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v. Oppeln-Bronikowski

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Staatspolitische Arbeitsgemeinschaft der Deutschnationalen Volkspartei

Quelle: Bundesarchiv Potsdam, Bestandssignatur (DNVP), R 8005/327 S. 33-38 (R)
(Abschrift. Hervorhebungen im Text und Erläuterungen in eckigen Klammern wurden von mir eingefügt)

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17. Arbeitsabend.
Freitag, den 27. Juni 1919

Thema: Stellung der Deutschnationalen Volkspartei zum Judentum

Kommentar zur Quelle

Herr v. Hassell: Meine Damen und Herren! Ich eröffne unseren Arbeitsabend. Wir haben leider insofern ein Mißgeschickt erlebt mit unserem Abend, als unser Referent, Herr v. Lindeiner abgesagt hat. Er wollte über Deutsch-Österreich sprechen, und er war dazu besonders qualifiziert, da er im Auftrag der Partei in Österreich gewesen ist.

Wir haben geglaubt. Unter diesen Umständen das Thema absetzen zu sollen, weil wir es nicht mit praktischen Nutzen besprechen können. Wir hoffen, das nach der Sommerpause nachzuholen. Nun standen wir vor der Frage, was wir heute besprechen wollten, und da haben wir für zweckmäßig gehalten, die Frage zu Ende zu bringen, die wir neulich angefangen haben zu erörtern - Die Stellung der Partei zum Judentum. Wir haben versucht, die Herren und Damen zu benachrichtigen, die sich das vorige Mal noch zu Wort gemeldet hatten oder von denen wir annahmen, daß sie sich beteiligen würden.

Charakteristisch ist folgendes: Sie erinnern sich zum Teil unseres vorigen Abends, des Judenabends. An diesem Abend habe ich mich genötigt gesehen,, etwas paschaartig aufzutreten, um zu verhindern, daß wir in den Wahlversammlungston verfielen. Ich hatte auch den Eindruck, daß einige Herrschaften hier waren, die nicht ganz her gehörten. Das hat sich bestätigt, denn es hat in den Zeitungen sehr Sonderbares über diesen Abend gestanden. Es hieß, die Juden fühlten sich in der demokratischen Partei nicht mehr ganz wohl, infolgedessen wollten sie in die deutsch-nationale Partei abwandern. Weil sie aber gesehen hätten, daß dort die Antisemitien herrschten, so hätten sich ein philosemitischer Aktionsauusschuß gebildet, nämlich unsere Arbeitsgemeinschaft!

Mnn sieht hieraus, welche Nervosität auf diesem Gebiet herrscht. Mir ist auch vorgeworfen worden, ich hätte keinen waschechten Antisemiten als Korreferenten bestellt. Nun, ich würde mich sehr freuen, wen heute einer das Wort nehmen wollte. Ich möchte aber sagen, daß, wer sich auf den antisemitischen Standpunkt stellt, auch positiv Ich möchte aber sagen, daß, wer sich auf den antisemitischen Standpunkt stellt, auch positiv angeben sollte, was denn geschehen soll und bei welchem Prozentsatz jüdischen Bluts man mit dem Antisemitismus anfangen will. Nun, auf die Gefahr hin, daß der Ruf, in dem wir stehen, noch bedeutend schlechter wird, möchte ich unsere Unterhaltung damit beginnen, daß ich eine kleine Aufzeichnung vorlese, die mir der bekannte Schriftsteller Herr v. Oppeln-Bronikowski zugestellt hat. Er steht mitten in der literarischen Welt drinnen, und wie er mir heute schreibt, gibt es keinen Zustand der Negation, durch den er nicht hindurch gegangen ist. Auf der anderen Seite ist er Mitglied unserer Partei, preußischer Offizier und gehört einer adligen Familie an. Ich meine, das sind eine ganze Menge Garantien.
Er schrieb mir in dem Brief, mit dem er mir das Schreiben übersandte, er wolle diese Ansicht vertreten, auch wenn er es mit einigen faulen Eiern und Bierkrügen zu tun bekäme.
Das Schreiben lautet:

Denkschrift.

