1. Reichstag, Weimarer Republik


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(Lebhafter Beifall im Zentrum, bei den Deutschen Demokraten und bei den Sozialdemokraten. - Zischen bei den Deutschnationalen.)

Präsident: Wir treten in die Beratung der Regierungserklärung ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wels.

Wels, Abgeordneter: Im Auftrag der sozialdemo-kratischen Reichstagsfraktion habe ich folgende Erklä-rung abzugeben: Unter dem Druck angekündigter Gewaltmaßregeln, angesichts des drohenden Verlustes lebenswichtiger Landesteile in West und Ost, ist das deutsche Volk gezwungen, binnen kürzester Frist ohne Vorbehalte und Bedingungen einen Plan zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden anzunehmen, dessen dauernde und vollständige Ausführung für die arbeitende Bevölkerung nicht bloß Deutschlands, sondern ganz Europas die allerschwersten Gefahren in sich birgt.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Die politische Verantwortung für Annahme und Ausführung des Ultimatums fiel nach Auffassung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion jenen Parteien zu, die am meisten zur Verlängerung des Krieges und zur Vermehrung seiner Lasten beigetragen haben.

(Erregte Zurufe rechts. - Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)

Es sind das dieselben Parteien, die dank der starken Stellung der hinter ihnen stehenden Kreise im Wirtschaftsleben jetzt auch das meiste zur Erfüllung der ungeheuren wirtschaftlichen Verpflichtungen beitragen könnten, die unserem Volke auferlegt sind.

(Zurufe rechts.)

Da aber jene Parteien trotz ihrer laut bekundeten nationalen Gesinnung in schwerster Stunde versagen und bei ihrer Politik verharren, die unmittelbar zur Auslieferung deutscher Landesteile in feindliche Hand führt, hält es die sozialdemokratische Reichstagsfraktion für ihre Pflicht am Volke, die von den eigentlich Verantwortlichen im Stich gelassene Aufgabe mit zu übernehmen.

(Zuruf von den Kommunisten an die Sozialdemokraten: Ihr Kapitalistenknechte!)

Die Sozialdemokratische Partei hat sich daher entschlossen, an einer Regierung teilzunehmen, die durch Annahme des Ultimatums Deutschland von den unmittelbaren katastrophalen Folgen einer Ablehnung retten und den ehrlichen Versuch machen will, das uns Auferlegte nach bestem Können zu erfüllen. Dieser Versuch allein kann noch den Weg öffnen, der aus dem Chaos einer militärischen Gewaltpolitik heraus zum wirklichen Frieden führt Meine Damen und Herren, angesichts der neuen und zusätzlichen Lasten, die die Regierung dem Volk aufbürden werden muß, wird sie nicht imstande sein, glückliche oder auch nur befriedigende Zustände herzustellen. Dennoch sind wir bereit, die neue Regierung zu unterstützen.

(Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Präsident: Das Wort hat der Abgeordnete Trimborn.


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Trimborn, Abgeordneter: Namens und im Auftrag der Zentrumsfraktion habe ich die folgende Erklärung abzugeben: Der Vertrag von Versailles hat uns die Verpflichtung auferlegt, alle Schäden wieder gut zu machen, die der Zivilbevölkerung der alliierten Mächte und ihrem Gute durch den von uns verlorenen Krieg zugefügt worden sind. Die Summe dieser Vergütungen ist von unserer Gegnern auf 132 Milliarden Goldmark festgesetzt worden. Diese sind von uns gefordert. Die Geschichte kennt Zahlungen von dieser Höhe nicht. Es fehlt jede Erfahrung, ob sie überhaupt aufgebracht werden können.

(Zuruf von den Kommunisten: das ist gut! und Lachen.)

Weshalb sich die Frage stellte, ob sie nicht wegen Leistungsunmöglichkeit zu verweigern sind. Bei der Abwägung der Gründe für und gegen die Ablehnung haben wir für wahrscheinlich erachtet, daß das Deutsche Reich und das deutsche Volk bei der Annahme der Forderungen der alliierten Regierung in seinem Fortbestande weniger gefährdet sei als bei den mit ihrer Ablehnung eintretenden Wirkungen. Für den Fall der Ablehnung sind wir mit der Besetzung des Ruhrgebiets bedroht. Wir sind uns bewußt, daß wir zur Erfüllung dieser Forderung uns in unserer Lebenshaltung, unserer Ernährungseinfuhr einschränken müssen,

(Zuruf bei den Kommunisten: Sie mit Sicherheit nicht, bloß die Arbeiter!)

unsere Produktion und die Steuern müssen steigern. Wir sind uns bewußt, daß zu den geforderten Geldleistungen noch die Sachleistungen für den Wiederaufbau Nordfrankreichs zu treten haben. Wir sprechen dem Kabinett, daß auf der Grundlage der Bereitschaft zur Unterschrift gebildet worden ist, unser Vertrauen aus.

(Beifall im Zentrum.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stresemann. 3

Dr.

Stresemann, Abgeordneter: Namens der Fraktion der Deutschen Volkspartei habe ich folgende Erklärung abzugeben: Die Fraktion ist einmütig der Auffassung, daß die in dem Ultimatum uns zugemuteten Leistungen nicht getragen werden können, ohne die Substanz der deutschen Wirtschaft in einem Maße anzugreifen, daß dadurch der Niederbruch herbeigeführt werden könnte. Die Durchführung der uns auferlegten Bedingungen ist insbesondere aber unvereinbar mit der Aufrechterhaltung der heutigen sozialen Lage der deutschen Arbeiterschaft und stellt die Aufrechterhaltung der notwendigen sozialen Gesetzgebung des Reichs in Frage.

(Lachen bei den Kommunisten. Zuruf: Die liegt Ihnen auch besonders am Herzen!)

Die Bedingungen des Ultimatums beseitigen zunehmend die Souveränität des Deutschen Reiches insbesondere in seiner Wirtschaftsführung und Finanzgesetzgebung. Sie stellen Deutschland unter eine internationale Kontrolle.


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