1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 21. Sitzung. Mittwoch den 20. Oktober 1920.

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aber nachholen. Herr Apfelbaum ist, wie Sie wissen, Oberbürgermeister von Petersburg. Wir haben ja, wie Sie alle wissen, eine große Anzahl sozialistischer Oberbürgermeister auch in Deutschland.

(Heiterkeit.)

Aber ich möchte von jedem einzelnen wünschen, daß seine Tätigkeit nicht einen so durchschlagenden Erfolg hat wie die des Herrn Apfelbaum. Herr Apfelbaum hat es in verblüffend kurzer Zeit verstanden, aus einer blühenden Stadt von zwei Millionen Einwohnern ein heruntergekommenes Gemeinwesen von 800 000 Seelen zu machen, bei dem das einzig beständige der Hunger und der Mord ist.

(Sehr richtig!)

Herr Apfelbaum hat seine ganz besondere Methode in der Beglückung der Menschheit. 11 Ich will mich schwer hüten, dabei meine Phantasie spielen zu lassen; sondern ich möchte im wesentlichen nur wiedergeben, was der russische Sozialist Martow in Halle über die Methoden des Herrn Apfelbaum und seine nächsten Anhänger erzählt hat. Herr Martow führte dort unter anderem folgendes aus - der Herr Präsident gestatte mir, daß ich kurz einen Auszug verlese -:

Falsch ist besonders, was Sinowjeff über den Terror gesagt hat. Der Terror ist zurzeit in Rußland nichts anderes als ein rabiates Mittel zur Einschüchterung andersdenkender Genossen. Unter Sinowjeffs Regierung wurden in Petersburg in einer Nacht 800 Menschen erschossen.

(Hört! Hört! rechts)

darunter Genossen meiner Partei.

(Hört! Hört! rechts.)

Hunderte von Mitgliedern der Sozialrevolutionäre wurden erschossen, und wenn Sinowjeff heute behauptet, daß es wegen des Mordanschlags auf Lenin war, so ist das eine Lüge, denn der Anschlag auf Lenin war im August 1918 und der Mörder war bereits im Jahr vorher aus der Partei der Sozialrevolutionäre ausgeschlossen worden. Daran sehen Sie die Wahrheitsliebe des Vorsitzenden des Exekutivkomitees. Ist es nicht fürchterlich, wenn Sozialisten den Terror nicht nur gegen Konterrevolutionäre zur Anwendung bringen, sondern auch gegen friedliche Sozialisten? Schon die Tatsache, daß Frauen von ihren Familien getrennt wurden, um als Geiseln zu dienen, legt Zeugnis ab, was wir für einen schrecklichen Terror in Rußland durchmachen müssen; Erschießungen, Verurteilungen zur Zwangsarbeit, strenge Strafen für Teilnahme an Streiks
- da ist es vorbei mit der Streikfreiheit; die ist nur noch bei uns erlaubt -
oder für korporative Forderungen, Verbot an die Arbeiter, Vertreter bestimmter Parteien in die Sowjets zu wählen, das wird in der Schule des reinen Sozialismus gelehrt. Parteigenossen! Wir fordern deshalb das Proletariat Europas auf, den Terror für unzulässig zu erklären, auch für Rußland. Wir fordern, daß man das russische Proletariat von solcher Herrschaft befreit.

Das ist eine kleine Schilderung, die Martow auf dem Parteitag der Unabhängigen in Halle gegeben hat. Herr Apfelbaum ist derjenige Bolschewik, der, als der Streik bei den Putilow-Werken ausbrach, buchstäblich mit Feuer und Schwert diesen Streik unterdrückt hat. Er hat dort die Rädelsführer vernichten lassen. Die englische Presse hat Photographien und eingehende Schilderungen über die Art der Martern veröffentlicht, wie 50 Streikführer dort zu Tode gequält worden sind.

(Hört! Hört! rechts.)


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Man hat - ich entnehme dies der "Times" und dem "Daily Telegraph" - diese 50 Führer ausgezogen, auf den Fußboden gebunden, ihnen eine Ratte auf den Leib gesetzt, darüber einen Topf gestülpt, den Topf heiß gemacht, so daß die Ratte sich in den Leib hineinfressen mußte.

(Lebhafte Rufe: Hort! Hört! - Bewegung.)

Es sind so scheußliche Dinge, meine Damen und Herren, daß man sich fragen muß: mit wem haben wir es denn hier zu tun? Was ist das für eine Persönlichkeit, die in Deutschland frei umherreist und auf dem Parteitag einer deutschen Partei die Arbeiterschaft zum Bürgerkrieg und zu Mord und Totschlag aufgefordert hat?

(Sehr richtig! rechts. - Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Das haben Sie im Kriege auch getan!)

- "Das haben Sie im Krieg auch getan!", ruft Herr Dittmann. Ich rede nicht von den Kriegen der Bolschewiki.

(Lebhafte Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

- Ich habe keinem Menschen Ratten auf den Leib gesetzt! Das ist Herrn Apfelbaum vorbehalten geblieben. (Wiederholte Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Ich rede nicht von den auswärtigen Kriegen, die die Bolschewiki scheinbar als Fortsetzung des Pazifismus dauernd führen müssen. Ich rede von dem Totschlag der eigenen Landsleute, der unter der Leitung von Apfelbaum dauernd vorgekommen ist

(Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Das ist Herr Apfelbaum, wie er leibt und lebt. Herr Apfelbaum hat dann seine Beglückungs-methoden auch in die übrigen russischen Städte getragen. Er war u. a. auch in Rostow am Don und hat dort eine Rede gehalten, in der er u. a. folgendes ausgeführt hat:

Die wohlbeleibten Bürger müßten die Laternenpfähle zieren. Die Weiber sollten siedendes Wasser bereiten und den Kübel über die Mastbürger ausgießen.

(Hört! Hört!)

Es ist Herrn Apfelbaum dabei entgangen, daß er sich längst schon von den Geflogenheiten und dem Aussehen eines gedrückten Proletariers entfernt hat.

(Sehr gut! und Heiterkeit rechts.)

Sie alle kennen wohl die Schilderung aus dem "Vorwärts", die ganz allerliebst ist, wie der Gegensatz zwischen Herrn Martow einerseits und Herrn Apfelbaum auf der anderen Seite geschildert wird. Der "Vorwärts"


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