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Staatspolitische Arbeitsgemeinschaft der Deutschnationalen Volkspartei

Quelle: Bundesarchiv Potsdam, Bestandssignatur (DNVP), R 8005/327 S. 33-38 (R)
(Abschrift. Hervorhebungen im Text und Erläuterungen in eckigen Klammern wurden von mir eingefügt)

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14. Arbeitsabend.
Freitag, den 6. Juni 1919

"Kommentar zur Quelle Teil 1

Thema: Stellung der Deutschnationalen Volkspartei zum Judentum
Referent: Herr Rechtsanwalt Dr. Krämer,
Korreferent: Herr Pfarrer Dr. Traub

Herr v. Hassel eröffnet den Arbeitsabend mit der Bitte, die Erörterung rein sachlich zu gestalten. Er führt etwa aus: Wir müssen beweisen, daß wir fähig sind, diese schwierige und umstrittene Frage ruhig und leidenschaftslos zu behandeln. Wir werden heute sehr verschiedene Anschauungen hören. Wir müssen uns gegenseitig dulden und das ist nur möglich, wenn die Anschauungen in einer rein sachlichen Form vorgetragen werden. Ich möchte ferner daran die Bitte knüpfen, heute dafür zu sorgen, daß der vertrauliche Charakter unserer Besprechung unbedingt gewahrt bleibt.

Rechtsanwalt Dr. Kraemer: Meine Damen und Herren! Die Stellung zum Judentum ist ein Problem, das das deutsche Volk besonders in den letzten Jahrzehnten dauernd bewegt hat. Auf den Grad der Bewegung ist allerdings die allgemeine politische Lage im Innern und Äußeren von Einfluß gewesen. Ihren Höhepunkt gewann die antisemitische Bewegung wohl Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre. Dies stand zweifellos im Zusammenhange mit dem auf die Gründerjahre folgenden Niederbruch der deutschen Wirtschaft, für den man nicht ohne Grund Juden verantwortlich machte. Die Bewegung ist dann langsam zurückgegangen, und zu Beginn des Krieges hatte die Kurve wohl ihren Tiefpunkt erreicht. In dieser Zeit nahm selbst das Preußische Offizierskorps Abstand von seinem Grundsatze, Bewerbern jüdischen Glaubens den Zugang zu verschließen, und e sind während des Krieges eine Reihe von Juden in Preußen zu Offizieren befördert worden. Aber schon während des Krieges begann die Kurve wieder zu steigen. Man glaubte die Mißwirtschaft der Kriegsgesellschaften den darin tätigen Juden zur Last legen zu müssen, wies darauf hin, daß auffallend viel Wehrpflichtige jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft vom Heeresdienst freigestellt würden, und daß die großen Kriegsgewinne vorwiegend in jüdische Taschen flößen. Vollends der Ausgang des Krieges hat dann der antisemitischen Bewegung neuen Boden gegeben, denn es ist kein Zweifel, daß sich an den Ereignissen, die zu dem überaus traurigen Ende des Krieges geführt haben, Angehörige des jüdischen Glaubens oder doch der jüdischen Abstammung in hervorragendem Maße beteiligt haben.

Ein Blick auf diese Bewegung läßt klar erkennen, daß jede politische Partei Stellung zur Judenfrage nehmen muß. In einem Bericht über die Tagung des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ist folgendes zu lesen: "Bezüglich der Stellung des Vereins zu den politischen Parteien kann mit Genugtuung festgestellt werden, daß die deutsche Volkspartei mit aller nur wünschenswerten Klarheit vom Antisemitismus abgerückt ist, wie dies aus einem diesbezüglichen Schreiben des Vorsitzenden der Fraktion der Deutschen Volkspartei in der Nationalversammlung hervorgehe. Aber auch bei der Deutschnationalen Volkspartei herrsche Klarheit, leider im entgegengesetzten Sinne. Dort stehe man nach wie vor auf dem Standpunkt des finstersten Mittelalters." Woher der Berichterstatter diese Klarheit gewonnen hat, weiß ich nicht, vielmehr ist, soweit ich sehen kann, bisher von der Deutschnationalen Volkspartei noch keinerlei klare Stellung zum Antisemitismus eingenommen worden. Umso mehr begrüße ich die Tatsache, der der Vorstand unserer Staatspolitischen Arbeitsgemeinschaft die sich der Erörterung dieser Frage entgegenstellenden Widerstände überwunden und uns zu der heutigen Erörterung eingeladen hat.