Zu den letzten Auseinandersetzungen über das Judentum muß ich einen völlig abweichenden Standpunkt vertreten, auf die Gefahr hin, mich bei Ihnen stark in die Nesseln zu setzen. Ich schicke voraus, daß ich weder in eine jüdische Familie "eingeheiratet" habe, noch das meine Verleger (Diederichs, Hobbing) Juden sind. Gelegentliche Beziehungen zu demokratischen Blättern habe ich seit dem Kriege ganz abgebrochen. Die zersetzende Tätigkeit des "Berliner Tageblatt" hasse ich ebenso, wie ich den Rummel um ein paar umgebrachte russische Juden (Leviné, R. Luxemburg) lächerlich finde. (Wo blieb der Protest bei der Ermordung der Münchener Geiseln, des sächsischen Kriegsministers, des Oberleutnants in Halle?) Was ich Ihnen zu sagen habe, ist also nur eine rein sachliche, uninteressierte Warnung. Die letzte Diskussion hat zwar auch mir wieder gezeigt, daß der Antisemitismus etwas Elementares ist, dem mit Gründen schwer beizukommen ist, ein - berechtigtest oder unberechtigtes - Vorurteil. Sollen wir, die geistige Elite, aber unser Verhalten nach Vorurteilen, nach den von Bethmann abgeschworenen, aber doch nicht abgelegten Sentimentalitäten richten, oder nach Realitäten? Sind wir ein Debattierklub oder eine staatspolitische Arbeitsgemeinschaft? Die Politik ist die Kunst des Möglichen, nicht eine Aufstellung "idealer Forderungen", die sich in absehbarer Zeit nicht erfüllen lassen? Die letzte Diskussion war so echt deutsch, so trostlos deutsch in ihrem Theoretisieren, daß weder reale Gesichtspunkte des Handelns brachte (außer dem auch von unseren Juden durchweg aufgestellten Postulat der Ostsperre [gemeint ist: Einwanderungsverbot für Ostjuden]), noch der Realität überhaupt Rechnung trug. Hat es einen Sinn, sich heute den Kopf über "Ausnahmegesetze" gegen das Judentum zu zerbrechen? Ebensogut könnten Sie in der Nationalversammlung die Wiedereinsetzung des Kaisers oder die Abschaffung der Sozialdemokratie beantragen. Ein schallendes Gelächter wäre die Antwort. Für eine deutschere Erziehung, besonders in unseren Kreisen, bin auch ich: glauben Sie damit allein des Judentums Herr zu werden? Sie wissen so gut wie ich, daß das Judentum in unserer Wirtschaft, im Bankwesen, in der Presse, im Theater, im Anwaltsstand dominiert, daß es seine mächtigen Konföderierten in der ganzen Welt hat. Und gegen eine solche Macht wollen Sie allein mit deutscher Erziehung einer dünnen Oberschicht, statistischen Zahlen und Angriffen in einer wenig einflussreichen Presse zu Felde ziehen? Damit erreichen Sie nichts weiter als eine Stärkung der jüdischen Position. Sie ziehen sich nur die Feindschaft einer unfassbaren, überall gegenwärtigen Großmacht zu, verbinden diese enger gegen sich und stoßen die wirklich einflussreichen jüdischen Kreise zurück, die im Grunde konservativ denken oder durch den Umsturz nach rechts abgerückt sind und die wir in unseren Kreisen viel besser gebrauchen könnten als im feindlichen Lager. Wie können Sie einerseits erklären, gegen den Eintritt von Juden in unseren Kreisen hätten Sie nichts, und zugleich eine Kampfansage gegen das Judentum en bloc koslassen? Glauben Sie, dann käme auch nur einer zu uns? Dann ist es ehrlicher offen zu sagen: wir wollen überhaupt keine Juden. Was soll man von der neulichen Unterscheidung eines Diskussionsredners sagen, Juden dürften bei uns eintreten, aber nicht in führenden Stellungen? Also Konservative zweiter Klasse. Und wie wurde das begründet? Der Begriff des Judentums wäre zu schwer zu fassen. Etwas mehr Begriffsklarheit hätte ich gewünscht. Dieser Vorschlag war ein contradictio in adjecto! Etwas mehr Begriffsklarheit überhaupt!

Das Judentum ist für Sie ein Schlagwort mit der ganzen Unklarheit aller Schlagworte. Sie geben zu, daß der Begriff gar nicht nach Rasse und Religion zu fassen ist. Bleibt also nur der Begriff der Gesinnung ["Gesinnungsjudentum" = "undeutscher Geist". Das konnte sich auf jeden beziehen, auch auf "Nichtjuden"]. Und das ist das Einzige, worin ich mit Ihnen übereinstimme[!]. Ein Mensch von der Gesinnung des "Berliner Tageblatts" und der "Frankfurter Zeitung" [oft als "Judenpresse" verunglimpft], ein Schieber und Wucherer [in der rechten Agitation Pseudonyme für "Jude"], ein Internationaler ist unter allen Umständen zu bekämpfen, ob Jude oder Nicht-Jude. ("Arier" ist auch eine Begriffsverwirrung; denn die Sprachwissenschaft, aus der der Begriff stammt, kennt nur arische Sprachen, nicht Rassen. Wollen Sie z. B. behaupten, die Sprache des Römischen Weltreichs sei ein Rassenmerkmal gewesen, oder die Sprache des griechischen Kulturkreises, in der u. a. auch die von Juden geschriebenen Evangelien verfaßt sind?) Lassen Sie lieber den Begriff des "Judentums" fallen und kämpfen Sie gegen den Geist des "Berliner Tageblatt", gegen Schieber, Wucherer und Internationalisten. Dieser Geist ist unter "Ariern" ebenso verbreitet wie anderswo, ja nach diesem Kriterium ist heute das halbe, durch den Krieg zersetzte deutsche Volk "jüdisch". Sind etwa Herr Gaedke oder Herr Persius oder Herr v. Beerfelde und tutti qanti "Juden"? Wie kann man andererseits behaupten, der Mensch sei entweder "Arier" oder "Jude". War Heine nicht unser größter deutscher Liederdichter seit Goethe, an dem sich ganze Geschlechter berauscht haben, der auf grunddeutsche Dichter wie Storm den tiefsten Einfluß hatte. Derselbe Bismarck, der, wie wir neulich gehört, über die Juden umgelernt hatte und jeden Antisemitismus verwarf, sagte von Heine: "Und vergessen die Herren denn ganz, daß Heine ein Lieddichter ist, neben dem nur noch Goethe genannt werden darf, und daß das Lied gerade eine spezifisch deutsche Dichtungsform ist?" Wenn der Deutsche sentimental wird, singt er Heines "Lorelei" - und nachher schimpft er über die Juden! Er macht das alte und das neue Testament zur Grundlage seines Glaubens, und doch stammen beide von dem jüdischen Volke, das das moralische Genie unter den Völkern war. Ohne diesen Widersinn bis in seine Tiefen auszuschöpfen, sehen Sie doch jetzt schon, daß man sich damit in unlösbare Widersprüche verwickelt. Wer das Judentum ablehnt, muß auch das Christentum ablehnen, und das haben konsequente Denker wie Dühring und Nietzsche auch getan. Denken Sie doch nur an die eine Tatsache, daß der Jude Stahl der Begründer des konservativen Staatsgedankens war! [Christentum war für ihn die Grundfeste des Konservatismus. Damit war klar: kein wirklich Konservativer konnte das Judentum an sich ablehnen, da das Christentum im Judentum wurzelte. Stahl war zum Protestantismus konvertiert.]. Daraus ergibt sich: 1. daß ein Jude zur gleichen Zeit aufbauend wirkte, in der ein anderer Jude, Karl Marx, sein Zerstörungswerk begann; 2. daß Juden sehr wohl deutsch-national sein können; 3. daß sie eine führende Stellung in der Partei sehr zu deren Vorteil einnehmen können; 4. daß man das "Judentum", wie Sie es verstehen, [also ein rein ideologisches, propagandistisches, kein "wirkliches" Judentum] am besten mit seinen eigenen Waffen bekämpft.

