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Das Ultimatum verlangt unsere Zustimmung zu solchen Bedingungen in einer Zeit, in der die Grenzen des deutschen Reiches noch
nicht feststehen , wohl aber die Pläne Frankreichs, uns das oberschlesische Industriegebiet zu rauben, das eines der wichtigsten
Grundlagen unserer Wirtschaftskraft darstellt.
Die Annahme des Ultimatums würde uns bei der Höhe seiner Bedingungen, deren Erfüllbarkeit niemand garantieren kann, unter
Umständen nicht davor bewahren, in absehbarer Zeit vor neuen Vergewaltigungen zu stehen, also auch nicht die Möglichkeit
geben, uns wenigstens nach seiner Annahme in Ruhe entwickeln zu können.
Die Versuche, eine Zusicherung darüber zu erlangen, daß im Falle der Annahme des Ultimatums vor allem der Besitz Oberschlesiens
Deutschland gewährleistet werde, hat leider bis zur Stunde zu keinem uns beruhigenden Ergebnis geführt.
Aus diesen Gründen hat die Fraktion beschlossen, das Ultimatum abzulehnen.
(Bravo! bei der Deutschen Volkspartei und den
Deutschnationalen. Zuruf bei den Sozialdemokraten:
das beutet aber den Einmarsch ins Ruhrgebiet!)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hergt.
Hergt, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! 4 Noch gestern stand auf unserer Tagesordnung ausschließlich die oberschlesische
Frage, und es hatte den Anschein, als ob die Parteien, die sich zur Regierungsbildung berufen fühlten, von einem ablaufenden
Ultimatum nichts wußten, als ob die Regierungsbildung noch gute Weile hätte. Es war das eine Vogel-Strauß-Politik, die sich rächen
mußte und die sich nach unserer Auffassung bitter gerächt hat. Denn über Nacht wurde es zur erschreckenden Gewißheit, daß die
Entscheidungsstunde unmittelbar bevorstand. Und was haben wir nun erlebt? Dasselbe, was seinerzeit in Weimar vor sich ging: die
allgemeine Bestürztheit, Kopflosigkeit, jäher Stimmungswechsel, Empfänglichkeit für allerlei wilde Gerüchte, Kleinmütigkeit und
dergleichen. So konnte es nur zu einer überstürzten Entscheidung kommen.
Die Regierungserklärung, die wir vorhin gehört haben, bestätigt diese unsere Befürchtung. Es ist das Produkt ähnlich
unglückseliger Verhältnisse wie damals die Annahme des Friedensvertrags in Weimar. Es ist ein zweites Weimar, aber leider
noch schlimmer als das erste Weimar.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Sie haben eben gehört, daß der Herr Abgeordnete Wels namens seiner Fraktion eine Erklärung abgegeben hat. Sie ähnelt in gewissen
Teilen, einer Erklärung, die der "Vorwärts" abgegeben hat und in der er die Verantwortung für die Unterzeichnung und ihre Folge,
die Erfüllung, dem Bürgertum zuschreibt, während Herr Wels es etwas relativierte auf die Parteien des Bürgertums, die am meisten
für den Krieg verantwortlich seien. Dieser Versuch der Sozialdemokratie, hier die Sache so darzustellen, als ob das Bürgertum erfüllen
könnte, aber eigentlich nicht erfüllen wollte ist völlig abwegig. Sie wollen das Bürgertum für die Unterschrift
4S. 3632A
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verantwortlich machen. Nein! Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Nicht das Bürgertum ist für diese Unterschrift
verantwortlich sondern die Sozialdemokratie. Und sie wird dafür verantwortlich sein, daß die deutsche
Arbeiterschaft in widerstandslose Abhängigkeit vom ausländischen Kapital gebracht werden wird.
Die Arbeiterschaft wird vom Achtstundentag und anderen sozialen Errungenschaften Abstand nehmen müssen.
(Zuruf von den Sozialdemokraten: Tun Sie doch nicht
so, als wären sie dafür gewesen!)
Die sozialistischen Gewerkschaften haben doch unlängst selber gesagt: In Afrika hat man die Sklaverei abgeschafft, in Europa
will man sie mit diesen Forderungen wieder einführen.
(Zurufs links: Durch Eure Schuld! - Lachen und
Unruhe rechts.)
So sieht die Verantwortung aus, die die Regierung mit der Übernahme des Ultimatums übernimmt. Aber zunächst wird sie verantwortlich
sein für die weitere Entwicklung der oberschlesischen Frage, an der wir ja nicht vorübergehen können, wenn auch die Ultimatumsfrage
weitaus im Vordergrund steht. Denn in Oberschlesien brennt´s und in Oberschlesien muß gelöscht werden.
Die Oberschlesische Frage ist nun allerdings durch die Annahme des Ultimatums, die heute erklärt werden soll, in ein neues
Stadium getreten. Wir wissen, daß man dieser Regierung hier Hoffnung macht Oberschlesien halten zu können, wenn sie das
Ultimatum annimmt. Aber meine Damen und Herren, leider ist es eben nur ein bloßes In-Aussicht-Stellen und keine Zusicherung.
Nicht nur daß wir wissen, daß Pleß und Rybnik, die ganzen Kreise und Teile des Kreises Kattowitz uns genommen werden sollen,
während wir hier doch einmütig der Meinung waren, daß ganz Oberschlesien zusammenbleiben müßte, ganz Oberschlesien deutsch bleiben müßte.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Nicht einmal der Industriebezirk soll nach den alliierten Erklärungen für uns gesichert sein. Und was das bedeutet gegenüber
dem ewigen Andrängen der Polen, das werden Sie sich selber klar machen. Es ist die Aufgabe der Regierung, von Oberschlesien
zu retten, was noch zu retten ist. Das Volk Oberschlesiens erwartet von der Regierung endlich einmal eine erlösende Tat.
(Zurufe bei den Sozialdemokraten.)
Es soll etwas getan werden, man soll nicht die Hände in den Schoß legen.
(Stürmische Zurufe bei den Sozialdemokraten.-
Glocke des Präsidenten.)
Präsident: Ich bitte um Ruhe!
Hergt, Abgeordneter: Mit dem Ultimatum, ich sagte es schon, ist die oberschlesische Frage in ein neues Stadium getreten.
Die Regierung wird sich nun erneut mit der Interalliierten Kommission in Verbindung setzen müssen, um herauszufinden,
was für unser Oberschlesien und die oberschlesische Bevölkerung getan werden kann. Eins möchte ich der Regierung mit
auf den Weg geben - und wir werden uns immer und immer wieder bei ihr als Mahner einfinden -: die Regierung soll nicht vergessen,
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