Mittwoch den 20. Oktober 1920
Präsident Die Sitzung ist eröffnet. Wir treten in die Tagesordnung ein. Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die
Beratung des schleunigen Antrags der Abgeordneten Aderhold und Genossen, betreffend der Ausweisung Sinowjeffs und Losowskys.1
Ich eröffne die Beratung.
Präsident: Das Wort hat der Herr Reichsminister des Äußern.2
Dr. Simons, Reichsminister des Auswärtigen: Meine Damen und Herren! Ich werde mit den einfachen Tatsachen anfangen und
zum Schluß auf etwas allgemeinere Gesichtspunkte kommen.
Der Tatbestand ist folgender: Sie wissen, daß im vergangenen Sommer eine deutsche Kommission linksgerichteter Parlamentarier
und Gewerkschaftler nach Rußland gezogen ist, um die dortigen Verhältnisse genauer kennen zu lernen. Schon damals war in Aussicht
genommen, daß eine Studienkommission von der entgegengesetzten Seite auch nach Deutschland zugelassen werden sollte. Am 30. August
kam die Anmeldung von drei russischen Gewerkschaftsführern, den Herren Losowsky, Anzelowitsch und Sergejew. Diesen drei Herren
wurde die Einreise erlaubt und Aufenthaltserlaubnis für vier Wochen erteilt. Am 4. September kam dann unerwarteterweise von
Kristiania aus die Aufforderung, elf russische Personen zur Einreise nach Deutschland zuzulassen. Da dies mit dem ursprünglichen
Antrag nicht übereinstimmte, wurde der Antrag abgelehnt.
Am 18. September3 ist die Einreiseerlaubnis für die vier bereits Genannten erteilt worden. Es waren: Lebedeff, Kisileff,
Lawrentieff und Antoschkin.
(Zuruf rechts: Wie heißen sie deutsch? - Heiterkeit.)
- Ich weiß nicht, ob die Herren Doppelnamen haben. Ich bezeichne sie hier grundsätzlich nur mit denjenigen Namen,
auf Grund deren sie die Einreiseerlaubnis erhalten haben.
Meine Damen und Herren! Bei der Erteilung der Einreiseerlaubnis war zur Bedingung gemacht worden, daß gehalten wurde,
was uns die deutschen Gewerkschaftler in Aussicht gestellt haben, daß diese Herren Verhandlungen ökonomischer, sozialer,
wirtschaftlicher Art mit ihnen führen würden. Vom Kabinett war ausführlich beschlossen, daß politische Reden in öffentlichen
Versammlungen nicht zugelassen werden würden.
(Lebhafte Rufe: Hört! Hört!)
Das hat namentlich Herrn Losowsky nicht abgehalten, in verschiedenen Orten Deutschlands
1Bd. 345, S. 755B
2S. 758D
3S. 759B/D
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politische Reden zu halten. Ich sah mich genötigt, Herrn Losowsky eine Warnung zukommen zu lassen, daß sein ferner
Aufenthalt in Deutschland nicht zulässig sei, wenn er sich nicht an die Bedingungen seiner Einreiseerlaubnis hielte.
(Sehr richtig! rechts.)
Stattdessen ist er aber nach Halle gegangen und hat damit auch diese Bedingung wiederum rücksichtslos außer acht gelassen.4
(Hört! Hört! Rechts.)
Nach der Rückkehr von Halle wurde über Losowsky der Hausarrest verhängt, damit er nicht in der Lage war, weiterhin
die ihm gestellten Bedingungen zu übertreten.5
Was Herrn Sinowjeff anlangt, so liegt hier die Sache folgendermaßen. Am 4. Oktober meldete mir der inoffizielle
Vertreter der Sowjetregierung, Herr Viktor Kopp, persönlich an, daß die Herren Sinowjeff und Bucharin um Einreiseerlaubnis
nach Deutschland nachsuchten, um sich an dem Parteitag der Unabhängigen zu beteiligen. Ich erwiderte ihm, daß das nicht
nur eine Sache der auswärtigen, sondern aufgrund der inneren Sicherheit, auch eine der inneren Politik sei. Am gleichen
Tag wurde mir von Vertretern der Unabhängigen Sozialdemokraten mitgeteilt, daß die gesamte Partei, und zwar beide Flügel,
einmütig der Meinung wäre, daß man den beiden Russen die Einreise erlauben müsse, damit sie sich mit ihnen auf dem Parteitag
in Halle über die Moskauer Politik auseinandersetzen könnten. Das Kabinett hat am 5. Oktober beschlossen, daß den beiden
Russen die Einreise und der Aufenthalt für 10 Tage gestattet werden solle, also bis zum voraussichtlichen Ablauf des Hallenser
Parteitags. Es kam aber, wie wir von Reval aus am 9. Oktober hörten, nur Sinowjeff. Seine 10tägige Frist läuft an dem heutigen Tage ab.
Meine Herren! Die Rede Sinowjeffs auf dem Parteitag ist ja durch die Blätter, und zwar damals nur durch die
sozialdemokratischen und kommunistischen Blätter doch allgemein bekannt geworden. Sobald diese Rede bekannt geworden war,
habe ich sofort einen Zusammentritt des Kabinetts beantragt, und das Kabinett hat nach Kenntnisnahme der Rede beschlossen,
Herrn Sinowjeff zunächst festzuhalten und ein weiteres Auftreten zu verhindern und seine Ausweisung in die Wege zu leiten.
(Bravo! Rechts.)
Es ist nicht gelungen, Herrn Sinowjeff noch vor derjenigen Veranstaltung festzunehmen, die am vorigen Sonntag in der Hafenheide
abgehalten wurde. Er ist dort noch erschienen, hat aber wegen hochgradiger Heiserkeit nicht sprechen können. Er ist in Hausarrest
genommen worden in Gemeinschaft mit Herrn Losowsky Auch gegen ihn ist von dem Herrn preußischen Minister des Innern die
Ausweisung verfügt worden.
Ich möchte die Aufmerksamkeit darauf lenken, daß wir bei der Durchführung der Ausweisung verhältnismäßig beschränkt sind.
Über Landgrenzen ist die Ausreise nicht möglich, wir sind auf den Wasserweg angewiesen und wegen der schlechten Belieferung des
4 S. 759D
5 S. 759D
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