Ich erinnere beiläufig an den bedeutenden Kantforscher Cohen; ich selbst kenne einen stockkonservativen Juden, der heute in der Kantbewegung steht. Ich kannte Juden (sie sind tot) wie Ludwig Jakobowki, der deutsche Volkslieder gesammelt und selbst so deutsch empfundene Lieder verfaßt hat, daß selbst die "Tägliche Rundschau" ihn pries. Es gibt eine Menge Juden, die Sie offenbar nicht kennen, die nicht eine Spur von "jüdischem Erwerbssinn" haben, sondern verträumte, unpraktische Idealisten sind, wie die alten Talmudgelehrten, und es daher so wenig zu irgend etwas gebracht haben, wie ein spezifisch "deutscher Dichter" oder Schriftsteller, z. B. Leo Berg, einen unserer feinsten Aphoristiker, Samuel Lublinski, einen geistreichen Literarhistoriker usw. Wie kommt es, daß die treuesten Freunde und Anhänger des Antisemiten Schopenhauer Juden, wie Frauenstedt und Gwinner waren? Daß ein Antisemit wie Wagner, der aber auch nur die unchristliche, d. h. selbstsüchtige Tendenz des Judentums bekämpfte, zu seinen Freunden und Gönnern einen Generalmusikdirektor Levy hatte? Das alles ist nur denen bekannt, die das Problem mit Schlagworten abtun. Realpolitiker wie Bismarck und führende Geister wie Nietzsche dachten anders darüber. Gerade Nietzsche empfiehlt eine Auffassung des Judentums, eine Seßhaftmachung des "Ewigen Juden", er verspricht sich viel von einer Kreuzung des charakterstarken preußischen Junkertums mit dem jüdischen Intelektualismus, der, wie er richtig erkennt, hier so sehr fehlt. Und die Entwicklung hat die gleichen Wege eingeschlagen. Mag man es beklagen oder nicht, unser Adel ist durch Heiraten stark verjudet. Ein Beispiel von vielen: Die nachkommen des großen Schwerin tragen Rotschildches Blut. Ich sehe dabei ganz ab von jüdischen Adelsgeschlechtern wie die Henkell-Donnersmark, von Leuten wie dem General der Kavallerie v. Moßner und dem Marschall Limann v. Sanders, den böse Spötter Limann von Sandersleben nennen. Solche Leute, oder der napoleonische Marschall Masséna (Manasse) zeigen daß die Juden auch heute gute Soldaten sein könne, wie sie es in ihrer alten Heldenzeit waren.

