d) Interpellation der Abgeordneten
Crispien und Genossen, betreffend
die Vorkommnisse aus Anlaß der
Hindenburgfeier in Königsberg i. Pr.
Präsident: das Wort hat der Herr Abgeordnete
Dr. Moses.
Dr. Moses, Abgeordneter, Interpellant: Meine Damen und Herren! Seit dem 9. November 1918 hat sich ein politischer Mord
an den anderen gereiht, und immer wieder hat die Öffentlichkeit dieselbe Erfahrung gemacht: immer wieder treten dieselben Typen
in die Erscheinung als Täter, als Helfer, als Begünstiger, als Inspiratoren: neben dem Offizier der Student.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten.)
Inzwischen sind wir einen Schritt weiter gekommen. Der Mord an Rathenau hat einen neuen Typ gezeitigt, den allerneusten: das ist nämlich der
Jugendliche, der Schüler, der Gymnasiast, der aktiv in die Entwicklung der Gegenwart miteingreift, der Schulbücher und Hefte verstauben
läßt und seinen Anteil an der Tatrichtung unserer Zeit begehrt. Die oberste Heeresleitung der Gegenrevolution scheint die Zeit für gekommen
zu halten, das attentats- und mordpflichtige Dienstalter um einige Jahre niedriger zu setzen.
Meine Damen und Herren!1 Vor einiger Zeit hatte der "Vorwärts" einige Geständnisse des Mörders Runge, der Liebknecht und
Rosa Luxemburg gemordet hat, veröffentlicht. In diesen Veröffentlichungen war auch ein Brief des deutschnationalen Privatsekretärs
Dr. Gustav Schiffer, Schöneberg, enthalten. Er schrieb am 23. Mai an den aus dem Gefängnis entlassenen Mörder Liebknechts folgendes:
Ihren Brief vom 22. cr. habe ich erhalten und hoffe, daß ich bis Donnerstag günstigen Bescheid habe. Sollte dies nicht der Fall
sein, so wäre tatsächlich meine Kunst am Ende; denn ich habe getan, was ich tun konnte und mich jetzt zuletzt nochmals mit
einem sehr energischen Brief an ein Mitglied des Vorstands der Deutschnationalen Volkspartei gewandt.
(Hört! Hört bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten.)
Des weiteren empfiehlt es sich, daß Sie gelegentlich vor Beginn der Sitzung in den Reichstag gehen und dort Herrn Geheimrat
1Bd. 356, S.8326A
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Schulz-Bromberg oder Herrn Major Henning verlangen. Die Partei muß für Sie sorgen, doch lassen Sie uns hoffen, daß wir bis Donnerstag eine Antwort haben.
Wohlgemerkt: die Deutschnationale Volkspartei muß für den Mörder Liebknechts und Luxemburgs sorgen!
(Lebhafte Rufe bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten: Hört! Hört!)
Ich frage: wo in aller Welt finden Sie eine ähnliche Verwilderung der politischen Sitten und des politischen Kampfes? Die
Geldmittel werden zur Verfügung gestellt oder die Waffen oder das heute bei solchen Dingen unentbehrliche Auto oder der ebenso unerläßliche falsche Auslandspaß.
Meine Damen und Herren! Ist die Schuld derjenigen, die das tun, geringer, als die der Mörder selbst?
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten.)
Sind diejenigen, die um die Tat wissen, die sie begünstigen oder verheimlichen, die die Mörder der Strafe zu entziehen trachten
auch nur um Haaresbreite anders zu beurteilen als die wirklichen, noch dazu jugendlichen Täter selbst. Diejenigen, die mit dem
politischen Mord und den politischen Mördern sympathisieren, die Tat mit einer Gloriole der reinen, lauteren, unverfälschten
Vaterlandsliebe umgeben, jubeln bei ihren Zusammenkünften in tobender Begeisterung auf, wenn wieder einmal ein "Revolutionsschwein"
gekillt worden ist. Es ist dieselbe Geisteshaltung und derselbe Mördertypus.
(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten.)
Die, die jetzt pharisäerhaft sich in der Öffentlichkeit vor dem Mord und den Mördern bekreuzigen, die mit den stärksten Tönen ihren
Abscheu vor solchen Taten zum Ausdruck bringen, lächeln, wenn sie unter sich sind, wie Auguren, die haben am allerwenigsten Ursache,
sich zu beklagen, wenn man sie der Sippe der Mörder zugesellt.
(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten.)
Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen!
(Erneute lebhafte Zustimmung bei den
Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Will man die Quellen verstopfen, ernstlich verstopfen, dann muß man die in diesem Sinne Mitschuldigen bestrafen. Sonst
treibt die Bande der Verschwörer und Raubgesellen weiter ihr Handwerk.
Gymnasiasten, Schüler, die sich heute zu höheren Dingen berufen fühlen, sitzen zusammen im Rate der Mordgesellen und
helfen mit am großen Werk. Sind diese Burschen, so frage ich, auch "deklassierte Existenzen", für die wir angeblich kein
psychologisches Verständnis haben? Schwerlich! Da sind eben andere Kräfte im Spiel, die die jugendlichen Geister im Banne
halten, mit ihren Ideen so lange befruchten, bis sie zur Tat ausreifen. Der Einfluß des Elternhauses, der Schule, der Lehrer,
der Erzieher - hier liegen die Wurzeln, aus denen Gesinnung und Tat der heutigen Jugend herauswächst.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen
nächste
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