1. Reichstag, Weimarer Republik


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daß es sich in Oberschlesien heute noch um deutsches, geheiligtes deutsches Land handelt,

(lebhafter Beifall rechts)

das wir bis zum letzten Blutstropfen verteidigen müssen. Die alliierten Schutztruppen schützen die Bevölkerung nicht. Oberschlesien steht in Brand. Da kann unsere oberschlesische deutsche Bevölkerung erwarten, daß die Regierung nicht nur mit schönen Worten, sondern auch mit Taten ihr zur Seite steht. Daß sie kameradschaftlich und brüderlich - nicht nur mit Lebensmittel und Geld - an ihre Seite tritt und sie schützt. Die Annahme des Ultimatums steht in engem Zusammenhang mit der oberschlesischen Frage. Es wird allgemein gesagt: wer für Ablehnung des Ultimatums eintritt, der muß sich sagen, daß er damit Oberschlesien opfert.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! Sie können versichert sein, wir haben in schwerer Gewissensnot

(Unruhe und Lachen links)

uns diese und andere Fragen vorgelegt.

(Lebhafte Zurufe links.)

- Ich finde es unerhört, daß Sie einem Kollegen hier im Hause den Ernst und das Verantwortungsgefühl absprechen wollen. Ich finde das wenig anständig.

(Sehr richtig! rechts. - Unruhe links, - Glocke des Präsidenten)

Oberschlesien, meine Damen und Herren, ist nicht mehr in deutscher Hand und es steht auch nicht mehr unter alliierter Kontrolle. Polnische Insurgenten haben die Macht an sich gerissen. Und deshalb ist es auch irrig anzunehmen, auf der einen Waagschale läge das gesicherte Oberschlesien und auf der anderen die Annahme des Londoner Ultimatums.

(Sehr wahr! rechts.)

Und weil Oberschlesien ohne hin nicht mehr zu retten scheint, haben wir uns zu der Überzeugung durchgerungen, daß wir frei sein müßten von dieser Rücksicht auf die oberschlesische Frage, daß wir die Lebensfrage Deutschlands, die Frage, ob das Ultimatum unterschrieben werden solle, in erster Linie nach anderen Gesichtspunkten zu prüfen hätten. Wir vertrauen darauf, daß die Oberschlesier soviel patriotisches und politisches Verständnis haben, daß sie erkennen, daß wir bei unserer Ablehnung des Ultimatums keine Rücksicht hier nehmen dürfen. Denn es geht in dieser Frage nicht nur um Oberschlesien sondern um die Lebensfrage der ganzen deutschen Nation.

(Sehr richtig! rechts.)

Wenn Deutschland aus dieser Entscheidung der Ablehnung, gestärkt hervorgeht

(Zurufe von den Sozialdemokraten)

so geläutert, so gefestigt, daß es den schweren Nöten der Zukunft widerstehen kann, dann wird auch für Oberschlesien die richtige Lösung gefunden. Meine Damen und Herren! Es muß Klarheit herrschen über die Ziele des Gegners. Frankreich will nicht nur das Ruhrgebiet besetzen, um wirtschaftlich Druck auf unsere politischen Entscheidungen ausüben zu können. Nein! Frankreich will Deutschland mit seinem angedrohten Ruhreinmarsch ruinieren! Die neue Regierung und die sie tragenden Parteien sehen nur die Frage, ob man das Ultimatum annehmen soll oder nicht. Wir stellen da noch ganz andere Fragen


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in den Vordergrund und das sind Fragen, die auf dem Gebiet der Moral liegen. Hier geht es nicht nur um Gut und Geld und ähnliche Vorteile; hier handelt es sich auch um moralische Gesichtspunkte.

(Zuruf links: Um die reinigende Wirkung der Blut- und Stahlbäder!)

Meine Damen und Herren! Es geht um die Wahrung unserer Ehre.

(Bravo! rechts. Zuruf links: Eure Ehre durften Millionen mit dem Leben bezahlen. Abgeordneter Bartz: Hergt und Ehre! Zurufe von den Kommunisten. - Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Bartz, wenn Sie einen solchen Zwischenruf gemacht haben, muß ich Sie zur Ordnung rufen. Ich bitte Sie auch, wieder ihren Platz einzunehmen.

(Zuruf von den Kommunisten: Rufen Sie bitte auch Hergt zur Ordnung, denn er spricht hier von Ehre!)

- Überlassen sie die Wahrung der Ordnung mir, Herr Abgeordneter Remmele!

Hergt, Abgeordneter: Sollen wir die Ehre ganz verlieren? Sollen wir den letzten Rest von Selbstachtung aufgeben? Ist es nicht empörend, wie uns mit dem Ultimatum brutalste Gewalt angetan wird. Muß es uns nicht die Schamröte ins Gesicht treiben, wenn angesichts des Aufmarschs des ganzen Polenheeres gegen uns, die alliierten Siegermächte verlangen, wir sollten auch noch die letzten Waffen niederlegen und unsere Festungen im Osten entblößen? Die letzten schweren Geschütze sollen wir aus Königsberg, Lötzen und Küstrin herausgeben? Ist es nicht empörend, daß man wieder einmal die Entwaffnungsfrage dazu benutzen will, Zwietracht in das deutsche Volk zu tragen?

(Zuruf links: Waffen, die Ihr gegen uns gebrauchen wollt!)

Herr Briand sagte, der 31. Mai wäre der erste Stichtag, an dem sich entscheiden würde, ob Deutschland seine Verpflichtungen erfüllen würde, und dieser Tag würde automatisch den Einmarsch ins Ruhrgebiet herbeiführen. Meine Damen und Herren! Bleibt uns denn wirklich nichts anderes übrig, als das Ultimatum resignierend zu unterzeichnen? Haben wir nichts dagegen in die Waagschale zu werfen? Oder gibt es nicht doch etwas, was wir dagegen setzen können? Ich meine doch! Es gibt noch einen Aktivposten: den einmütigen, passiven Widerstand eines großen 60-Millionen-Volkes

(Lebhafte Zustimmung rechts. - Lachen und Zurufe links.)

Noch nie hat man von diesem Mittel Gebrauch gemacht. Lediglich einmal, als die Alliierten unsere Helden vor Gericht stellen wollte. Als man den Kaiser und seine Generäle als Kriegsverbrecher vor ein Tribunal bringen wollte, da hat das deutsche Volk erfolgreich sich schützend vor sie gestellt und die Auslieferung verhindert. Ansonsten hat man noch nie das ganze Volk mit seinen Widerstandskräften aufgerufen und eine Bewegung entfacht. Wir glauben, daß sich in einem solchen Widerstand die Größe des deutschen Volkes erweisen könnte, und daß vor diesem Beweis der Größe und Mannhaftigkeit des deutschen Volkes die Entente letzten Endes zurückweichen würde.


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