Ein Einschuß jüdischer Intelligenz im Sinne Nietzsches könnte unserem Adel gewiß nicht schaden. Er war seit 200 Jahren ins Staatsjoch gespannt, verachtete traditionell alles andere als den Staatsdienst und errang sich infolgedessen nicht annähernd die wirtschaftliche Machtstellung, den freien Blick und die politische Führerschaft wie etwa die englische gentry. Die Folge war eine erstaunliche Geringschätzung geistiger Werte. Das Deutschland Goethes und Schillers war nie das Deutschland des Militär- und Beamtenstandes, der in diesen Traditionen aufwuchs, es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte ich das erst beweisen [es saßen Adlige - v. Raumer, v. Hassell, auch er selbst - in dieser Runde]. Denke ich selbst an meine Kadettenerziehung und an meine aktiven Offiziersjahre zurück, so packt mich noch jetzt ein Widerwillen gegen dies staatlich abgestempelte Banausentum. Weil ich von jeher geistige Interessen hatte, weil ich mich in der hellen Welt des Geistes und der Schönheit wohl fühlte, wurde ich von meinen Kameraden als Narr bemitleidet. Man mußte schon ein "Friedrich der Große" sein, sollte einem diese "Schwäche" vergeben werden! Wo hat unsere Regierung, die sich wesentlich aus unseren Kreisen ergänzte, jemals und besonders in der Not des Weltkrieges , einen Sinn für die macht des Geistes, für die richtige Behandlung und Bedeutung des Instrumentes der Presse gezeigt, die man mit recht die neunte Großmacht genannt hat? Alles, was schließlich geschah, kam zu spät und war stümperhaft, wie der wettlauf alter Droschkengäule mit erprobten Rennern [weshalb er für die Öffentlichkeitsarbeit der Partei gerne die "erprobten" Juden gehabt hätte!]. Wie lahm war die Presse- und Filmpropaganda im Inland und vor allem im Ausland! Die Engländer und Italiener machten es besser, und sie haben zum Teil deswegen gesiegt. Die Engländer nehmen einen jüdischen Zeitungskönig in ihren Dienst, ja sie machten ihn zum Lord; die Italiener kauften den genialen jüdischen Clown d'Annunzio, bezahlten ihm eine halbe Million Schulden undließen ihn in flammenden Reden und Worten das Volk aufpeitschen. Jedermann in Italien wußte, was der Mann wert war, und doch verschmähte man ihn nicht: ich habe vier Jahre in Italien gelebt und es erst sechs Wochen vor Kriegsausbruch verlassen, ich sage also nichts, was nicht jeder Kenner bestätigen muß! Wolle Gott, wir hätten in diesem Krieg nicht nur einen Bismarck, sondern auch einen Northcliff und d'Annunzio gehabt. [bedeutet: der Krieg sei an der Propagandafront verloren gegangen und nicht im Schützengraben. Die beiden "Juden" hätten vorgemacht, wie es geht. Deshalb ist der Gedanke naheliegend, nun ebenfalls Juden für die "nationale Sache" in Deutschland zu gewinnen.] gerade weil unsere Regierung einen antisemitischen Einschlag hatte, konnte das einflußreiche Judentum der französischen und italienischen Freimaurerlogen (Grand Orient) so leicht gegen uns mobil gemacht werden. Und wenn wir je wieder Handelsbeziehungen zu den beiden wirtschaftlichen Großmächten des Angelsachsentums aufnehmen wollen, die uns vor Hunger und Zusammenbr4uch retten können, so werden wir den Antisemitismus hübsch in die Erde stellen müssen oder die Wahl haben, in tadellos weißer "arischer" weste in Schönheit zu verhungern… So sehen die Dinge aus, wenn man nicht nach Theorie und Sentiments, sondern nach Tatsachen Politik betreibt.

