1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 101. Sitzung. Mittwoch den 4. Mai 1921.

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101. Sitzung. [i]


Mittwoch den 4. Mai 1921


Bericht des Geschäftsordnungsausschusses: Strafverfolgung Erzberger.1

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Keil.

Keil, Abgeordneter:2 Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Genehmigung eines Strafverfahrens3 gegen den Abgeordneten Erzberger und alle damit zusammenhängenden Begleiterscheinungen stellen einen Ausschnitt aus dem gewaltigen Intrigengespinst dar, das die Feinde der demokratischen Republik raffiniert gesponnen haben, um politische Gegner zu fangen und die eigene unbeschränkte Herrschaft wieder aufzurichten.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Aus den Zeitperioden, in denen Parteien und Klassen miteinander um die Macht rangen, weiß die Geschichte von ähnlichen Kabalen genugsam zu erzählen, von Fallstricken, die verhassten politischen Gegnern gelegt wurden. Es sind aber nicht die erbaulichsten Blätter der Geschichte, auf denen diese hinterlistigen Ränkespiele verzeichnet stehen. Aus diesem Grunde hat sich im Geschäftsordnungsausschuß die Empörung über die Art, wie von den Rechtsparteien und ihren Werkzeugen innerhalb der Bürokratie versucht worden ist, den Abgeordneten Erzberger unmöglich zu machen, sehr lebhaft Luft gemacht. Meine Damen und Herren!4 Es hilft alles nichts, wir müssen es offen aussprechen: den Urgrund dieses ganzen Kampfes - und ein persönlich politischer Kampf ist es - bildet die Steuerpolitik des ehemaligen Reichsfinanzministers Erzberger.

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. - Sehr richtig im Zentrum.)

Da der Abgeordnete Erzberger nach dem Zusammenbruch des alten Deutschland die finanzielle Lage, in der wir uns befanden, richtig erkannte und als Finanzminister die schweren Unterlassungssünden der Finanzminister der Kriegsjahre, soweit noch irgendmöglich rasch entschlossen gut zu machen suchte, und zwar mit Gesetzesvorschlägen, die den Besitz, vor allem diejenigen, die im Krieg große Gewinne gemacht hatten, empfindlich zu treffen bestimmt waren, lud er


1Bd. 349, S.3565D
2S. 3591B
3S. 3591D
4S. 3593A

sich den tödlichen Haß aller Wortführer der Besitzinteressen auf den Hals.

(Sehr wahr! Bei den Sozialdemokraten.)

Alsbald begann das Kesseltreiben gegen ihn, bei dem der lauteste Rufer im Streite derjenige war, der von den Kriegsjahren her am allerschwersten belastet ist, der Abgeordnete Helfferich.

(Sehr richtig! Links.)

Meine Damen und Herren!5 Nicht auf dem Wege der geordneten Untersuchung und Tatsachenfeststellung durch die zuständigen Behörden, sondern mit einem Aktendiebstahl hat die Aktion gegen den Abgeordneten Erzberger begonnen.

(Zurufe von den Sozialdemokraten: Im Interesse der Reinheit!)

Die Akten sind von dem deutschnationalen Redakteur Bülck verwendet worden. Er hat die Photographien, die er sich von diesen Akten hat anfertigen lassen, zu einer Broschüre verarbeitet, die zwar beschlagnahmt, dann aber doch in Bruchstücken von deutschnationalen Blättern veröffentlicht worden ist, auch von der "Kreuzzeitung", die damit offenbar der Hebung der Staatsautorität dienen wollte.

(Zuruf von den Sozialdemokraten: Mit Gott für König und Vaterland!)

Obgleich der Mann bekannt ist, der den Aktendiebstahl ausgebeutet hat - ich habe seinen Namen genannt - sind merkwürdigerweise die Ermittlungen des Finanzamtes nach dem Täter, dem Dieb, vollkommen ergebnislos verlaufen.

(Hört! Hört! Links und im Zentrum.)

Eine vereidigte Vernehmung der in Frage kommenden Beamten hat nicht stattgefunden.

(Hört! Hört! Links und im Zentrum.)

Aus dem Landesfinanzamt heraus entsteht der Diebstahl, der dann zu den Presseerörterungen führt, und als Folge der Presseerörterungen untersucht der Präsident der Abteilung 1 des Landesfinanzamts die Steuerakten des Herrn Erzberger.6 Nun stehen wir vor der Frage, was der Reichstag tun soll.7 In einem ähnlich gelagerten Fall, in dem Fall Kerkhoff, der diesem Reichstag sofort nach seinem Zusammentritt im Juni vorigen Jahre beschäftigt hat, lag ein Antrag auf Strafverfolgung gar nicht vor, sondern es war ein Strafverfahren vor Beginn der Reichstagstätigkeit eingeleitet worden. Die Freunde des Abgeordneten Kerkhoff beantragten sofort nach dem Zusammentritt des Reichstags, daß der Reichstag die sofortige Einstellung dieses Strafverfahrens von der Regierung verlangte.

(Hört! Hört! Bei den Sozialdemokraten.)

Der Reichstag hat diesem Antrag einmütig entsprochen, und der unmittelbar betroffene Abgeordnete hat nicht den Wunsch gehabt, den Reichstag zu ersuchen, die Weiterführung dieses Strafverfahrens zu gestatten.

(Hört! Hört! Und Zurufe bei den Sozialdemokraten.)


5S. 3593B
6S. 3593D
7S. 3594C

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