1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. -116. Sitzung. Freitag den 17. Juni 1921.

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116. Sitzung.[i]


Freitag den 17. Juni 1921


Präsident: Die Sitzung ist eröffnet. Dritter Gegenstand der Tagesordnung: Interpellation der Abgeordneten Aderhold und Genossen, betreffend
Ermordung des bayrischen Landtagsabgeordneten Gareis. (Nr.2146 der Drucksachen.) .
Zur Begründung der Interpellation erteile ich das Wort namens der Interpellanten dem Herrn Abgeordneten Unterleitner

Unterleitner, Abgeordneter, Interpellant: 1 Meine Damen und Herren! "Blicken Sie nach Bayern! Dort haben wir den Ordnungsstaat." So hat der Parteivorsitzende Hergt auf dem Parteitag der Deutschnationalen gesagt. Die Schüsse der Mörderclique, die das Hirn unseres Genossen Gareis zerschmetterten, haben vor aller Welt gezeigt, wie der Ordnungsstaat aussieht, und haben die Aufmerksamkeit auf dieses Musterland der Ordnung gelenkt.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Kennen Sie die Mörder?)

- Das werde ich Ihnen nachher schon erzählen; warten Sie meine Ausführungen ab Herr Mumm! Diese Schüsse, sage ich, haben die Aufmerksamkeit der Welt auf die bayrische Ordnungszelle gelenkt, und kein Mensch wird zu behaupten wagen, daß die Vorgänge der letzten Zeit, die ihre Krönung in dem Morde fanden, mit Ordnung auch nur das geringste zu tun hätten. Dieser Mord ist nicht die Tat eines Einzelnen, sondern die Auswirkung eines ganz bestimmten politischen Systems in Bayern.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Es besteht in Bayern in engster Verbindung mit der Polizei eine Organisation, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschenleben zu beseitigen. Dieser Organisation ist Gareis zum Opfer gefallen. Die Welt erfuhr zum ersten mal von der Existenz dieser Mörderbande während der aufsehenerregenden Dobener Affäre im Oktober vorigen Jahres, als sich zwei Studenten vor Gericht verantworten mußten wegen schwerer Körperverletzung an dem Reichswehrsoldaten Dobener. Diese Mordbuben wurden nur zu Geldstrafen verurteilt und konnten ihr Handwerk weiter ausüben. Gareis hatte damals einen schweren Kampf gegen diese Mordorganisation zu führen. Da forderte ein ernst zu nehmendes politisches Blatt, die "Münchener Neuesten Nachrichten", dazu auf, gegen Gareis vorzugehen. damals, während des Prozesses, konnte Gareis feststellen, daß diese Geheimorganisation bis aufs kleinste funktionierte, daß eine ungeheure Zahl von Agenten beschäftigt ist, daß falsche Bärte vorhanden sind, das geheime Zimmer da sind, daß Autos zur Verfügung stehen, daß ein Heer von Spitzeln aufgeboten wird, um alles auszuschnüffeln, was


1Bd. 350, S. 3940D

dieser Geheimorganisation unangenehm ist. Einer dieser Leute ist, der zweite Landeshauptmann der Einwohnerwehren, Herr Kanzler, seine Einstellung zu Mord und Gewalt wurde in einem Brief des früheren Vorsitzenden der bayrischen Königspartei, Herrn Meier-Koy, festgehalten. Ich will diesen Brief dem stenographischen Bericht des Reichstags nicht vorenthalten und zitiere ihn deshalb hier. In ihm heißt es unter anderem:

die Verräter unter irgendeinem Vorwande aufsuchen, beiseite schaffen, umzubringen, und zwar unter Hinterlassung eines Merkmals, das die Motive zur Tat zweifelsfrei erkennen läßt. Die Führer brauchen bei der Ausführung eines Auftrags nicht ängstlich zu sein. Hinter ihm - Herrn Kanzler - stehe der Ministerpräsident.

(Lebhafte Rufe links: Hört! Hört!)

Er werde im falle von Anzeigen schon dafür sorgen, daß die Angeklagten frei kämen -
und daß weiter Kanzler hinzufügte,
er habe schon mehr als einmal Einwohnerwehrleute, die sich durch Gewalttaten gegen die Gesetze verfehlt hätten, aus den Klauen des Gerichts befreit.

Selbst Meier-Koy war damals von dem Treiben dieser Reaktionäre in Bayern angeekelt. Nun hatte also die bayrische Presse gegen Gareis eine infame Hetze inszeniert und besonders darauf hinge-wiesen, daß er Landesverräter sei, weil er als Vertreter der Internationale im bayrischen Landtag für Völkerfrieden und Völkerverständigung eingetreten war. Er war für die Einhaltung der Reichsgesetze in Bayern und war für die Durchführung des Entwaffnungsgesetzes, wie es das Londoner Ultimatum verlangte. Vor diesem Hintergrund mußte er für die Auflösung der bayrischen Einwohnerwehren sein. Da setzte gegen ihn eine maßlose Hetze ein.: er wurde als "Landesverräter" und als ein "verwerfliches, bestochenes Subjekt" bezeichnet. Diese Stimmung, die wir dann im "Miesbacher Anzeiger" noch näher kennen lernen werden, hat mit den Boden geschaffen, auf dem der Mord gedeihen konnte. Es wurde ihm unterstellt, er hätte einer französischen Zeitung die Waffenlager der bayrischen Einwohnerwehren verraten. Gareis wurde den bürgerlichen Parteien und ihrer Politik zu gefährlich, da mußte er beseitigt werden. In Bayern können sich die Reaktionäre frei tummeln, und in der letzten Zeit sind Überfälle und Mordanschläge am der Tagesordnung. Schon im vorigen Jahr wurde in eine Filiale unserer Zeitung eine Handgranate geworfen. Kein Mensch hat je den Täter entdeckt. Vor kurzem ist in die Versammlung des Republikanischen Führerbundes eine Handgranate geworden worden. Kein Mensch findet den Täter. Es sind Versammlungen gesprengt worden. Kein Mensch hat jemals diese Sprengungen verhindert. Die Versammlung von Gothein, die Versammlung von Osterroth, wissenschaftliche Versammlungen wie die Versammlung des Professors Magnus Hirschfeld wurden belästigt, und Hirschfeld wurde halbtotgeschlagen. Die Polizei hat niemanden gefunden. Unser Genosse Rosenfeld wurde in München verprügelt. Es hat sich niemand darum gekümmert. Der Rechtssozialist Saenger wurde vor vierzehn Tagen oder drei Wochen wieder tätlich angegriffen. - Der Herr Kollege Jaud lacht


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