Denselben Vorwurf der Unfruchtbarkeit aber, den ich unserer alten Regierung mache, erheb ich auch gegen unsere rechtsstehende Presse, die vor dem Kriege fast den Tiefstand der katholischen erreicht hatte. Weshalb las man z.B. - Hand aufs Herz - die "Kreuzzeitung"? Wegen der Familiennachrichten. Sie werden nicht behaupten wollen, daß man mit einem so altjüngferlich-langstieligen Feuilleton einen Hund hinter den Ofen hervorlocken konnte. Wer hatte die besten Feuilletons und Romane, die schnellsten Nachrichten, die geschickte Aufmachung? Die jüdisch-demokratischen Blätter, jedenfalls nicht die Konservativen. Viele griffen zu den ersteren, weil sie für ihr Geld da stets das Neueste in bestechender Form fanden, nicht aus gleicher politischer Überzeugung. Aber schließlich färbte auch diese ab, und aus Lesern wurden Anhänger. Es ist sehr schwer, sich gegen den täglichen Tropfenfall solcher politischen Einflüsterungen immun zu machen und das deutsche Volk ist zudem so naiv und vertrauensselig. Wo aber blieb eine wirkungsvolle Gegenaktion? Statt über die "jüdische Presse" zu zetern, was gar nichts nutzte, hätte man es ebenso machen müssen, nur geschickter und besser - mit oder ohne Juden, das ist zunächst einerlei, aber wenn es die Juden besser verstehen, dann auch mit ihnen [was hätten sie ihnen aber wie als konservatives Gedankengut anbieten sollen: Nationalismus gegen die moderne veränderte Welt des Wirtschaftsliberalismus? Protestantischer Idealismus gegen Marktmechanismus? Wie hätten sie die Allianz aus Thron und Altar gegen die Demokratie und dem Individualismus denn verteidigen können? Sowie den Rechtspositivimus gegen Naturrrecht und Menschenrechte?] Hier wie in allen praktischen Dingen, kommt es auf die Leistung an, nicht auf schöne Theorien und Gefühle. Sagen Sie nicht, die Juden hätten das Geld dazu, nicht wir. Daß es geht, lehrt der Großverlag Scherl. Aber auch bei uns ist das Geld da, nur das Interesse und Verständnis fehlt. Unser Großgrundbesitz hat dasselbe Geld wie das mobile Kapital, aber er kann sich nicht davon trennen und wirft es lieber morgen dem sozialistischen Staat in den Rachen, der es für A- und S-Räte und hohe Löhne verpulvert, als es heute für seine eigenen Interessen zu opfern. Ein konservativer Hauptschriftleiter mit dem ich darüber sprach, war völlig meiner Meinung. Und etwas ebenso Schlimmes ist dadurch mit verschuldet - die Abwanderung unserer Intelligenz zu den demokratischen Blättern. Ein Mann unserer Kreise - von Frauen gar nicht zu reden -, der eine schriftstellerische Ader hatte und sie aus Neigung oder Not verwerten wollte, fand bei den rechtsstehenden Blättern weder Aufnahme, noch weite Verbreitung, noch genügend Entlohnung. Ich spreche da aus 28jähriger bitterer Erfahrung. Was konnte man bei uns überhaupt von einer höheren freieren Warte besprechen? Wer seiner Gesinnung nach rechts stand, der konnte in den meisten Fällen als Mitarbeiter unserer Blätter seelisch und leiblich verhungern. Und so sahen wir denn den "Renomierbaron" als typische Erscheinung demokratischer Blätter, ebenso den "Konzessions-Schulzen" in den feudalen Regimentern des alten Kastenstaates. Ernst v. Wildenbruch veröffentlichte einen Roman im "Berliner Tageblatt", weil er da besserbezahlt wurde (Hört! Hört!) Ein Stockpreuße wie Fontane ging von der "Kreuzzeitung" notgedrungen zur "Vossischen" über. Einige von Ihnen kennen wohl sein berühmtes Gedicht, das er bei seinem 70. Geburtstag schrieb, aber in seinen gesammelten Gedichten zartfühlend nicht aufnahm. Er sagt da, er hätte erwartet, daß die Kröcher und Arnim und alle, die er in seinen Romanen Verherrlicht hatte, als Gratulanten erscheinen würden, aber gekommen seien nur die Aaron, David und Saul und der ganze alttestamentalische Adel. Und das Gedicht des Altpreußen schließt mit der bitteren Wendung: "Kommen Sie, Cohn!" Da haben Sie eins der typischen Beispiele dafür, wo die deutsche Literatur - und ebenso die Kunst - Förderung fand, und unter wessen Obhut sie verhungert wäre. Sogar Fontanes Biographie mußte ein Jude schreiben!

Realpolitiker wußten daher ganz genau, an welche Presse sie sich zu wenden hatten, um gehört zu werden. Ich erinnere nur an Graf Monts, der als Botschafter in Rom den Abfall Italiens schon vor zehn Jahren vor dem Krieg erkannte und als er bei der Berliner Regierung taube Ohren fand, wenigstens die Öffentlichkeit warnen wollte. Dazu wählte er nicht etwa die konservative Zeitung, sondern das "Berliner Tageblatt". Ein so feiner Diplomat wie der Bulgarische Gesandte Rizoff, der ohne seinen frühen Tod Radoslavovs Nachfolger geworden wäre und der dann den von der Entente betriebene Zusammenbruch unter dem Regime Malinow mit äußersten Kräften verhindert hätte, er wählte für seine Veröffentlichungen in Deutschland das "Berliner Tageblatt". Das bezeichnendste Beispiel aber ist: Bismarck und Harden. Nach Bismarcks jähem Sturze machte sich der junge Harden geschickt zum Wortführer der Bismarckschen Tradition und der vorwiegend konservativen Fronde gegen diesen Sturz und den "neuen Kurs" überhaupt. Die älteren unter Ihnen, die wie ich diese Zeit miterlebt haben, werden es bestätigen, daß die Opposition, ja der Ingrimm gegen dies Regime aus den allerkonservativsten Kreisen, aus den hohen Staatsbeamten und Militärs des alten Kurses hervorging. Erst mit den zunehmenden Torheiten dieses Regimes ging die Bewegung in die Breite und endete schließlich mit dem 9. November. Es war dem Realpolitiker Bismarck nun ganz egal, daß Harden ein Jude war; er nahm sich stets die Leute, wie er sie brauchte. Er trank mit Harden sogar jene berühmte "Versöhnungspulle" Steinberger Kabinett. Maßlos ungeschickt aber war es, daß der Mann Bismarcks von der "Kreuzzeitung" dauernd als "Isidor Wittlowski" angepöbelt und so von rechts ganz abgestoßen wurde. Niemand hatte Herrn Mosse und seine "Holzpapierplantage" schonungsloser und wirksamer angegriffen als dieser einstige Mosseschüler. [Similia Similibus Curentur, Gleiches mit Gleichem kurieren, war die Idee Oppeln-Bronikowskis, wie sie auch hier wieder gedanklich vorbereitet wird: Der Jude Harden gegen den Juden Mosse bzw. den "jüdischen Geist" des "Berliner Tageblatt"]. Einen so klugen und vieles wissenden Mann mußte man ganz gewinnen, nicht aber in die Opposition hineinstoßen und sich damit der besten Waffe gegen das "Berliner Tageblatt" selbst begeben. Es ist sonnenklar, daß Harden ganz anders und sowohl für unsere Partei wie für Deutschland überhaupt,, weit bessere Wege eingeschlagen hätte, wenn man ihn nach Bismarcks Vorbild weiter benutzt hätte, wenn z. B. nicht nur die "Kreuzzeitung" ihre antisemitischen Anwürfe gelassen, sondern wenn auch das Auswärtige Amt ihn nicht im Oktober 1918 als Retter in der Not angerufen und Säle für seine Vorträge angemietet hätte! [Um flammende Reden gegen die geplante und dann auch durchgeführte Parlamentsreform zu halten und somit gegen den Beginn der Demokratisierung.] Wahrscheinlich hätte er dann auch weniger Interesse für die Homosexualität eines Eulenburg gehabt, deren Enthüllung, einer der tödlichen Stöße für das Regime Wilhelm II. war. Hier haben Sie einen Schulfall von politischem Unverstand auf Grund des Antisemitismus [nimmt man die Hintergrundinformationen zur Affäre Eulenberg-Harden hinzu, erkennt man die erzkonservative und auch kriegstreiberische Einstellung v. Oppeln-Bronikowski].

