1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 267

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deutschvölkische Wollen kämpfend und siegend sich durchsetzen .

(Bravo! Bei den Deutschnationalen.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gothein.

Dr.-Ing. Gothein, Abgeordneter:5 Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht ob Sie Gelegenheit gehabt haben, die Ausführungen des Herrn Vorredners zu hören. Er hat davon gesprochen, daß sich die Juden in dieser Zeit in alle Ministerstellen hineindrängten und dadurch den Antisemitismus großgezogen hätten. Wer unseren verstorbenen Freund Rathenau gekannt hat, weiß, daß ihm nichts ferner gelegen hat, als sich in eine Regierungsstelle hineinzudrängen.

(Sehr richtig!)

Wenn in der jetzigen Zeit, wie der Herr Vorredner leider recht hat, der Antisemitismus eine große Ausdehnung erfahren hat, so ist es immer so gewesen, daß in Zeiten schweren Unglücks dieses Unglück den Juden in die Schuhe geschoben wird.

(Sehr wahr! links. - Lachen rechts.)

So war es in der Zeit des schwarzen Todes. Da haben wir die größten Judenverfolgungen erlebt. Da waren sie die Brunnenvergifter. Die eigentlichen "Brunnenvergifter" sind aber diejenigen, die in solchen Fällen immer alles dazu benutzen, um es den Juden in die Schuhe zu schieben, die den Klassen- und Rassenkampf in dieser Zeit ins Volk hineintragen. Davor müssen wir warnen. Das ist eine sittliche Aufgabe für uns, und deshalb habe ich mich auch hier einmal zum Worte gemeldet - ich tue es selten -, um diese sittliche Aufgabe gegenüber dem Herrn Vorredner zu vertreten. Meine Damen und Herren, was ist alles in unserer traurigen Zeit den Juden zum Vorwurf gemacht worden! Auch bei der Friedensresolution des Reichstags, die angeblich zum Verlust des Krieges geführt habe - nach den Äußerungen des General Ludendorff,

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: "Lügendorff"! - Gegenrufe und Unruhe rechts.)

des Obersten Bauer und anderer Leute. Von Männern dieses Schlages ist das auch den Juden zum Vorwurf gemacht. Und das gestatten Sie mir eine Reminiszenz. Als wir damals im Reichstag jenen Ausschuß der Mehrheitsparteien bildeten, der die Friedens-resolution vorbereitete, und dafür eintraten, da war es ausgerechnet der Abgeordnete Bruhn, der sich auch mit seiner Partei dazu meldete

(hört! hört! links)

und für die Friedensresolution eintrat.

(Lebhafte Rufe links: Hört! Hört!)

Ich meine, diejenigen, die heute auf dem deutschvölkischen Standpunkt stehen und jenen Männern, die das damals im besten vaterländischen Sinne, um das Vaterland vor dem Unglück zu retten, das sie klar erkannten, getan haben, einen Vorwurf


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machen, sollten doch gerade Herrn Bruhn mit diesen Vorwurf machen, der damals auf demselben Strandpunkt gestanden hat, wo er einmal eine Anwandlung von Klugheit gehabt hat. Er wollte auch damals im Verständigungsausschuß bleiben, bis wir ihm höflich ein Kompliment machten, daß wir diese Bundesgenossenschaft nicht gesucht hätten. Und da er das gemerkt hat, ist wahrscheinlich die Opposition wiedererstanden und hat dazu geführt, die Leute zu bekämpfen, die das "Unglück" des Vaterlandes herbeigeführt haben. So hat er sich nun schleunigst wieder auf die andere Seite geschlagen und tut alles, um seinerseits wieder die Differenzen im Volke, den Rassenhaß und Religionshaß mit zu schüren Ich warne dringend davor. Wir können es in dieser Zeit nicht brauchen. Wir brauchen ein einiges Volk.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Und der Klassenkampf?)

- Ich bin immer gegen den Klassenkampf aufgetreten.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Wenden Sie sich dahin [zur Linken]! - Lachen bei den Vereinigten Sozialdemokraten und bei den Kommunisten.)

Ich stehe auf dem Standpunkt des Scheffelchen Wortes:

Behüt uns Gott vor Klassenhaß und Rassenhaß und Massenhaß und derlei Teufelswerken.

Aber das Schlimmste in diesem Fall ist tatsächlich der Rassenhaß, der gleichzeitig zum Religionshaß wird. Es ist doch nicht zweifelhaft, daß tatsächlich auf dem Boden dieser - nennen Sie (nach rechts) es "Weltanschauung", einer der rückständigsten Weltanschauungen, wenn es überhaupt eine solche sein sollte,

(sehr gut! links)

- daß auf diesem Boden eine Reihe von Verbrechen großgeworden ist

(sehr wahr! links)

und das die Presse, welche immer und immer wieder in der unwahrsten und verlogensten Weise - ich kann selbst ein Lied davon singen - die Angriffe und Verleumdungen gegen die Männer schleudert, die bereit sind, sich mit zur Verfügung zu stellen, um den unsagbar verfahrenen Staatswagen aus dem Dreck herauszuziehen, und damit erst den Boden bereitet, auf dem Attentate gemacht werden. Nicht diejenigen sind die eigentlichen Schuldigen, die letzten Endes in ihrem betörten Wahnsinn zur Waffe greifen, sondern diejenigen, die die Saat ausgestreut haben, die Giftsaat, aus der das Attentat wuchert.

(Lebhafte Zustimmung und Beifall bei den Deutschen Demokraten und links.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hildebrand.

Hildebrand, Abgeordneter:6 Meine Damen und Herren! Gegenüber der Beanstandung und Beschwerde des Herrn Bruhn, daß man die


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