1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 270

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Der Einleitung dieser Maßnahmen war am 10. Januar die Übergabe einer Notifizierung durch den französischen Botschafter und den belgischen Geschäftsträger in Berlin an den deutschen Reichsminister des Auswärtigen vorangegangen, wonach auf Grund der von der Reparationskommission am 9. Januar - also zwei Tage nach dem Beginn der Truppenbewegungen! -

(lebhafte Rufe: hört! hört!)

festgestellten Unvollständigkeit der deutschen Erfüllung in Holz und Kohle die französische Regierung beschlossen habe, eine aus Ingenieuren bestehende Kontrollkommission ins Ruhrrevier zu entsenden, um die genaue Durchführung des Programms sicherzustellen und alle für die Bezahlung der Reparationen notwendigen Maßnahmen zu treffen. Die französische Regierung hat in der Aufzeichnung erklärt, daß sie gegenwärtig nicht daran denke,

(hört! Hört! Und Rufe: Gegenwärtig!)

zu einer militärischen Operation oder zu einer Besetzung politischer Art zu schreiten, daß sie von Soldaten nur in beschränktem Maße Gebrauch mache, um die Tätigkeit französischer Ingenieure bei den deutschen Industriellen und den Transportdienst zu unterstützen. Keine Störung, keine Veränderung in dem normalen Leben der Bevölkerung solle erfolgen,

(Lachen)

sie könne in Ruhe und Ordnung weiter arbeiten. Sie hat erklärt, auf den guten Willen der deutschen Regierung und aller Behörden zu rechnen, welcher Art sie auch seien. Diese Note, meine Damen und Herren, und die in solcher Weise angekündigten Maßnahmen werden von der französischen Regierung gestützt auf den Vertrag von Versailles, jenen Vertrag, der auf den Tag genau drei Jahre vor Überreichung der Note ratifiziert, zum Zwecke geschlossen wurde,

an die Stelle des Krieges einen festen, gerechten und dauerhaften Frieden treten zu lassen.

(Lachen.)

Sie werden gestützt auf den Vertrag, in dem als wesentlich bezeichnet wird,

bestimmte Verpflichtungen zu übernehmen, nicht zum Kriege zu schreiten ... die Vorschriften des internationalen Rechts, die fürderhin als Richtschnur für das tatsächliche Verhalten der Regierungen anerkannt sind, genau zu beobachten, die Gerechtigkeit herrschen zu lassen und alle Vertragsverpflichtungen in den gegenseitigen Beziehungen der organisierten Völker peinlich zu beachten.

Sie werden gestützt auf den Vertrag, der aus jenem großen Programm der Versöhnung, der Gleichberechtigung, der Selbstbestimmung der Völker abgeleitet wurde, das im Jahre 1918 aufgestellt, Deutschland verheißen und von Deutschland in der Note der deutschen Regierung vom 3. Oktober 1918 als die Grundlage der Verträge


5S.

vorige

über Waffenstillstand und Frieden angenommen worden war. In jenem Vertrag von Versailles, meine Damen und Herren, haben wir schwerste Verpflichtungen zum Ersatz der Kriegsschäden übernommen, Verpflichtungen, die uns entgegen dem Vorvertrage vom 5. November 1918 auferlegt worden waren.

(Sehr richtig!)

So schwer die Last ist, so gewährt der Vertrag immerhin Deutschland das unverbrüchliche Recht, daß die ihm auferlegten Leistungen nach den Hilfsmitteln und der Leistungsfähigkeit Deutschlands zu bemessen sind;

(lebhafte Zustimmung)

weiterhin das Recht, von der Reparationskommission mit allen Gründen und Beweisen hinsichtlich seiner Zahlungsfähigkeit gehört zu werden.

(Sehr richtig!)

Mehr als einmal hat die deutsche Regierung im laufe der letzten drei Jahre erfahren müssen, daß diese Rechte Deutschlands nicht in ausreichendem Maße beachtet wurden.

(Lebhafte Zustimmung.)

Gleichwohl hat sich das deutsche Volk ehrlich bemüht, bis zu den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und des eigenen notwendigen Lebensbedarfs die Wirtschaftsschäden der Gegner auszugleichen. Es hat ehrlich und aufrichtigen Herzens die Politik der wirtschaftlichen Reparationen betrieben. Faßt seine ganze Handelsflotte hat es dahingegeben, Binnenschiffe in großer Zahl, Lokomotiven und Wagen bis zur Wirkung langdauernder Lähmung des deutschen Verkehrswesens,

(sehr richtig!)

seine Kolonien, in denen es seinen Beruf zu wirtschaftlicher und kultureller Aufbauarbeit wahrhaftig nicht schlechter erwiesen hatte als irgend ein anderes Volk.

(Lebhafte Zustimmung.)

Es hat die Saargruben dahingegeben, größte Werte an Staatseigentum in den abgetretenen Gebieten; es hat das deutsche Eigentum im Auslande, den Ertrag der Arbeit von Generationen, den Gegnern übereignet, hat Kohle und Koks geliefert, Farbstoffe, Vieh, Maschinen, Baustoffe, alles Lieferungen, die viel, viel größer waren, als die Rücksicht auf die eigene Wirtschaft je es zugelassen hätte.

(Lebhafte Zustimmung.)

Ich frage die Welt, ob jemals ein Volk mehr geleistet hat und mehr hat leisten können, das ganze vier Jahre hindurch durch Absperrung vom Welthandel, Verlust des Krieges, Hunger und Entbehrung aller Art entnervt und entkräftet war.

(Sehr richtig!)

Und da dem nicht so ist, wie kann Herr Poincaré in seiner Kammerrede erklären, er könne nicht mehr auf die falschen Versprechungen Deutschlands zählen und sich durch sie täuschen lassen! Wie kann er der Überzeugung Ausdruck geben, daß Deutschland keinerlei Anstrengung machen wird, seine Verpflichtungen zu erfüllen, ohne daß er Zwang ausübe? Wie lässt sich vor aller Welt diese


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