1. Reichstag, Weimarer Republik


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Johannes van den Kerkhoff
Joseph Wirth
Paul Hertz "Jüdische Zeitung"
Bernhard Düwell

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Kreuz-Zeitung
Kreuz-Zeitung, Berlin
Titelblatt zum 1, Aug.1914

Erläuterungen zur Sitzung Nr. 72, 1. Legislaturperiode

In der vorliegenden Debatte geht es wieder um den Verteilungskampf, der durch die Forderungen der Siegermächte (Entente)noch verschärft wird. Keil (SPD) beklagt, daß in Verhandlungen mit den Siegermächten in Brüssel die Verbrauchssteuern, die alle treffen, gleich ob arm oder reich, angehoben werden sollen, um den Forderungen der Siegermächte nach Erfüllung ihrer Entschädigungssummen nachzukommen. Dagegen prangert er die Steuermoral der Besitzenden an, die sich an ihrem Anteil der Begleichung der Schuldenlast gegenüber den Siegermächten vorbeimachten, und zwar unter Beihilfe der DNVP - die Partei setzte sich zusammen aus Deutschkonservativen, Freikonservativen und Völkischen -, die aufgrund ihrer Verbindungen aus der Kaiserzeit zu den Steuerbehörden, massiv Einfluß nehmen könne. Als Beispiel hierfür erwähnt Keil den Fall van den Kerkhoff (DNVP) und setzt ihn in Vergleich zu dem Fall Erzberger (Zentrum). Mit dem Vergleich dieser beiden Fälle betritt Keil eine andere Ebene der politischen Auseinandersetzung, nämlich die, der politischen Intrige und Skandalisierung des politischen Gegners. (Wobei hier korrigierend zu sagen ist, daß SPD und DNVP sich weniger als Gegner gegenüberstanden sondern eher als unversöhnliche Feinde.) Keil bringt den Fall von den Kerkhoff nicht nur als Gegengewicht zum Fall Erzberger, sondern auch um zu zeigen, daß die Antisemiteleien, die im Rahmen solcher Skandalisierung auf der rechten Seite eine bedeutsame Rolle spielten, unbegründet seien. (hierzu im Verlauf der Debatten mehr) Die Fälle Erzberger und Kerkhoff sind Teil des Verteilungskampfes. Sie sind eingebunden in die Diskussion ob Besitzsteuern oder Verbrauchssteuern erhoben werden sollen. Sie sind auch Teil der Auseinandersetzung ob Demokratie oder Monarchie - wie es in der Rede Helfferichs deutlich wird. Die Kampagne gegen Erzberger ist eine Kampagne gegen die Demokratie und eine Kampagne zur Entlastung der Besitzenden. Der "Fall van den Kerkhoff" ist hier der Entlastungsangriff der ehemaligen Weimarer Koalitionäre (SPD, Zentrum, DDP) gegen die Verleumdungskampagne von rechts.

Im Falle Erzbergers verschwanden vorübergehend Gerichtsakten. Aus ihnen wurde dann in der Kreuz-Zeitung berichtet und vorverurteilt. Im Falle Kerkhoffs verschwanden Steuerunterlagen, die jedoch -vermutlich zu seinen Gunsten - nicht wieder auftauchten. Das Verschwinden der Unterlagen van den Kerkhoffs wird nun von der rechten bereits genutzt, um die Kampagne gegen Erzberger nun auch gegen seinen Nachfolger im Am, Dr. Wirth (Zentrum), fortzuführen. Das heißt: Die DNVP hat bisher mit ihrer Kampagne gegen Erzberger einen guten propagandistischen Erfolg gegen die Republik gehabt - wie man am Wahlergebnis von 1920 ablesen kann - und versucht nun das gleiche Konzept der Verleumdung und Skandalisierung auf Wirth anzuwenden, indem sie den Fall Kerkhoff versucht in einen "Fall Wirth" umzumünzen.

Die hier dargestellten Fälle sind in ihrer Ausschlachtung keine Fälle von Korruption oder Vorteilnahme im Amt, wie man sie zu allen Zeiten in der Politik beobachten kann. Hier sind sie Teil eines Verteilungs-, besonders aber eines Klassenkampfs von oben, der zudem die Systemfrage stellt.

Literaturhinweise