1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 111. Sitzung. Freitag den 3. Juni 1921.

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111. Sitzung. [i]


Freitag den 3. Juni 1921


Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Petersen. 1

Dr. Petersen, Abgeordneter: Meine sehr geehrten Damen und Herren!2 Es wurde uns mitgeteilt, daß unser deutschnationaler Kollege v. Braun, der Präsident des Reichswirtschaftsrates, uns zum Londoner Ultimatum und den wirtschaftlichen Möglichkeiten eine Rede halten würde. Wir haben alle mit großer Erwartung gelauscht, was uns der Präsident dieser hohen Körperschaft, welche nach der Gesetzgebung dazu berufen ist, die Wirtschaftsfragen frei von politischen Leidenschaften sachlich zu behandeln, für die Deutschnationale Partei zu sagen hätte. Wir sind tief enttäuscht; in erster Linie ist es aber Sache des Reichswirtschaftsrates, sich darüber Gedanken zu machen, wie diese Körperschaft im politischen Parlament vertreten wird.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)

Aber drei Proben seiner Ausführungen habe ich mir besonders notiert. Dieser sachliche Berater deutscher Wirtschaftsfragen hat zunächst erklärt: der Reichskanzler des Deutschen Reiches habe 1 ½ Stunde "Gemeinplätze verzapft". Nun, über Bildung und Manieren im Parlament will ich mit den Deutschnationalen nicht rechten. Ich bin der Auffassung, daß sie sich für den Präsidenten einer hohen Körperschaft des Deutschen Reiches besonders wenig schicken.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)

Aber es ist in erster Linie Sache der Deutschnationalen, sich über Schicklichkeit mit ihren Mitgliedern selbst auseinanderzusetzen. Meine Damen und Herren! Was schon viel ernster ist, ist, daß der Präsident des Reichswirtschaftsrates die Vorschläge des Herrn Reichskanzlers stark kritisierte und als man ihm daraufhin zurief: was schlagen Sie denn vor? - erklärte der Präsident der höchsten Wirtschaftskammer in Deutschland. Darauf eine Antwort zu geben, sei nicht seine Sache. Er sitze ja nicht auf der Regierungsbank.

(Hört! Hört! bei den Deutschen Demokraten und links.)

Meine Damen und Herren! Das ist eine Bankrotterklärung, wie ich sie stärker nicht erlebt habe.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten. - Lachen bei den Deutschnationalen.)

Wenn die verfassungsmäßig berufenen Instanzen des Deutschen Reiches beschlossen haben, eine Politik zu machen, dann hat sich der Reichswirtschaftsrat auf den Boden der Tatsachen zu stellen und hat uns das zu bringen, was der Herr Reichskanzler ausdrücklich


1 Bd. 349, S. 3765B
2 S. 3763

angeführt hat: sachdienliche, gute Vorschläge, wie die wirtschaftlichen Fragen geregelt werden können. Wenn dann der Präsident des Deutschen Reichswirtschaftsrats, daß heißt, der Vertretung mit der wichtigsten Volkswirtschaft, die die Welt augenblicklich trägt, auf welche die Augen der Welt gerichtet sind, einen Unterschied macht zwischen semitischem und antisemitischem Kapital, dann können wir nur unser Haupt verhüllen und sagen: welcher Tiefstand wirtschaftlicher Bildung des Präsidenten des deutschen Wirtschaftsrats, der die Dinge nicht anders sieht als unter dem Gesichtswinkel engherzigsten Klassenstandpunktes und konfessioneller Intoleranz.

(Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.)

Meine Damen und Herren! Diese Rede hat nach meiner Meinung zu einer von den Deutschnationalen nicht gewollten Blamage ihres Vertreters geführt.

(Rufe bei den Deutschnationalen: Oho!)

Sie beweist, daß, wenn sie auch in Politik ausgezeichnet Agitation betreiben können und alles benutzen, um das Volk wieder auseinanderzureißen, sie in wirtschaftlichen Dingen, selbst wenn sie den Präsidenten des Reichswirtschaftsrates unter sich haben, nicht irgend etwas Positives leisten können.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)

Nun darf ich mich mit den Unabhängigen Sozialdemokraten beschäftigen.

(Aha! und Heiterkeit bei den Unabhängigen.)

Ich will Ihnen mal etwas Angenehmes sagen.

(Erneute Heiterkeit.)

Ihre Entwicklung zur Vernunft, nachdem sie zur Linken einen noch unvernünftigeren Bruder bekommen hat, ist erfreulich. Ich kann nur hoffen, daß dieser unvernünftige Bruder weiter bei seiner Erziehungstätigkeit bleibt, mögen auch parteitaktische Erwägungen einzelne Rückfälle bringen. Aber auch bei aller positiven Entwicklung, die die Unabhängigen in letzter Zeit durchlaufen haben, kommen sie für eine Mitarbeit in einer demokratischen Regierung nicht in Frage. Zu groß sind ihre negativen Verdienste aus der Zeit der Revolution und danach. Meine Damen und Herren! Wenn man heute noch auf dem Boden des Rätesystems steht und die Demokratie ablehnt, kann man in ihr auch nicht konstruktiv mitarbeiten. Meine Damen und Herren! Ich möchte nochmals auf die Rede des Kollegen v. Braun zurückkommen, der auch uns eine Verstrickung in die Ereignisse vom November 1918 anzudichten versuchte, indem er behauptet, daß wir an die 14 Punkte Wilsons geglaubt hätten und dadurch, durch diese Träume, Schaden für die weitere politische Entwicklung Deutschlands gestiftet hätten. Hier zu will ich folgendes klarstellen: Wilson ist nicht allein von unserer Partei, sondern in erster Linie von der Obersten Heeresleitung als das einzige Aktivum betrachtet worden, daß uns noch angesichts der zusammen-brechenden Front in der Welt geblieben war.

(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschen Demokraten.)

Die Oberste Heeresleitung - das sind zwei Männer, die Sie (nach rechts) nicht abschütteln werden: Hindenburg und Ludendorff - hat den sofortigen Abschluß des Waffenstillstandes auf der Basis der 14 Punkte beantragt.


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