sie haben eine Organisation von Mördern hinter sich, die sie schützt, und die sie für ihre Taten unterhält.

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und auf der äußersten Linken.)

Anders wäre es nicht möglich gewesen, und das Blut des Ermordeten, es fällt auf mehr als auf die Täter,

(sehr wahr! bei den Sozialdemokraten und auf der äußersten Linken)

es fällt auf die, die dazu aufreizen, es fällt auf die, die frühere Anschläge, wenn sie nicht gelangen, mit Spott und Hohn begleiteten,

(stürmische Zustimmung bei den Sozialdemokraten


vorige

und auf der äußersten Linken)

es fällt auf die, die nach gelungenen Anschlägen noch das Ansehen der Opfer zu besudeln wagten. Meine Damen und Herren! Seit zwei Jahren, seit dem Sie mich auf diesen Platz berufen haben, habe ich versucht, mein Amt unparteiisch zu erfüllen. Aber aus dieser Unparteilichkeit heraus muß ich sagen: jener Stuhl stände heute nicht leer, diese Tat wäre nicht geschehen ohne die grenzenlose und maßlose Hetze gegen Männer, die an der Spitze der Regierung stehen.

(Lebhafte Zustimmung auf der äußersten Linken, bei den Sozialdemokraten und in der Mitte.)

Wie hat eine gewisse Presse gehetzt und gehöhnt, als das Attentat auf Scheidemann mißlang,

(sehr wahr!)

gehöhnt bis auf den Augenblick, bis heute, wo es gelungen ist! Sie haben Helfer, die sie verschwinden lassen, sie haben Helfer, die sie immer wieder aufs neue schützen.

(Lebhafte Zustimmung links.)

Und einer nach dem anderen von uns erliegt der kaltblütigen Mörderhand. Neben uns sinkt ein Freund nach dem anderen.

(Zuruf von den Kommunisten: Aber jetzt muß Schluß sein!)

Dieses Mal hat der Mordstahl getroffen einen Mann, der begabt und geeignet schien, die Fäden wieder anzuknüpfen, die der Krieg zerrissen hat; und er hatte die ersten schwachen Erfolge.

(Zuruf von den Kommunisten: das will Helfferich nicht!)

Aber diese Stunde gibt mir nicht die Ruhe, sein Leben zu überschauen und zu würdigen. - Sie haben durch Ihr Erheben den Dank dem Manne ausgesprochen, der lauter und ehrlich unserem Lande und unserem Volke diente. Sie haben das Beileid bezeugt der betagten Mutter, der deutsche "Patrioten" den toten Sohn vor die Füße legten.

(Bewegung.)

Möge unser Volk auch diesen furchtbaren Stoß überwinden! -

(Abgeordneter Wels: Es lebe die Republik! Hoch! - Hoch! - Hoch! - Die Abgeordneten der Linken und der Mitte stimmen stürmisch in die Hochrufe ein. - Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Nieder mit den Monarchisten! Nieder! - Nieder! - Nieder! - Die Abgeordneten der Linken stimmen in die Rufe ein. Zurufe von der Tribüne: Nieder mit den Mördern! Andauernde große Unruhe und Bewegung. - Erneute Rufe von den Tribünen.)

- Kundgebungen von der Tribüne kann ich nicht gestatten. Verhalten Sie sich so, daß ich sie nicht räumen lassen muß. Das Wort hat der Herr Reichskanzler.

Dr. Wirth, Reichskanzler: Meine Damen und Herren! Die Reichsregierung schließt sich den ehrenden Worten, die der Herr Präsident für den schmählich ermordeten Reichsminister Dr. Rathenau zu sprechen die Güte hatte, von ganzen


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