Ich sagte, daß jede politische Partei klare Stellung zum Antisemitismus nehmen muß. Wenn ich diese Klarheit auch von unserer Partei verlange, so halte ich es für ganz selbstverständlich, daß die verantwortliche Parteileitung antisemitische Hetzflugblätter, wie sie hier vor mir liegen, nicht billigen darf, ganz gleichgültig, welche Stellung die Partei zum Antisemitismus einnimmt. Diese Flugblätter sind im Wahlkampfe unter dem Namen der Deutschnationalen Volkspartei herausgekommen, allerdings von keiner verantwortlichen Parteistelle unterschrieben. Flugblätter dieses Stils, die tatsächlich auf das finsterste Mittelalter zurückgreifen, müssen meiner Überzeugung nach unter allen Umständen die Partei auf das schwerste schädigen. Solche Auswüchse müssen unterbleiben, ganz gleichgültig - wie gesagt - welche Stellung die Partei zum Antisemitismus einnimmt. Von der Form der Flugblätter ganz abgesehen, kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Es wird von unserer Seite mit vollem Rechte der gegnerischen Agitation der Vorwurf gemacht, daß sie den Volksmassen Versprechungen gebe, die niemand erfüllen könne. Diesem Vorwurf dürfen wir uns nicht aussetzen. Versprechungen von denen sich jeder vernünftige Mensch sagen muß, daß sie nie und nimmermehr in die Praxis umgesetzt werden können, dürfen auch zu Zwecken der Wahlagitation nicht gemacht werden. Wenn dann, wie wir alle hoffen, die Entwicklung der Dinge einmal wieder dahin führt, daß die Verwirklichung unserer politischen Forderungen und Ideale in greifbare Nähe rückt, würden wir nicht in der Lage sein, solche Versprechungen einzulösen.

Wende ich mich nun zu der Frage selbst, welche Stellung die Deutschnationale Volkspartei zum Judentum einnehmen soll, so möchte ich vorausschicken, daß man bei Beantwortung der Frage in doppelter Richtung unterscheiden muß. Man kann die Judenfrage als Glaubens- oder als Rassenfrage ansehen, und man wird unterscheiden können, welche Stellung der einzelne als Person, und welche Stellung die politische Partei zum Judentum einnehmen soll.

Unter der bis zum November 1918 geltenden Gesetzgebung ist die Frage eigentlich rein als Glaubensfrage behandelt worden. Es ist ihnen bekannt, daß durch das Norddeutsche Bundesgesetz betr. der Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung vom 3. Juli 1869 alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte aufgehoben worden sind, und daß insbesondere die Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein sollte. Diese Bestimmung stand auf dem Papier und wurde nicht durchgeführt. Ich sagte schon vorher, daß das preußische Offizierskorps sich bis zum Kriege dagegen verwahrt hat, Angehörige des jüdischen Glaubens aufzunehmen. Es ist aber zweifellos vielfach vorgekommen, daß getaufte Juden oder wenigstens deren Abkömmlinge auch in Preußen Reserveoffiziere wurden. Kein Jude konnte in Preußen zweitinstanzlicher Richter werden, während die erstinstanzlichen Richterstellen ihm offen standen. Ließ er sich taufen, stand auch seiner Berufung in die höheren Instanzen nichts im Wege. Diese Behandlung der Frage ist falsch, denn sie verleitet den Juden dazu, sich taufen zu lassen, ohne daß er innerlich vom Judentum loskommt. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: Heinrich Heine hat sich taufen lassen, um in den preußischen Staatsdienst aufgenommen werden zu können. In seiner zynischen Weise hat er aber selbst gesagt: "Es geschah aus Luxusübermut, da er nichts so sehr haßte als das Christentum und nichts so als das Kreuz, da er im Herzen ein Jude sei."

Faßt man dagegen die Frage als Rassenfrage auf, so gewinnt die ablehnende Stellung gegenüber dem Judentum zweifellos erheblich an Berechtigung. Die jüdische Rasse ist der deutschen nicht nur wesensfremd, sondern sie steht in einem ausgesprochenen Gegensatz mit ihrer Weltanschauung und ihrer Lebensauffassung zu der deutschen. Trotzdem erheben sich auch bei der Behandlung der Rassenfrage außerordentliche Schwierigkeiten, die daraus entspringen, daß die Reinheit der deutschen Rasse durchaus nicht erhalten ist. Es steht vielmehr fest, daß nur eine Minderheit der deutschen Bevölkerung rassenrein ist. Wird man sich aber darüber klar, daß die Abgrenzung der Rassen im deutschen Volke gegeneinander nicht möglich ist, so entsteht sofort die Frage, wo nun die Grenze liegt, wie viel Prozent deutschen Blutes der Mann noch haben muß, um als deutscher Abstammung gelten zu können. Diese Frage ist schwer, oder wohl überhaupt nicht zu lösen.

