1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. -21. Sitzung. Mittwoch den 20. Oktober 1920.

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Restes unserer Schiffe mit Kohle sind wir außerordentlich spärlich mit Schiffsgelegenheit versehen.

(Hört! Hört! Rechts. - Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Es wird nun geklagt über die Durchführung der Festnahme.6 Ja, meine Damen und Herren, man weiß ja, daß unsere Organe der Polizei nicht immer den größten Aufwand von Knigge entfalten, wenn sie mit solchen Herren zusammenkommen, die sie festhalten sollen.

(Sehr gut! rechts.)

Ich habe trotzdem nach der Richtung das meinige getan. Ich habe versucht, den Herren Privatlogis, das ihnen von anderer Seite verschafft werden sollte, zur Verfügung zu stellen. Wenn das bis jetzt noch nicht gelungen ist, so hängt das wohl damit zusammen, daß es jetzt in Berlin überhaupt außerordentlich schwer ist, Privatlogis zu bekommen.

(Zuruf rechts: Privatlogis am Laternenpfahl! - Pfuirufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.- Abgeordneter Ledebour: Das ist ein sehr gefährlicher Wunsch von Ihnen! - Weitere Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Schämt Euch, im Deutschen Reichstag solche Bestialitäten auszusprechen!)

Präsident: Ich bitte um Ruhe! Das Wort hat der Herr Minister!

Dr. Simons, Reichsminister des Äußeren: Meine Damen und Herren! Ich bin leider etwas heiser, und wenn ich mich bei der Stimmung des Hauses nicht deutlich genug verständlich machen kann, so bitte ich um Verständnis. Der Zweck der Einreise von Losowsky7 und seinen Genossen war, wie uns mitgeteilt worden war, die Besprechung mit den Vertretern der deutschen Gewerkschaften und zwar über gewerkschaftliche und über wirtschaftliche Angelegenheiten. Das Kabinett ist der Meinung gewesen, daß es für die Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit nur nützlich sein konnte, wenn sich die deutschen Gewerkschaftler mit den russischen Gewerkschaftlern auseinandersetzten. Wir sind der Meinung, daß die deutschen Gewerkschaften so turmhoch über den russischen Gewerkschaften stehen, namentlich über denjenigen, wie sie sich jetzt unter dem diktatorischen Einfluß der Sowjetregierung gebildet haben, daß es nur nützlich war, daß sich hier einmal die beiden Systeme gegenseitig in die Schranken forderten; und das hat sich, glaube ich, auch bewährt. Ganz anders lag es bei der Sendung von Herrn Sinowjeff. Es war hier eine politische Auseinandersetzung geplant, und ich gebe zu, es gehört eine gewisse Kühnheit dazu, vor dieser Auseinandersetzung auch von Regierungs wegen nicht zurückzuschrecken. Ich erachte für eine Kühnheit der Unabhängigen Partei, daß sie Leute wie Sinowjeff aufgefordert hat, mit ihnen zu sprechen, aber für eine berechtigte, und ich halte auch dafür, daß die Kühnheit der Regierung, die man ihr als Leichtsinn ausgelegt hat, nicht unberechtigt war.

(Sehr richtig!

Ich gebe zu, daß das die ganze Angelegenheit, und namentlich die Festhaltung Sinowjeffs und Losowskys eine starke Belastungsprobe für unser Verhältnis zu Rußland ist.8 Aber das darf nicht das Maßgebende sein. Wenn es der russischen Regierung nicht gelungen ist, Herrn Sinowjeff, der ja nicht nur der Vertreter der Dritten Internationale, sondern auch ein hervorragendes Mitglied des Exekutivkomitees ist, an einem derartigen Auftreten zu verhindern, so müssen wir eben die Konsequenzen ziehen.

(Lebhafter Beifall.)


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Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wulle.

Wulle, Abgeordneter:9 Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst meine Freude darüber Ausdruck geben, daß die Kollegen von der äußersten Linken alle wenigstens äußerlich, körperlich, wohlbehalten wieder hier angelangt sind.

(Heiterkeit.)

Das ist und war keine Selbstverständlichkeit, vor allem keine Selbstverständlichkeit nach Halle.

(Sehr gut rechts. - Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Waren Sie denn in Halle?)

- Ja, ich war zufällig gerade da!

(Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Und sind gesund wiedergekommen! - Heiterkeit.)

- Ja! - Nach den Ausführungen, die Herr Apfelbaum aus Rußland da gemacht hat, - er wird ja von den hiesigen Herren mit Vorliebe Herr Sinowjeff genannt; ich sehe jedoch gar nicht ein, warum man einen Mann nicht so nennen soll, wie er bei seiner Geburt hieß - und damals hieß er Apfelbaum -, war es keine Selbstverständlichkeit.

(Heiterkeit.)

Dieser Herr Apfelbaum hat das Wort geprägt, daß man die "Agenten der Bourgeoisie mit Stumpf und Stiel ausrotten" müsse, und dazu gehören bemerkenswerter Weise nicht nur wir, sondern auch Sie! (zu den Unabhängigen Sozialdemokraten).

(Große Heiterkeit.)

Denn als die Gefolgschaft von Herrn Ledebour und Genossen in Halle den Saal verließ, erklärte der Herr Apfelbaum, das seien die "Agenten der Bourgeoisie".

(Erneute Heiterkeit.)

Sie werden also verstehen, daß ich außerordentlich besorgt gewesen bin, ob das Rezept des Herrn Apfelbaum bei Ihnen angewendet worden sei. Nun habe ich gestern in der "Freiheit" gelesen, daß auch Herr Apfelbaum ein "Agent der Bourgeoisie" ist oder, wie ergänzend in der blumenreichen Sprache dieser Zeitung bemerkt wurde: Herr Apfelbaum sei das Spielzeug von Herrn Stinnes.

(Große Heiterkeit rechts.)

Ich könnte mir vorstellen, daß Herr Stinnes mehr Geschmack hat und sich ein anderes Spielzeug aussucht! Nun ist mir aufgefallen10, daß man so gar nicht über die schätzenswerten Eigenschaften des Herrn Apfelbaum hier des näheren sich ausgesprochen hat. Ich möchte das


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