1. Reichstag, Weimarer Republik


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Frage nach dem Schicksal Oberschlesiens verbunden war. Manche meiner Freunde haben sich gesagt: wenn wir das Ultimatum ablehnen, ist Oberschlesien endgültig verloren. Denn wir glauben nicht daran, daß die anderen sich dann in der oberschlesischen Frage noch an Recht und Ordnung halten werden. Wir glauben nicht, daß dann noch das für uns positive Abstimmungsergebnis vom März relevant sein wird. Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß italienische und englische Truppen gegen die polnischen Insurgenten tapfer gekämpft haben. Wir wissen, daß Italiener und Engländer in den Kämpfen gegen die polnischen Banden ihr Leben eingesetzt

(bravo!)

und ihr Leben verloren haben. Ich glaube, es ist unsere Pflicht, auch von dieser Stelle aus ihnen zu danken und ihrer Familien zu gedenken.

(Sehr gut!)

Wenn also der Abgeordnete Hergt so tut, als wäre die Bevölkerung Oberschlesiens den polnischen Insurgenten schutzlos ausgeliefert, um dadurch Stimmung gegen die Regierung zu erzeugen, dann ist das so nicht wahr. Aber auch wir hätten uns ein größeres Engagement der Entente in Oberschlesiens zum Schutze der Bevölkerung gewünscht. Anstatt die Truppen unnötigerweise im Rheinland einzusetzen, hätte man ein ausreichendes Kontingent nach Oberschlesien verlegen können.

(Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten.)

Dann hat der Abgeordnete Hergt gesagt, seine Partei lehne die Annahme des Ultimatums ab, weil die Ehre des deutschen Volkes das erfordere. Das sind gefährliche Worte! Wenn die Dinge in den nächsten Wochen und Monaten so behandelt werden, daß von den einen behauptet wird, sie hätten die nationale Ehre geschützt, und von den anderen, sie hätten die nationale Ehre preisgegeben, dann kommen wir in so wilde gegenseitige Kämpfe hinein, daß wir an ihnen zerbrechen können.

(Sehr gut! bei den deutschen Demokraten und im Zentrum.)

Meine Damen und Herren! das Ultimatum ist keine Frage der Ehre. In unsere Lage gibt es nur eine Forderung nationaler Ehre, nämlich die, alles zu tun, womit das Volk und damit der Staat gerettet wird.

(Lebhafter Beifall bei den Deutschen Demokraten.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koenen.

Koenen, Abgeordneter: 7 Im Auftrag der Kommunistischen Partei habe ich Ihnen folgende Erklärung abzugeben: Das Ultimatum ist eine Frucht der imperialistischen Raubpolitik. Die Kommunistische Partei lehnt deshalb die Zustimmung zu dem Ultimatum ab. Sie betont, jedoch mit allem Nachdruck, daß ihre Ablehnung absolut nichts gemein hat mit der kaum verhüllten Absicht der Rechten, einen nationalistischen Revanchekrieg zu entfesseln, der den Friedensvertrag von Versailles zerreißen soll. Unser Ziel sind die vereinigten Sowjetrepubliken von Europa sie werden die kapitalistischen Gruppen ablösen.


7S. 3642D

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Das Unterschreiben des Ultimatums bedeutet Hunger für das deutsche Volk. Die Lebensmittelnot wird noch schlimmer als bisher, die Teuerung wird anwachsen, und die Zentrumspolitiker brauchen hier nicht so zu tun, als würden auch sie sich künftig Beschränkungen auferlegen müssen. Die gibt es immer nur für die Arbeiterschaft. Es ist ja schon deutlich genug gesagt worden, daß neue Verbrauchssteuern kommen, und auch der sozialistische Redner, Herr Wels, mußte zugeben, daß neue Lasten nicht erspart werden können. Er hat aber vergessen hinzuzufügen für wen. Man hat davon gesprochen, daß der Konsum, eingeschränkt werden müsse; es dürfe, nachdem unterschrieben ist, nicht mehr so viel nach Deutschland eingeführt werden. Diese Konsumeinschränkung wird allein als eine Geißel gegen das Proletariat wirken. Stockprügel auf den Magen des Proletariats werden die Folge sein. Man hat gesagt, daß die Steigerung der Produktion notwendig sei, um die uns auferlegten lasten aufzubringen. Was heißt "Steigerung der Produktivität"? Es heißt: verstärkte Ausbeutung und neue Geißelhiebe für die Arbeiter. Das was Sie vorhaben, bedeutet für die Arbeiter: noch weniger essen und noch mehr arbeiten. Sodann will ich noch auf das Blutvergießen in Oberschlesien zu sprechen kommen. An diesem Blutvergießen, meine Herren, sind Sie schuld. Sie haben die Lage verschärft durch Ihre Bürgerwehren. Sie haben die Situation verschärft durch Aussperrungen. In verschiedenen Städten, so in Gleiwitz und Bismackhütte haben die Arbeitgeber Aussperrungen vorgenommen und dadurch den sozialen Unmut verschärft, den Unmut, den dann die von diesen Kreisen finanziell unterstützten Nationalisten für ihre Zwecke ausnutzen konnten. Insgesamt sind daraufhin 68 Gruben in einen Solidaritätsstreik getreten. Erst durch den provozierten Arbeitskampf wurde eine Lage geschaffen, die es den Polen ermöglichte, den Aufstand zu entfachen. Jetzt stellt sich die heuchlerische Gesellschaft hin und weint Krokodilstränen darüber, daß das arme Oberschlesien so schwer mißhandelt wird. Sie mit Ihren Scharfmachertendenzen tragen ganz allein die Schuld, daß sich die Polen diese Situation zunutze machen konnten, und auf Sie fällt darum auch die Blutschande für das deutsche Volk. Ebenso verschärfend hat gewirkt, daß die großdeutschen Grundbesitzer in den Kreisen Rybnik und Tarnowitz einen Landarbeiterstreik provoziert haben. Selbst minimale Lohnforderungen wurden abgelehnt. Auch aus dieser unterdrückten Lohnbewegung erwuchs die nationalistische Erhebung der Polen. Die deutschen und polnischen Arbeiter kämpften mit ihren Streiks für soziale Forderungen. Erst die massive Unterdrückung durch Aussperrungen führte zum nationalistischen Aufstand. Woran sie schön erkennen können, wie der Hase hüpft. Durch Schüren von sozialem Unmut werden, unterstützt durch Agitation, auf beiden Seiten nationalistische Emotionen aufgeputscht. Dabei haben sich unsere kommunistischen Gesinnungsgenossen in Arbeiterräten zusammen-geschlossen, so in Zaborze, und gegen Korfanty Stellung bezogen, sie haben sich also durch aus nicht dem polnischen Nationalismus unterworfen. Einzig und


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