Weimarer Republik


Zurück zur Titelseite oder Zurück zur Homepage

Weiterführende Links

Weitere Stichworte:
F. Edler v. Braun

Erläuterungen zur Sitzung Nr. 110,
1. Legislaturperiode


___________________________________________________________________________________________________

Diese Sitzung ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Deutschkonservativen mittels Antisemitismus zum einen die völkische Massenbasis zufrieden zu stellen gedachte und darüber hinaus für ihre eigentlich Klientel Besitzstandsverteidigung zu betreiben.

Es geht um die Erfüllung des Londoner Ultimatums. Otto Wels (SPD) legt dar, was das konkret für den Staatshaushalt bedeutet: Zahlung von 2 Milliarden Goldmark jährlich plus 1,6 bis 3 Milliarden Goldmark je nach Exportkonjunktur an die Entente. Aufgrund einer Exportabgabe hätten französische und britische Bezieher deutscher Waren, bei der Begleichung der Rechnungen, direkt 26% des Rechnungsbetrags einbehalten dürfen! Bei einem Rechnungsbetrag von 10.000 Reichsmark (z.B.) hätten die deutschen Lieferanten also nur 7.400 von ihren frz. oder britischen Kunden überwiesen bekommen. Den Rest hätte der dt. Staat den deutschen Lieferanten rückvergüten müssen. Dies hätte laut Wels bedeutet: Je mehr die deutsche Industrie exportiert, um so mehr müßte der deutsche Staat an die Industrie bezahlen (rückvergüten)! Die Folge wäre: reiche Industrielle und total verarmter Staat und damit auch Ende jeglicher Sozialstaatlichkeit. Deshalb will Wels das Ultimatum anders erfüllen. Er will alle Besitzer sog. Goldwerte zur Begleichung heranziehen. Der gesamte Privatbesitz solle mit 20% Hypotheken belegt werden. Im Klartext: Jeder Hausbesitzer, jeder Landwirt und jedes Unternehmen soll den Wert seiner Immobilien bei der Bank mit 20% beleihen und diesen Kredit dem Staat zur Begleichung der Kriegsschulden an die Siegermächte zur Verfügung stellen! Es sei der hungerleidenden Bevölkerung nicht mehr zumutbar, die Kriegsschuld weiterhin mittels Inflation und steigenden Verbrauchssteuern begleichen zu lassen.

Hier gegen kontert der Redner der Deutschnationalen, Edler v. Braun, mit antisemitischer Hetze, indem er die Regierung als Erfüllungsgehilfe des internationalen jüdischen Finanzkapitals darstellt. Dieser antisemitische Affront, war zuvor in der Fraktion der DNVP lang und breit diskutiert worden, bis die Völkischen die Fraktion soweit hatten, daß sie v. Braun dazu verpflichtete, in seiner Haushaltsrede als Präsident des Wirtschaftsrates den Antisemitismus zu bedienen. (Deutschnationales Rüstzeug: Die Deutschvölkische Freiheitspartei, Zweite ergänzte Auflage, S.37, Jahrg. 1924) Denn schon lange hatten die Völkischen in der DNVP gefordert, daß einmal ein Prominenter des Konservatismus endlich die 'Juden beim Namen nenne' und zwar an bedeutendem Ort und zu einem wichtigen Thema. Wörtlich heißt es in einer Zurückweisung der DNVP an den völkischen Vorwurf, die DNVP habe nicht genügend gegen die Juden agitiert, weil diese "in England das Heft in der Hand hielten und wir ohne Englands Hilfe nicht gerettet werden könnten": Dieser Vorwurf "breche allein schon dadurch zusammen, daß Herr von Braun auf fast einstimmigen Beschluß der Fraktion in seiner Rede das internationale jüdische Großkapital genannt und angegriffen hat." In diesem Zusammenhang hatten die Völkischen in ihrem "Rüstzeug Nr. 11" moniert: "Die Fraktion beriet zwei Stunden, ob Abg. Von Braun in seiner Etatrede das Wort ‚Jude' gebrauchen solle."

Durch die Erfüllung dieser Forderung versuchten die Deutschkonservativen die völkischen "Schmuddelkinder" im Jahre 1921 noch als Garant für eine (un)politische Massenbasis bei der Partei zu halten, und lenkten darüber hinaus billigend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bei diesem Thema von sich und ihrer Klientel weg auf einen Sündenbock: "die Juden", die - so die oft geäußerte Polemik seitens der Völkischen als auch der Konservativen - sich mittels des Sozialismus in den Besitz des deutschen Grundvermögens und somit in den Besitz der wirtschaftlichen Substanz bringen wollten, ohne die ein Wiederaufstieg Deutschlands nicht möglich sei.

Literaturhinweise