1. Reichstag, Weimarer Republik


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Ausschwitz

Erläuterungen zur Sitzung Nr. 21, 1. Legislaturperiode

In diesem Debattenauszug geht es vordergründig um die Ausweisung hoher russischer Sowjets. In Wirklichkeit aber geht es der Rechten (DNVP und Völkische) darum, das Thema in antisemitischer Polemik gegen die Parteien der "Weimarerer Koalition" (SPD,DDP, Zentrum aber auch USPD) zu instrumentalisieren und sie als verkappte "Judenfreunde" hinzustellen, die mit ihrer Liberalität die innere Sicherheit Deutschlands gefährdeten, indem sie solchen Leuten Reisefreiheit in Deutschland gewährten.

Sinowjeff bzw. Sinowjew (Bolschewik) wurde von den Abgeordneten der DNVP bzw. den Völkischen stets mit Apfelbaum bezeichnet, um so die eigentlich jüdische Herkunft dieses bedeutenden Sowjetführers zu unterstreichen. Ziel war es, das Sowjetsystem und den Kommunismus- Sozialismus als menschenverachtendes, jüdisches Machwerk zu denunzieren, mit dem Ziel, die Bevölkerung in Deutschland auch unter antisemitischem Vorzeichen gegen die Sozialdemokratie zu mobilisieren bzw. die Arbeiterschaft der SPD und USPD zu entfremden. Daß Sinowjew die "blutige Revolution", die der "trockenen", laut rechter Agitation, folgen sollte, auch nach Deutschland exportieren wollte, stand bei allen Parteien außer Frage. Deshalb stand er die gesamte Zeit über in Deutschland unter besonderer Beobachtung (Wikipedia erwähnt seine Terrorherrschaft in Leningrad nicht.)

Abgeordneter Wulle (DNVP) später Deutschvölkische Freiheitspartei. Legt dem Reichstag genüßlich die Gräueltaten Sinowjews dar, um das antisemitische Agitationsmaterial der Deutschnationalen entsprechend aufzuladen. Ziel der Rede ist nicht so sehr die Darlegung der Mißstände im revolutionären Rußland (Sowjetunion), sondern der Angriff auf USPD und SPD, sowie auf die übrigen demokratischen Parteien: Zentrum und DDP. Rußland dient ihm als Schreckgespenst, das auch von Deutschland Besitz ergreifen werde, wenn man diese Parteien weiter wie bisher gewähren ließe. So kann man diese Rede in etwa interpretieren.

Welche Ausstrahlung das Thema Bolschewismus bzw. "jüdischer Bolschewismus" bis in unsere Tage hinsichtlich der Vergangenheitsbewertung einnehmen kann, sieht man an einem Beitrag des ehemaligen Abgeordneten des Bundestages Martin Homann (CDU). Der in recht eigenwilliger Art die Rolle der Juden in und nach der Oktoberrevolution in Rußland bewertete, um diese Bewertung dann zur Relativierung deutscher Schuld an den Juden (Holocaust)zu benutzen. Seine Rede zum 03. Oktober 2003 führte zum Ausschluß aus Ämtern und Partei. Siehe auch "Historikerstreit", der von Ernst Nolte ausgelöst wurde durch die Infragefragestellung der Einzigartigkeit des Holocaust. Auch er gab den Verweis auf die Revolution in Rußland, die Täter und ihre Opfer. Der "Archipel Gulak" , so Nolte, habe zeitlich vor Ausschwitz gelegen. Womit einer fatalen Argumentation die Tür geöffnet wurde: "Ausschwitz" sei "nur" die Reaktion auf den von vornehmlich russich-jüdischen Bolschewiken eingerichteten "Gulak" (Arbeitslager, etwa in Sibirien)gewesen.

Literaturhinweise

Bering, Dietz (1989): Antisemitische Namenpolemik in der bürgerlichen Umgangskultur. In: Scheops, H. J. (Hrsg.) (1989): Juden als Träger bürgerlicher Kultur in Deutschland. Bonn: 311-328.

siehe auch:

Geschichte der Juden in Rußland