Danach bleiben meiner Auffassung nach nur eine Möglichkeit übrig, wie man eine positive Stellung zu dem Problem gewinnen kann. Sie ist schwer zu formulieren, aber vielleicht gerade am ehesten vom Standpunkt der Deutschnationalen Volkspartei aus zu beantworten. Diese muß unter allen Umständen Front gegen alle Gesinnung, die nicht deutsch, nicht national und volksfeindlich ist. Machen. Daß sich solche Gegensätze gerade unter den Juden finden, ist unbestreitbar, aber man darf meiner Überzeugung nach sie nicht deshalb bekämpfen, weil sie Juden sind oder von Juden abstammen, sondern weil sie deutschfeindlich, -inter- oder antinational und volksfeindlich sind.

Damit bin ich eigentlich schon auf die Stellungnahme eingegangen, die ich für die Partei als geboten ansehe. Vorher möchte ich aber noch mit einem Worte betonen, daß für den Einzelnen seine Stellungnahme insoweit unabhängig von der Partei sein kann, als er für seine Person sich auch Juden und Judenabkömmlinge gegenüber ablehnend verhalten will.

Für die Partei halte ich den Antisemitismus aus deshalb für verfehlt, weil er gerade dazu beigetragen hat, die von uns als gefährlich erkannten Eigenschaften der Juden zu stärken. Gerade der - ich möchte sagen, latente Antisemitismus, den die preußische Staatsgebahrung bis zu Revolution getrieben hat, hat vielfach dazu beigetragen, eine staatsfeindliche und schließlich revolutionäre Gesinnung in den Juden großzuziehen. Da hätte ich es noch für besser gehalten, fair und offen die gesetzlichen Bestimmungen über die Gleichberechtigung der Konfessionen und der Staatsbürger aufzuheben. Gerade der Antisemitismus hat meiner Meinung nach die jüdische Bevölkerung, die an sich durchaus verschiedene Interessen hat, in dem einen, nämlich in der Abwehr des Antisemitismus, zusammengeschlossen. Vergegenwärtigt man sich der Geschichte der jüdischen Einwanderung, so erkennt man, daß der Zug von Osten nach Westen geht. Über die galizische und polnische Grenze wandern die Juden zunächst gewöhnlich als umherziehende Handelsleute ein. In der zweiten Generation werden sie in den Ostprovinzen seßhaft und kommen als Handwerker und kleine Gewerbetreibende zu mittlerem Wohlstand. In der nächsten Generation sind sie in Berlin und gehen weiter nach Westen. Daher kommt es wohl, daß die Zusammensetzung unseres Judentums eine andere ist, als in den westlichen Staaten Europas. Jedenfalls folgt aber daraus, daß unsere jüdische Bevölkerung durchaus nicht gleichgeartet, gleichwertig und gleichgerichtet ist. Durch den, wie ich sagte, latenten Antisemitismus ist der Mangel an deutscher Staatsgesinnung in der jüdischen Bevölkerung verstärkt worden und hat dazu beigetragen, daß gerade Juden vielleicht mit die Hauptschuld an der Revolution und dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches tragen.

Aber auch im Blick auf das Ausland erscheinen die Folgen des Antisemitismus bedenklich. Rußland war vor dem Kriege das klassische Land des Antisemitismus und war doch das erste europäische Staatswesen, das den Juden in die Hände fiel. Lenin und Trotzki, die jetzigen russischen Machthaber, sind Juden. Und es ist auch kein Zufall, daß in den beiden anderen europäischen Staatswesen, die bisher einen Versuch mit der Rätewirtschaft gemacht haben, Ungarn und Bayern, der Antisemitismus eine große Rolle gespielt hat.

Trotz der Beteiligung des Judentums an der Revolution besteht für mich kein Zweifel, daß der jüdischen Bevölkerung auch heute noch sehr breite Kreise vorhanden sind, die durchaus empfinden, und denen die jüngste Entwicklung und Beteiligung des Judentums daran außerordentlich gegen den Strich geht. Diesen Kreisen ist das Eintreten für das deutsche Vaterland während des Krieges durchaus ernst und Überzeugungssache gewesen. Ich habe selbst im Felde an einer Stelle gestanden, die mit verantwortlich dafür war, daß Juden der Zugang zum Offizierskorps eröffnet wurde und kann nur sagen, daß ich mit dem größten Teil meiner jüdischen Untergebenen die allerbesten Erfahrungen gemacht habe. Ich kann es deshalb durchaus nicht beklagen, daß Juden zu Offizieren befördert worden sind.

