Dienstag den 25. Januar 1921
Präsident: Wir kommen zum Mündlichen Bericht des Ausschusses für die Geschäftsordnung über ein
Schreiben des Reichsministers des Innern vom 13. Dezember 1920, betreffend Genehmigung zur Strafverfolgung
des Mitglieds des Reichstags Erzberger wegen Verletzung der Eidespflicht,
das Wort hat der Herr Berichterstatter D. Dr. Kahl. 1
D. Dr. Kahl, Abgeordneter, Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Durch Schreiben des Reichsminister des Innern
vom 13. Dezember 1920 wurde dem Reichstag ein Antrag des Oberstaatsanwalts beim Landgericht I Berlin vom 6. Dezember
1920 übermittelt dahingehend, über die zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Reichstagsabgeordneten Matthias
Erzberger wegen Verletzung der Eidespflicht nach der Reichsverfassung erforderliche Genehmigung Beschluß zu fassen.
Dem Antrag des Oberstaatsanwalts liegen folgende Vorgänge zugrunde.
Nach den Urteilsfeststellungen kommt Verdacht des vorsätzlichen oder des fahrlässigen Falscheids 2 in frage. Das Gericht
hat als bewusst unwahr angenommen vier Behauptungen: 1. die in einer Parteikonferenz aufgestellte Behauptung Erzbergers,
daß ihm der damalige Reichskanzler v. Bethmann Hollweg erklärt habe, er lege auf die Durchführung der Steuervorlagen vom
Januar 1916 keinen Wert; 2. die in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom Juli 1919 durch Erzberger oder in seinem Auftrage
aufgestellte Behauptung, daß die Friedensaktion vom Juli 1917 erst nach vorheriger Verständigung mit der Reichsregierung
erfolgt sei; 3. eine Erklärung Erzbergers gegenüber dem damaligen Kanzler über den Zweck seiner Aktion in der Sitzung des
Hauptausschusses vom 6. Juli 1917; 4. gewisse Angaben, die Erzberger während seiner Eigenschaft als Schiedsrichter in
Sachsen der Berger Tiefbaugesellschaft gegenüber Kommerzienrat Berger gemacht habe; endlich 5. hat das Gericht als mindestens
leichtfertig, also als fahrlässig falsch abgegeben angenommen gewisse Erklärungen Erzbergers über seine Beziehung zu Thyssen
und dem so genannten Kowastschen Unternehmen.
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geyer. 3
1Bd. 347, S. 2089C
2S. 2089D
3S. 2090D
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Geyer, Abgeordneter: Verehrte Anwesende! In der Kommission ist allerdings die Einstimmigkeit des Beschlusses
erfolgt. Ich selbst habe dem Beschluß mit zugestimmt. Aber wie kam das? Ich hatte in der Kommission eine
Reihe Bedenken ausgesprochen bezüglich der Delikte, die dem Abgeordneten Erzberger vorgeworfen werden,
und hatte betont, daß diese Delikte politischer Natur seien, daß, wenn solche Delikte vorliegen, der
Reichstag in der Regel beschlossen hat, dem Antrag nicht stattzugeben, die Genehmigung zur Verfolgung nicht
zu erteilen. In der Kommission haben die Vertreter des Zentrums nun eifrig für die Genehmigung der Erteilung
gewirkt, und andererseits ist auch, wie der Berichterstatter hervorgehoben hat, vom Abgeordneten Erzberger der
dringende Wunsch ausgesprochen worden, die Genehmigung zu erteilen, damit er sich von den schweren Vorwürfen
vor Gerichtsstelle reinigen könne. Schließlich wurde aber gesagt, daß von diesen sechs Delikten vier politischer
Natur seien, während zwei nichtpolitischer Natur seien. Ich habe daraufhin in der Kommission den Wunsch
ausgedrückt, diese Delikte noch einmal hervorzuheben und es hat auch der Herr Berichterstatter bereits
darauf hingewiesen, wenn auch nicht so deutlich wie in der Kommission, daß zu diesen beiden Delikten der
Fall Thyssen und ein anderer gehöre. Es schien mir im Augenblick, als ob man Erzberger ein gemeines
Verbrechen vorgeworfen hätte, das nicht politischer Natur sei, und ich habe oben in der Kommission erklärt:
wenn das der Fall ist, dann würde ich dem Abgeordneten Erzberger die Möglichkeit, sich von diesen Vorwürfen
zu reinigen, zugestehen. Ich habe dann, wie gesagt, dem Beschluß zugestimmt.
Indessen ist mir nun klar geworden, daß in der Kommission ein ganz wesentliches Moment gar nicht zur Beratung gekommen ist,
nämlich die Frage: wie sind denn diese Delikte entstanden? Sie ist mit keinem Worte berührt worden, und da sieht die Sache
nämlich so aus: Reaktionäre Kräfte der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei haben geradezu infernalische
politische Hetze gegen Erzberger gerichtet,
(sehr richtig! im Zentrum)
diese politische Hetze hat ihre Ursache in den Streitigkeiten, die in der Nationalversammlung in Weimar begannen. Wer Mitglied
der Nationalversammlung in Weimar war, der weiß, wie heftig die Debatten damals zwischen dem Staatsminister Erzberger und der
äußersten Rechten gegangen sind. Seit jener Zeit ist die politische Hetze gegen Erzberger immer mehr gesteigert worden. Diese
Reaktionäre bedienten sich gegen Erzberger der Presse und des Staatsanwalts, um eben zu ihrem Ziel zu gelangen. Diese Hetze hat
sogar dazu geführt, daß ein Attentat auf Erzberger ausgeübt worden ist.
(Zurufe links und beim Zentrum. - Lachen rechts.)
- lachen Sie doch nicht! Wollen Sie das bestreiten,
(ja! Ja! rechts)
nachdem der Attentäter, soviel ich mich entsinne, vor Gericht erklärt hat, daß er durch die Aufregung, die in diesem Falle durch
die Presse entstanden sei, zu diesem Attentat gelangt sei? Und die Urheber dieser Hetzpresse oder Presshetze waren Sie!
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