Als der langjährige militärische Mitarbeiter des "Berliner Tageblatts", Major Morath, zur hochkonservativen "Deutschen Tageszeitung" überging, fand kein Mensch was dabei. Es war ein Sünder, der Buße tut, und im Himmel herrschte Freude darüber. Warum findet man etwas dabei, wenn Juden zu uns herüberkommen? Es gibt deren zwei Sorten: ehrgeizige Talente wie Harden, die einerlei wo ihren Wirkungskreis suchen, und andere, die das Treiben des "Berliner Tageblatt" aus politischer Überzeugung ebenso hassen, wie Harden es wohl aus persönlichen Gründen tat. Nach dem Grundsatz der Homöopathie: similia smilibus curantur, werden sie das Judentum, das Sie und ich hassen, am besten bekämpfen, denn sie kennen ihre Leute. Denken Sie nur an den neulichen Konflikt Bernhard ("Vossische Zeitung") und Mosse ["Berl. Tagebl."], wo Bernhard [beide jüd. Abstammung] selbst alle Register des Antisemitismus aufzog, aber ohne auf "die Juden" zu schimpfen. In der Tat kann man von keinem Juden etwas erwarten, wenn man ihm dabei sein Judentum unter die Nase reibt.

Auf den Austrag des inneren Konflikts zwischen Zionismus und Renegaten, d. h. der großen Masse der Westjuden zu warten, wie neulich hier vorgeschlagen wurde, ist dagegen zwecklos. Der Zionismus ist jüdische Romantik und wie alle Romantik ohne Zukunft. Wenn ich ein schönes Haus in Berlin oder die Anwartschaft darauf habe, müßte ich Tinte getrunken haben, wenn ich nach der Kalkwüßte Judäas übersiedelte, um dort zu hausen, wie die Patriarchen vor 3000 Jahren. Das täte nicht nur kein Westjude, sondern überhaupt kein vernünftige Mensch. Für das noch religiös gestimmte, kulturlose Ostjudentum, mag der Zionismus gut sein und dort eine für uns günstige Entspannung hervorrufen - besonders in Polen -, indem der Strom der Abwanderer sich nach Judäa statt nach Breslau lenkt. Zionismus und Ostsperre sind also gleichermaßen zu unterstützen, jener als Propaganda, dieser als Abwehr. Im übrigen kommt er für uns nicht in Rechnung. Unsere Hauptaufgabe bleibt, den anständigen Teil des Judentums unter grundsätzlichem Verzicht auf ausdrücklichen Antisemitismus zu amalgamieren und mit ihm vereint den unanständigen Teil des Volkes, Juden oder Nicht-Juden, zu bekämpfen.

Der Jude ist ein Gift, sagen Sie. Meinetwegen. Wenn ich - als alter Kavallerist - ein Pferd in schlechtem Futterzustand und mit ruppigem Fell habe, gebe ich ihm Arsenik, damit sein Fell glänzt und seine Glieder sich füllen. Gebe ich ihm zu viel so krepiert es. Der Jude mag so ein Gift sein, anregend in rechter Dosis, zerstörend in zu großer. Ein Zuviel ist in unseren Kreisen ausgeschlossen, eher besteht die Gefahr, daß wir das Arsenik überhaupt nicht anwenden und uns über den schlechten Futterzustand (z. B. unserer Presse) damit trösten, daß wir kein Arsenik gebraucht haben. Ein magerer Trost. Es ist meinem Vater ganz recht, daß ich mir die Finger erfrieren, sagte der Junge, warum kauft er mir keine Handschuhe? Die Logik ist ähnlich.