Für die Stellung der Partei zum Judentum muß ferner berücksichtigt werden, daß mit seiner völligen Zurückdrängung dem Staatsleben Kräfte verloren gehen, die es meiner Meinung nach nicht entbehren kann. Ich denke dabei zunächst an die Bedeutung der Juden für das Wirtschaftsleben. Man mag die Stellung, die das Judentum im Wirtschaftsleben nicht nur in Deutschland, sondern wohl der ganzen Welt hat, beklagen, aus der Welt schaffen wird man sie nicht mehr können. Dabei möchte ich kurz eingehen auf eine Anschauung vom Wirtschaftsleben, die ich in diesen Kreisen äußern hörte, und die ich für verfehlt halte. Ich möchte sie mechanisch nennen. Es ist hier in der Erörterung, die sich an den Vortrag über den Kapitalismus schloß, gesagt worden, daß der Zusammenbruch der Weltwirtschaft zurückzuführen sei auf die Tätigkeit eines internationalen Kreises von Geschäftsleuten, die ohne wirtschaftliche Berechtigung aus der Bewegung von Vermögenswerten Nutzen zögen und nur zu diesem Zwecke diese Bewegung veranlaßten. Das halte ich für falsch. Es mag für eine gewisse Zeit möglich sein, das Wirtschaftsleben in einer solchen Weise zu beeinflussen, auf die Dauer wird es sich selbst dagegen zur Wehr setzen und wirtschaftlich unberechtigte Einflüsse ausschalten. Insofern gilt auch für das Wirtschaftleben das Gesetz der Selbstreinigung des Wassers. Die Tatsache, daß sich Jahrhunderte hindurch das deutsche Finanzwesen zu einem nicht geringen Teil in jüdischen Händen befunden hat und noch befindet, ist nicht zu bestreiten, und ich sehe keine Möglichkeit, sie etwa durch Gesetz zu beseitigen. Die Ursache dafür ist in erster Linie in dem vom kanonischen Recht aufgestellten Verbot des Zinsennehmens zu suchen. Dieses Verbot hat mit Naturnotwendigkeit das Geldverleihgeschäft in die Hände der Juden gebracht. Im übrigen ist gerade die Geschichte dieses Verbots ein Beweis für die Richtigkeit meiner Auffassung, daß sich das Wirtschaftsleben keine mit seinen Bedürfnissen im Widerspruch stehenden Gesetze auferlegen läßt. Denn dieses Verbot ist mehr und mehr in Vergessenheit geraten und schließlich meines Wissens auch förmlich aufgehoben worden.

Vom Wirtschaftsleben abgesehen stecken aber auch im Judentum weitere intelligente Kräfte, die wir nicht entbehren können. Ich will Sie nicht mit einzelnen Beispielen aufhalten, aber jedem werden solche zur Hand sein. Auf allen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft haben Juden eine hervorragende Rolle gespielt, und zum Teil jedenfalls mit vollem Recht auf Grund ihrer Intelligenz Ein Beispiel will ich Ihnen nennen, das gerade konservative Politiker gelten lassen werden: Stahl, ein hervorragender konservativer Politiker und Staatsrechtslehrer, ist Jude gewesen.

Meine Damen und Herren, ich bin damit am Ende dessen, was ich Ihnen vortragen wollte. Wenn meine Darlegungen vielleicht etwas unzusammenhängend gewesen sind, bitte ich um Entschuldigung, weil ich in der Zeit für die Vorbereitung meines Vortrags leider sehr beschränkt war. Auch bin ich mir bewusst, in keiner Weise erschöpfend gewesen zu sein, insbesondere habe ich, dies jedoch auf Grund einer Verabredung mit meinem verehrten Herrn Mitberichterstatter, keinerlei Stellung zu der Bewegung des Zionismus genommen, auf diese wird mein Freund Traub eingehen. Zwar bin ich überzeugt, daß es mir nicht gelungen sein wird, alle Zuhörer, die mit einer der meinen entgegengesetzten Auffassung hierher gekommen sind, zu überzeugen, aber ich danke Ihnen, daß Sie meinen Ausführungen mit Ruhe gefolgt sind und bitte versichert zu sein, daß ich das, was ich gesagt habe, als deutschnationaler Politiker sagen zu müssen glaubte.

Literaturhinweise