1. Reichstag, Weimarer Republik


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Prinz Max von Baden wollte den Waffenstillstand noch weiter hinausschieben, bis sich die Front wieder stabilisiert hätte, um auf dieser Grundlage, einer stabilisierten Front bessere Verhandlungen führen zu könne. Aber er scheiterte an der Obersten Heeresleitung, die ein Ersuchen um Waffenstillstand sofort in die Wege leiten wollte, da sie einen unmittelbar bevorstehenden Durchbruch der Ententetruppen befürchtete. Die Wilsonschen Punkte waren also nicht allein für uns, sondern auch für die Oberste Heeresleitung der einzige Hoffnungsschimmer für eine bessere Welt. Heute aber werden die Dinge umgedreht. Die Oberste Heeresleitung habe zum Durchhalten aufgefordert, wir aber, die Demokraten, hätten mit dem Hinweis auf die 14 Punkte Wilsons und einem Frieden ohne Sieger und Besiegte den Kampfeswillen der Truppe unterminiert. Woraus die Herren um den Kollegen v. Braun in agitatorischer Absicht die Schlußfolgerung ziehen, wir seinen auch verantwortlich für die Zustände, die heute im Reich herrschen. Meine Damen und Herren! Wir sind aus der Regierung im Juni 1919 ausgetreten, als die Regierung den Friedensvertrag von Versailles unterschreiben mußte, aber wir haben uns verpflichtet gefühlt der Regierung wieder beizutreten, um dem Vaterland unsere Mitarbeit nicht zu verweigern, so wie es die Deutsche Volkspartei heute, nach der Unterzeichung des Londoner Ultimatums tut. Wenn sie das gleiche Pflichtbewußtsein hätte, wie wir, würde sie sich wieder für die Mitarbeit entscheiden.

(Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! Im Juni 1920 ging nach schweren Stimmenverlusten die Sozialdemokratie in die parlamentarische Sommerfrische der Opposition und wurde abstinent von der Politik in der Regierung. Im Juni dieses Jahres geht die Deutsche Volkspartei in die Sommerfrische der sachlichen Opposition, wie sie sagt, auch, um sich gesund zu machen.

(Heiterkeit.)


Zentrum und Demokratie haben während der Zeit der Erholung der anderen Parteien weiter die Arbeit auf dem Feld verrichtet für die Zukunft deutscher Demokratie, für die Zukunft des Staates. Wir dienen damit nicht der Partei, sondern dem Vaterland. Wir haben uns dieser Ackerarbeit nicht entzogen, während die anderen Parteien der Mitte in die Sommerfrische gingen und bekommen heute für diese Arbeit die Prügel von denen, die glaubten sich zwischenzeitlich etwas erholen zu müssen.

(Zurufe links: Im Juni 1919 gingen Sie in die Sommerfrische! Sie sind immer in die Sommerfrische Gegangen, wenn es gebrannt hat! - Heiterkeit.)

So haben wir die Prügel dafür bekommen, daß das schlechte Wetter nicht die Ernte gebracht hat, die alle in Verkennung der Wirklichkeit erhofft haben.

(Abgeordneter Ledebour: Sie haben sich mit Ihrem Beispiel verheddert! Da kommt je kein Mensch mehr aus der Sommerfrische heraus! - Große Heiterkeit.)

- Sie sind der einzige, der um Hilfe ruft. Ich stelle fest, daß Sie der einzige sind, der das Gleichnis nicht verstanden hat.

(Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren! Wenn wir auch durch die Abnutzung in der täglichen Politik schwächer werden, so gilt doch für uns und das Zentrum: Der Staat und das Vaterland steht uns über den Parteien. Vor aller Rücksicht auf die Partei geht es uns um die Einheit des Reiches und des Volkes. Und diese Politik lassen wir nicht durch solche in Mißkredit bringen, die glauben, sich erholungsuchend zurückziehen zu müssen, um uns dann bequem von der Oppositionsbank attackieren zu können.

(Lebhafter Beifall von den Deutschen Demokraten und im Zentrum.)