Mag ich einen Aufsatz bestellen, ein Pferd kaufen, einen Prozeß führen, so wende ich mich als Realist nicht an den Mann, der die schönste Seele hat, sondern der sein Geschäft versteht. Er soll den Prozeß gewinnen, ein gutes Pferd einen wirkungsvollen Aufsatz liefern. Was er sonst tut und denkt, ist mir einerlei. Nur ein völlig geschäftsunkundiger Ideologe wird sich an den wenden, der ihm sonst sympathisch sein mag, aber nichts leistet. Wie können Sie glauben, durch Beschluß Ihrer Versammlung ließe sich unsere Bevölkerung bewegen, die verlockenden Darbietungen der jüdischen Theater, Kinos und Zeitungen zu meiden! Welch erschreckender Mangel an Kenntnis des Menschenherzens liegt darin! Noch dazu ist die Sache praktisch gar nicht durchführbar. Wissen Sie, weiß Herr X. und Fräulein Z. denn jedesmal, wenn sie in ein Geschäft, ein Theater geht, eine Zeitung kauft, ob Juden daran beteiligt sind oder nicht? Es sind doch wenige nur so abgestempelt wie das "Berliner Tageblatt". Weiß z. B. der Durchschnittsdeutsche, daß sich hinter dem niederdeutschen Brahm ein Abrahamsohn verbarg? Oder wollen Sie schwarze Listen auf Grund einer Ahnenprobe, einen Semigotha für Geschäft und Theater herausgeben, im Stil des Boykotts gegen polnische Geschäfte im Posenschen? Einen Konkurrenten besiegt man nicht durch Boykotterklärungen, die nur seine Positionen stärken, sondern dadurch, daß man seine feindliche Firma sprengt oder bessere Reklame macht und sie durch billigere und bessere Leistungen unterbietet. Das ist das "Arsenik" des Judentums, der Anreiz zur Höchstleistung. In diesem Zusammenhang war es mir auch ganz unbegreiflich, daß wie neulich behauptet wurde, alle Juden Roßtäuscher seien, bei denen man schließlich stets hereinfällt. Wird jemand, der überhaupt im praktischen Leben steht, behaupten wollen, große Bankhäuser wie Bleichröder oder Mendelsohn ständen auf einer Stufe der Geschäftsmoral mit galizischen Roßtäuschern, oder Bühnen wie einst das "Deutsche Theater" unter Brahms Leitung ständen in ihren Leistungen oder in Ihrem Geschäftsbetrieb nicht höher als irgendeine jüdische Sensationsschmiere? Da herrscht dasselbe fair play wie in allen anständigen Unternehmen, und die Schieber und Schnorrer werden verachtet.

Es ist hier neulich gesagt worden, der Antisemitismus wäre eine schöne Sache, wenn ein tüchtiger Jude ihn organisierte. Das trifft den Kern des Problems. Wir werden der schlimmen Eigenschaften des Judentums nur dann Herr werden, wenn wir sie mit den guten Seiten des Judentums und mit Veredlung jüdischer Methoden bekämpfen. Es ist hier auch gesagt worden, der Jude sei anders geartet wie wir, wir sollten ihn deshalb nicht schmähen und verachten, sondern nur als "Fremdkörper" abstoßen. Zugleich aber erfüllen Sie den Begriff "Jude" in Ihrer Kampfansage mit allem Haß und aller Verachtung. Meine Herren, daß ist eine Moral mit doppeltem Boden. Seien Sie entweder so konsequent und so ehrlich, Ihrem Haß und Ihre Verachtung freien Lauf zu lassen, sobald Sie es überhaupt mit Juden zu tun haben, lassen Sie nichts Gutes an ihnen, brechen Die jede Beziehung zu ihnen ab, - wenn dies im Getriebe des heuteigen Lebens möglich ist - und tragen Sie alle Folgen davon. Oder lassen Sie diesen prinzipiellen Antisemitismus ganz fahren, hängen Sie nicht nur ein Mäntelchen des Wohlwollens darum, und unterscheiden Sie nicht mehr zwischen "Juden" und "Ariern", sondern nur zwischen Schädlingen und Nichtschädlingen. Das letztere liegt m. E. notwendig in der Linie der Entwicklung.

