1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 72. Sitzung. Dienstag den 1. März 1921.

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Schroeder zu diesen Ergebnissen gekommen ist, falsch und finden in der deutschen Steuergesetzgebung keinerlei Grundlagen.

(Hört! Hört! links.)

Ich wäre bereit, den Beweis dafür im einzelnen anzutreten. Im Augenblick erspare ich es mir; aber wenn es gewünscht wird, stehe ich zur Verfügung. Der Staatssekretär Schroeder hat den Erfolg erzielt, daß die Sachverständigen schließlich in dem Bericht an ihre Regierungen erklärten, die gegenwärtigen Tarife der direkten Steuern Deutschlands schienen in der Tat bis auf das Höchste gesteigert worden zu sein; vielleicht werde man sogar, wenn die Veranlagung in Ordnung sei und die Steuern vollen Ertrag bringen, eine Ermäßigung erwägen müssen; dagegen sei eine Erhöhung der indirekten Steuern, besonders der Umsatzsteuer, auf die der Staatssekretär ihre Aufmerksamkeit gelenkt hätte, sehr wohl möglich.

(Hört! Hört! links.)

Herr Reichsfinanzminister, um zu einem solchen Ergebnis zu kommen, hätten Sie nicht den Staatssekretär Schröder nach Brüssel zu schicken brauchen; daß hätte der Herr Abgeordnete Helfferich auch fertig gebracht und vielleicht noch besser als der Herr Staatssekretär Schröder.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Im Anschluß an eine Bemerkung 5, die ich bei unserer letzten finanzpolitischen Auseinander-setzung hier im Hause gemacht habe, und die dahinging, daß angesichts des Versagens unserer Besitzbesteuerung die sozialdemokratische Partei die Besteuerung des notwendigen Massenbedarfs nicht mitmachen könne, hat sich bereits Herr Graf Westarp den gegenwärtigen Regierungsparteien angeboten und freiwillig zur Verfügung gestellt mit der Ankündigung, daß dann nur die Bildung eines bürgerlichen Blocks gegen die Sozialdemokraten übrig bleibe, der diese Massenverbrauchssteuern durchsetzen müsse. Aber der Herr Graf Westarp sowohl wie die Regierungsparteien würden eine bittere Enttäuschung erleben, wenn sie glauben würden, in einem bürgerlichen Steuerblock, der etwa unter der Führung des Herrn van den Kerkhoff stehen würde -

(Zurufe: Na! Na!)

- Warum wollen Sie den Mann, den Sie doch so verehren, nicht an die Spitze eines solchen Blocks stellen?

(Zurufe rechts.)

- Ich sage ja nichts gegen ihn, im Gegenteil, ich empfehle ihn als den Führer eines bürgerlichen Blocks für die indirekten Steuern. - Also ich sage: Sie würden sich bitter täuschen, wenn Sie annehmen würden, mit einem solchen Steuerblock sich an indirekten Steuern errauben zu können, was Ihnen beliebt; denn dann würde mit einem Schlag eine geschlossene Front der deutschen Arbeiter hergestellt sein.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

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Und dann würden die deutschen Arbeiter, daran zweifelte ich keinen Augenblick, bei einer kommenden Wahl einem solchen Steuerblock noch viel deutlicher zeigen, wo Bartel den Most holt, als das bei den Steuerwahlen 1912 geschehen ist. Dem Herrn Reichsfinanzminister möchte ich mir aber zu sagen erlauben: er wird die sozialdemokratische Partei wie bisher so auch fernerhin hinter sich haben, wenn er eine gerechte Steuerpolitik treibt, und er wird sie in Kampfesstellung gegen sich antreffen, wenn er den hungernden Volksmassen weitere Verbrauchs-steuern zumutet trotz des Versagens der deutschen Besitzsteuern.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Für uns sind die Gutachten der Ententesachverständigen, die auf deutschen Einflüsterungen beruhen, nicht maßgebend. Wir kennen die deutsche Steuergesetzgebung, ihre Wirkung und ihr Fiasko, soweit es sich um die Besitzsteuern handelt, viel besser, viel genauer als die Ententesachverständigen, und wir erheben Anspruch auf unser Selbstbestimmungsrecht bei der Ordnung unserer Finanzen.

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)

Wir vergessen dabei nicht, daß die breiten Arbeitermassen Deutschlands im Unterschied zu den Völkern Westeuropas seit sechs Jahren unterernährt und bis aufs Mark ausgepumpt sind.

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)

Jede weitere Schröpfung der deutschen Arbeiter müsste die Leistungen unserer Volkswirtschaft gefahrdrohend herabdrücken. Wir vergessen aber auch nicht, welch unerhörter Steuerbetrug in Kreisen - ich will mich allgemein ausdrücken -, in weiten Kreisen der besitzenden Schichten Deutschlands getrieben wird.

(Sehr wahr! Bei den Sozialdemokraten.)

Der Fall van den Kerkhoff6, über den uns gestern ein so gewissenhafter Bericht erstattet worden ist, wirft ein Schlaglicht auf die Steuermoral, die heute in manchen Kreisen des deutschen Volkes herrscht. Beim Zusammentritt des gegenwärtigen Reichstags am 23. Juni stellte die Deutschnationale Fraktion des Reichstags den Antrag:

Der Reichstag wolle beschließen, die Reichsregierung zu ersuchen, zu veranlassen, daß das gegen den Abgeordneten van den Kerkhoff beim Landgericht Elberfeld und beim Finanzamt Vohwinkel schwebende Strafverfahren für die Dauer der Session aufgehoben, die beschlagnahmten Sachen zurückgegeben, wie auch alle sonstigen in verfolg des Strafverfahrens angeordneten Maßnahmen aufgehoben werden.

Es handelt sich bei dem Strafverfahren um den Vorwurf eines gemeinen Verbrechens oder Vergehens. 7 Herr van den Kerkhoff und seine


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