1. Reichstag, Weimarer Republik


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Matthias Erzberger
Erzbergersche Steuerreform
Karl Helfferich

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Nachkriegskrise

Kriegsanleihen

Erläuterungen zur Sitzung Nr. 54, 1. Legislaturperiode

In der vorliegenden Debatte Nr. 54 geht es um die Erzbergersche Steuerreform, die das Deutsche Reich auf eine neue fiskalische Grundlage stellte. Erzberger hatte einmal in Richtung Koalitionspartner SPD gesagt: Eine gute Steuerpolitik sei die beste Sozialisierung. Was so viel bedeutete wie: Nicht die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie und des Produktivvermögens sei für ein demokratisches Gemeinwesen entscheidend, sondern das Nutzen der unternehmerischen Fähigkeiten unter Anwendung einer auf sozialen Ausgleich gerichteten Steuergesetzgebung. Gegen diese Gesetzgebung liefen weite Teile der DNVP aber auch der DVP Sturm. Helfferich, der größte Widersacher Erzbergers, formulierte es einmal so: Allein das Wort "sozial" gehöre schon vor den Staatsanwalt. Jede Haushaltsdebatte und jede Debatte über Steuern tangierte die Systemfrage sowie die Fragen: wer ist Schuld am Krieg, wer an seiner Verlängerung, wer ist Schuld an der Niederlage. Hinter diesen Schuldzuweisungen stand aber die Forderung bzw. Zurückweisung nach und von Steuerbegehrlichkeiten, also der Verteilungskampf um das Volkseinkommen. Vor diesem Hintergrund sind viele der antisemitischen Äußerungen bzw. Anspielungen der vornehmlich Konservativen zu sehen. Der Kampf der Rechten gegen Erzberger ist nicht nur das Aufmachen alter, persönlicher Rechnungen, sondern besonders der Kampf gegen seine Steuerreform zum Schutz des Besitzes.

Abgeordneter Keil (SPD), Oppositionspartei. Es regierte seit dem 6. Juni 1920 eine Minderheitsregierung aus Zentrum, DDP und DVP unter Reichskanzler Fehrenbach.

Abgeordneter Helfferich (DNVP) Er ist wegen seiner scharfen Reden für die SPD und weite Teile der Zentrumspartei der bestgehaßte Mann in der DNVP. Helfferich und Erzberger (Zentrum) sind zwei Namen aus dem bürgerlichen Lager, die ursprünglich, während des Krieges für den unbedingten Einsatz der U-Bootwaffe stimmten (1916), Erzberger war vermutlich mit einer der Urheber der sogenannten Judenzählung im Heer, die der agitatorischen Behauptung nachgehen sollte, die Deutschen erfüllten an der Front ihre vaterländische Pflicht, während die Juden vorwiegend Unterschlupf in den Kriegsgesellschaften (z.B. Reichsgetreidestelle) gefunden hätten. Erzberger wechselte 1917 die Seiten und beschuldigte Helfferich und Genossen die Friedensresolution des Reichstags unwirksam gemacht zu haben und deshalb seien die Folgen des verlorenen Krieges jetzt so verheerend. Zudem war er 1919 der Betreiber einer großen Steuerreform, die u.a. zum Ziel hatte, den Besitz zum Begleichen der Kriegsschulden mit heranzuziehen. Das war den Rechten ein Dorn im Auge. Helfferich brachte die Schrift heraus "Fort mit Erzberger…". Erzberger wurde, nicht zuletzt weil er im Wald von Compiègne den Waffenstillstand unterzeichnet hatte, als "Reichserzverderber" verunglipft, der mit allen möglichen Kräften wie "Jesuiten", "Papisten", "internationalem Judentum" und "jüdischdominierten" Geheimlogen zum eignen materiellen Vorteil gegen Deutschland konspiriere. Zudem wurde ihm unterstellt, er wolle, mittels seiner Steuerreformdie, die Besitzenden auf "kaltem Wege" enteignen. Die Verleumdungskampagne gegen den ehemaligen Finanzmister und Steuerreformer ist ein Akt im Verteilungs- und auch Klassenkampf der Weimarer Republik. Erzberger hatte mal sinngemäß gesagt: Eine gute Steuerpolitik sei die beste Sozialisierung. Damit wollte er der SPD, in der Sozialisierung ein wichtiges politisches Anliegen war, den Wind aus den Segeln nehmen. Das private Produktivkapital sollte nicht verstaatlicht werden, sondern für den Staat arbeiten. Also Schutz des Privateigentums aber mit sozialer Verantwortung. Die Konservativen machten ihm daraus einen agitatorischen Fallstrick, indem sie ihn als den Wegbereiter der Enteignung des Besitzbürgertums darstellten.

Hierzu auch 56. Sitzung
In der vorliegenden Debatte geht es u.a. um die Novellierung des vor nicht einmal einem Jahr (29.03.1920) verabschiedeten Steuergesetzes, also um einen Teil der Erzbergerschen Finanzreform. Stichworte: Reichsnotopfer eine 1919 beschlossene einmalige Abgabe auf den Besitz. Kriegsanleihen: Keil beklagt, daß die vornehmlich bürgerlichen Kreise mit nahezu wertlos gewordenen Kriegsanleihen (zum Nominalwert) ihr Notopfer begleichen könnten. Die Mark hatte 1920 z.B. gegenüber dem Dollar nur noch ein zehntel Wert gegenüber dem Jahr 1914.

Literaturhinweise