Sorgen Sie für eine radikale Modernisierung unserer Partei in diesem Sinne, besonders unserer Presse. Sorgen Sie dafür, daß unsere Intelligenz nicht mehr abzuwandern braucht, und stoßen Sie daneben die jüdische Intelligenz nicht fort. Sorgen Sie dafür, daß unsere Presse mit dem Schliff, der Feinheit und Witzigkeit der modernen Stilmittel auftritt, nicht nur mit steifleinenem "Ernst", trockener "Sachlichkeit" oder agrarischer Grobheit. Rühren Sie auch tüchtig die Reklametrommel für unsere Leute, d. h. für Fontane, Liliencron, Raabe, Börries, Münchhausen und so viele andere, für die zu sorgen Sie leider meist den Juden überlassen haben. Noch scheint mir wenig Aussicht darauf zu bestehen. Nicht mal das hat man bisher fertig gekriegt, ein nationales Witzblatt zu schaffen, und doch liegt der Stoff dazu auf der Straße. Sollte es wirklich unmöglich sein, für ein so blödes und seichtes Blättchen wie den Mosseschen "Ulk" [satirische Wochenbeilage des "Berliner Tageblatt"] ein ebenbürtiges Konkurrenzunternehmen zu schaffen? Noch dazu in unserer zeit, die Angriffspunkte über Angriffspunkte bietet. Wenn man heute nicht täglich vor Zorn knirscht, muß man sich vor Lachen den Bauch halten. Die ganze Revolution mit ihren A.- und S.-Räten ist in dieser Hinsicht nichts als eine blutige Farce. Sie wird von der Geschichtsschreibung der Zukunft als solche gewertet werden, mit dem Motto: Difficile est, satiram con scribere, oder wie Scheidemann sagt: "Soll Deutschland ein Tollhaus werden?" Nur über eins wird man sich wundern, über die Geistesarmut der Opposition [die DNVP], die diese Fundgrube nicht benutzt hat. Wenn wir vor Ekel nicht ersticken wollen, müssen wir uns durch Lachen befreien: das gehört schon zur Hygiene Es ist eine Rettung der Seele auf die Höhe heller, hoher Geistigkeit, von der herab der ganze Bettel nur noch als schlechter Weitz erscheint. Aber mehr als das: Der Witz ist die tödliche Waffe und die gegebene Waffe jeder Opposition: machen Sie doch von Ihrem Oppositionsrecht Gebrauch! Wer die Lacher auf seiner Seite hat, hat gewonnen. So hat der "Simplizissimus" gewirkt, so Voltaire, der den französischen Klerikalismus seiner Zeit mit Lachen getötet hat. Warum soll diese Waffe immer nur gegen uns gerichtet werden, wo so viel mehr Anlaß ist, sie für uns zu gebrauchen? Ich bin mit solchen Vorschlägen an eine rechtsstehende Zeitung herangetreten, aber ich fürchte, man wurstelt dort in den altgewohnten, ausgefahrenen Gleisen weiter Auch in dieser Hinsicht könnten wir von den Juden lernen, sei es mit ihrer Beihilfe, sei es ohne sie. Wen wir es besser verstehen.

Meine Herren, Ich wende mich hier besonders an die jüngere Generation, die die Zukunft in sich trägt. Die Jugend ist immer heißspornig, das zeigte auch die neuliche Debatte, wo von drei Abgeordneten, die hier sprachen, ihre staatsmännische Ruhe faßt zum Vorwurf gemacht wurde. Und doch hatten sie m. E. weit mehr Rechte als die hitzige Jugend mit ihrem radikalen, aber unbrauchbaren Draufgehen. Das Feuer ist das Vorrecht der Jugend, aber es muß bestimmt werden, durch praktisches Denken und zu aufbauender Arbeit führen, nicht zum bloßen Regime. Die Linien, die ich gezogen habe, bieten der Jugend ein weites Feld für praktische Arbeit, Überwindung alter Vorurteile, Entfaltung von Feuer und Witz. Es kommt noch eins hinzu. Unser stolzes Heer ist dahin. Die beamtenlaufbahn wird vielen, seit der Glanz der Krone nicht mehr auf ihr liegt, nicht mehr erstrebenswert sein, selbst wenn sie dem Kopfarbeiter dereinst mal materielle Gleichberechtigung mit dem Müllkutscher bietet. Somit werden viele Kräfte, die bisher der Staat gebunden, ja verschlungen hat, frei für politische, literarische und Kulturaufgaben, gerade in unseren Kreisen. Sind diese Kräfte ernsthaft durch die Schule der Moderne gegangen und werden sie richtig geleitet, so sind sie das kostbarste, was wir dem Vaterland bieten können. Der A. G. Naumann hatte ganz recht, als er neulich sagte, in dieser Hinsicht werde die Revolution gerade für die Konservativen ein Segen sein. Werden diese Kräfte frei, so wird auch die Revolution, die bisher so ganz negativ für uns war, nicht ganz umsonst gewesen sein, so teuer wir sie auch zu bezahlen haben. Sie können aber nur nutzen unter dem Gesichtspunkt realpolitischen Denkens im Sinne von Bismarck. In diesem Sinne sind auch die Ausführungen über das Judentum und unsere Stellung zu ihm nur ein Ausschnitt aus einem allgemeinen, zusammenhängenden Tatsachenkomplex, und ich habe gehalten, was ich anfangs versprach, daß ich weder als Anti- noch als Philosemit reden wollte, sondern lediglich die Wege praktischer Politik aufklären, die uns aus dem heutigen Sumpfe herausführen können.

Fr. v. Oppeln-Bronikowski.

Literaturhinweise

Staatspolitische AG Dissertation, H.D. Bernd, Seite 90ff.

Jan Striesow
Die Deutschnationale Volkspartei und die Völkisch Radikalen 1918-1922, Bd. 1

Quellmaterial: v. Delbrück zur Staatspol. AG März 1920

Delbrück resümiert über die Zeit vom 30. September 1918 (Parlamentarisierung, konstitutionelle Monarchie),über 09. Nov. 1918 ("Blutige Revolution" und Räterepublik) bis fast zum Ende der Nationalversammlung (21. Mai 1920. v. Delbrück beschreibt die gesamte Entwicklung aus deutschnationaler Sicht.
(Hinweis: "DFG-Viewer" anklicken)