1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 77. Sitzung. Montag den 7. März 1921.

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die sich in sehr entschiedener Weise dagegen wehrt, dem Herrn Levin die Taschen zu füllen. Die Dinge haben sich jetzt so ausgewachsen, daß Herr Levin dazu übergegangen ist, ein eigenes Verkaufsunternehmen zu errichten. Die Firma hat in ihrem Aufsichtsrat Herren, die vorher im Vorstand oder Aufsichtsrat der Reichstextilaktiengesellschaft oder der Textilnotstandsversorgung waren.

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Er hat auch maßgebende Männer der Berliner Stadtverwaltung, die hier die Versorgung mit Kleidung für die arbeitende Bevölkerung haben, in seinem Aufsichtsrat.

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Warum bringt er diese Männer in den Vorstand und Aufsichtsrat? Um die amtlichen Beziehungen, die sie hatten oder haben, für sich auszunutzen!

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Levin wendet sich nun in einem Rundschreiben an Einzelbetriebe Berlins und im Reiche und versucht, dort seine Ware unterzubringen. Er schädigt also dadurch in schwerster Weise auch noch Handwerk und Gewerbe, und das womöglich noch unter behördlicher Befürwortung und Begünstigung. Die Städte beklagen sich mit Recht darüber, daß das Reich dem Levin sehr viel niedrigere Preise berechnet hat als den Stadtverwaltungen,

(hört! hört! bei den Deutschnationalen)

so daß sie von vornherein in der Konkurrenz mit Herrn Levin ausgeschaltet sind. Die Preise, zu denen die Textilnotstandsgesellschaft die Sachen, die von Levin umgearbeitet worden sind, den Städten zur Verfügung gestellt hat, sind so hoch, daß angenommen werden muß, daß Levin Riesengewinne dabei erzielt hat.

(Hört! Hört! rechts.)

Noch ein anderer Fall. Im Frühjahr 1918 hat die Heeresverwaltung einen großen Posten Ungarwein in Grünberg in Schlesien eingelagert. Es handelt sich um 550 000 Liter Tokayerwein. Diese Tokayerwein wurde dann an ein Konsortium Sandmann verkauft u nd zwar das Liter zu 10,50 Mark. Es wurde ein Vertrag mit diesem Konsortium abgeschlossen, in dem gesagt wurde, daß die "Richtlinien", nach denen der Wein umgesetzt werden dürfe - es sollte kein Kettenhandel betrieben werden usw. - von der "Weinhandelsgesellschaft" festzusetzen seien. Die maßgebenden Mitglieder dieser Weinhandelsgesellschaft waren aber Angehörige des Konsortiums Sandmann.

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Ein Quantum dieses Weins ist nun, nachdem die Lieferung hingezogen worden ist, von dem Konsortium nicht mehr abgenommen worden, weil die Preisverhältnisse sich inzwischen anders gestaltet hatten. Das Konsortium wollte von dem Vertrage loskommen. Teilhaber dieses Konsortiums sind unter anderen Sandmann in Berlin, Jacobi in Stuttgart, Ignatz Fürst in Breslau, Baer Söhne in Mannheim und andere mit ähnlich klingenden Namen. 3 Neulich ist in der Presse mitgeteilt worden, daß in Wilhelmshaven Schiebungen mit Marinegut vorgekommen sind, bei denen es sich nach der einen


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Behauptung um Bestechung, jedenfalls um Geschäfte handeln soll, die außerordentlich auffällig sind. In Verbindung damit wird behauptet, daß einer Firma Schlesinger vier Torpedoboote verkauft worden sind, bei denen nachweislich über 100 000 Mark verdient wurden. Wenn man des weiteren hört, daß ein Mann, der mit 12 Jahren Zuchthaus bestraft worden ist, Schiffmann, von verschiedenen Ministerien, auch vom Reichsschatzministerium, beschäftigt worden ist,

(hört! hört! rechts)

so ist das doch unerhört. Ich bitte, sich darüber zu äußern. Im Ausschuß sind die Dinge nur gestreift worden, und es hat nur der frühere Minister, Herr Bauer, zugegeben, daß Schiffmann allerdings einige Zeit für ihn beschäftigt gewesen sei. Neuerdings ist aber behauptet worden, daß Schiffmann auch noch später für das Reichsschatzministerium tätig gewesen ist, ein Mann, der noch Zuchthaus abzusitzen hatte, der einen Auslandspaß hatte, der über eine große Summe bei dem Bankhaus Markiewicz zu Verfügung hatte und der dann durch den Paß mit 300 000 Mark ins Ausland gelangt ist.

Die Katz, Kahn, Levin, Sandmann, Baer, Arnold, Seliger, und wie die anderen Großgewinnler heißen, sind die Vertreter jener Klasse der neuen reichen, die während des Krieges ihre Großgeschäfte gemacht haben und nach dem Kriege dies fortsetzen. Sie sind die Nutznießer einer Entwicklung geworden, durch die Einst und Jetzt in Bezug auf Vermögenswerte völlig auf den Kopf gestellt worden sind. Es ist anzuerkennen, daß der Herr Reichsschatzminister v. Raumer gegenüber der Unregelmäßigkeiten rückhaltlos vorgegangen ist. In der Angelegenheit der Deutschen Werke haben wir uns deshalb auch entschieden hinter den Minister gestellt. Die Meinungen zwischen links und den bürgerlichen Parteien gingen auseinander. Meine Damen und Herren! Es muß wieder dahin kommen, daß in unserem Volke Ehrlichkeit, Treu und Glauben wieder Geltung erhalten. Wenn wir es nicht dahin bringen, wird man uns in der Welt nicht wieder achten, werten und schätzen lernen.

(Beifall bei den Deutschnationalen.)

Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gothein.

Dr. Gothein, Abgeordneter: 4 Meine Damen und Herren! Es war wohl die schwierigste, unsauberste und undankbarste Aufgabe nach dem verlorenen Krieg, die Liquidation der Bestände des Reichs an Heeresgütern und die weitere schwierige Aufgabe der Umwandlung der Werkstätten des Reichs, welche ausschließlich für Heeresbedarf gearbeitet hatten, in Friedenswerkstätten durchzuführen. Das auf dem ersten Gebiete unsagbar viel gestohlen, geschoben und veruntreut wurde, ist von allen Seiten zugegeben worden. Ich habe, als mir seinerzeit im ersten Kabinett diese Aufgabe übertragen wurde, offen zugegeben, daß es ganz unmöglich sei, hier in kurzer Zeit Reinlichkeit und klare Verhältnisse zu schaffen. Man muß sich daran erinnern, daß das Heeresgut und das


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