1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 112. Sitzung. Sonnabend den 4. Juni 1921.

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112. Sitzung. [i]


Sonnabend den 4. Juni 1921


Vizepräsident Dittmann: Das Wort hat der Herr Abgeordnete v. Graefe (Mecklenburg).

v. Graefe, Abgeordneter: 1 Die Reichsregierung hat sich heute vor allem durch das ausgezeichnet, was sie nicht gesagt hat, meine verehrten Damen und Herren! Dieses absolute Schweigen der Reichsregierung auf unsere Fragen und über ihre programmatischen Ziele und Wege muß hier festgenagelt werden, denn es ist in seiner Art sehr aussagekräftig.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Es ist ein Schweigen, über das wir die deutsche Öffentlichkeit aufklären müssen. Die Regierung sitzt so possierlich auf dem Roß der Verständigung und des Wiederaufbaus und doch reitet sie uns vor aller Augen in den Staub des Liquidators, des Liquidators des gesamten deutschen Volksvermögens und der ganzen deutschen Produktionsmittel zugunsten der Entente.

(Zustimmung bei den Deutschnationalen.)

Wenn der Herr Reichskanzler wirklich die volle Erfüllung des Ultimatums will, und sei es auch nur für die ersten Monate und Jahre, dann ist das der Zugriff auf die Substanz des Produktionskapitals, dann schreitet er zum Harakiri der deutschen Volkswirtschaft. Wir halten es für unsere Pflicht, diese Tatsache dem deutschen Volk ins Bewußtsein zu rufen. Wenn die Regierung zur Erfüllung des Londoner Zahlungsplans beabsichtigt, Vorzugshypotheken auf allen ländlichen und städtischen Grundbesitz zu legen, was den Wert des Grundbesitzes um ein Erhebliches mindert, dann ist das Enteignung, dann ist das die Liquidierung des deutschen Volksvermögens.

(Sehr wahr! bei den Deutschnationalen.)

Mein Fraktionsfreund, Dr. Helfferich, hat dazu treffend in einem Artikel bemerkt: "Wenn Sie diesen Weg gehen, wenn Sie mit diesen Mitteln das Ultimatum zu erfüllen versuchen, dann wird zwar erreicht sein, daß der Besitzende zum Bettler wird" - und darüber mögen Sie (nach links) sich vielleicht freuen, soweit Sie selbst nicht zu den Besitzenden gehören -, "aber", und darüber täuschen Sie sich nicht, "wird auch der freie Arbeiter zum Sklaven gemacht."

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen. - Zurufe links.)

Schon lange bevor sich diese Herren dazu bereit fanden, das deutsche Volk mit der Unterschrift unter das Ultimatum an die Entente restlos auszuliefern, haben meine politischen Freunde vor diesem Schritt im Auswärtigen Ausschuß gewarnt. Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß zu dieser Problematik auch die neue Leuchte des Kabinetts,


1 Bd. 349, S. 3796D

Herr Dr. Rathenau, nicht den Schatten einer Andeutung zu geben vermochte, wie er die Quadratur des Kreises zu lösen sich vorstelle. Herr Dr. Rathenau sprach von dem Grad der Not, in die das deutsche Volk zwecks Erfüllung geführt werden müsse. Ich spreche von Tod oder Leben des deutschen Volkes. Wir wollen von Ihnen, Herr Dr. Rathenau, eine Erklärung, in welcher Weise Sie die übernommenen Pflichten aus dem Ultimatum erfüllen wollen, ohne das deutsche Volk in die Sklaverei und in die Vernichtung zu führen, wie es die logische Konsequenz dieser Expropriation des deutschen Besitzes ist. Sie haben, Herr Minister Rathenau, mit der Ihnen zu Gebote stehenden Dialektik , die den Gaumen der Leser Ihrer Werke kitzeln mag, hier nachzuweisen versucht, daß Sie ja gar nicht von einem Saulus zum Paulus - richtiger: von einem Paulus wieder zum Saulus geworden sind, sondern daß Sie eigentlich schon immer den Standpunkt vertreten hätten, es sei ja nur der Index, den Sie bekämpften. Sie, der Sie heute der Unterschrift unter das Ultimatum das Wort reden, haben selber im "Berliner Tageblatt" geschrieben, daß es sich bei der Frage der Unterschrift darum handle: Besetzung sofort oder Besetzung des Reviers später. Sie haben geschrieben: Deutschland zählt sich an den Knöpfen ab, ob es ehrlich bleiben soll oder nicht. Sie haben die Unterschrift mit den Worten bezeichnet: Zwischen diesem Sofort oder Später liegt der Rest unserer Ehre und unserer Existenz. Sie haben ferner gesagt, und davon wäscht Sie keine Dialektik rein, und sei sie auch noch so blendend: "Die Unterzeichnung des Londoner Protokolls in seiner jetzigen Form ist mehr als ein Fehler, die ist der Schritt auf dem Weg zur bewußten Unwahrheit."

(Lebhafte Rufe rechts: Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren! Mit der Unterschrift unter das Protokoll wird ein Zahlungsversprechen gegeben, von dem man bei Unterschrift schon wußte, daß es überhaupt nicht zu erfüllen ist. Das ganze deutsche Volk, auch das von Dan bis Bersaba, alle waren sich in allen Parteien darin einig, daß dieses Ultimatum unannehmbar, unerfüllbar war. Es wurden alle Gründe dargestellt bis zu dem von Dr. Rathenau, daß man die Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit nicht preisgeben dürfe. Und dann kam dieses Kabinett und machte den Kotau: Wir unterschreiben es doch! Tiefer geht's nimmer! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Wirth und Dr. Petersen meinten hier das Kabinett vor den zutreffenden Äußerungen meines Fraktionsfreundes v. Braun schützen zu müssen,der Ausführungen über die besondere Zusammensetzung des Kabinetts gemacht hat. Aber ich sage Ihnen, unser Kampf und auch die Äußerungen, die Herr v. Braun, hier gemacht hat, richtet sich weiß Gott nicht gegen einzelne Persönlichkeiten, sondern gegen das System.

(Sehr richtig! rechts.)

Und, meine Damen und Herren, überrascht es Sie denn, daß wir dieses System bekämpfen? Ist Ihnen denn unser Parteiprogramm so unbekannt? Wissen Sie denn nicht, daß darin die Stelle steht: Wir wenden uns nachdrücklich gegen diese seit der Revolution immer verhängnisvoller hervortretende Vorherrschaft des Judentums in Regierung und Öffentlichkeit."

(Lachen links.)


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