1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 117. Sitzung Sonnabend den 18. Juni 1921.

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117. Sitzung. [i]


Sonnabend den 18. Juni 1921


Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwarzer (Oberbayern) 1

Schwarzer, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Es wird im bayerischen Volk großes Staunen erregen, durch den Herrn Unterleitner erfahren zu müssen, daß in Bayern eine Verwilderung der politischen Sitten herrscht,

(Rufe links: Nanu!)

wie sie sonst nur in Ungarn noch zu finden ist. Es wird aber auch ein Trost für die Bayern sein, zu hören, daß zu der gleichen Zeit, wo man hier von einer Verwilderung der Sitten in Bayern spricht, sich im Reichstag Dinge abspielen,

(Zurufe links: Mittelmann!)

welche die Verwilderung der politischen Sitten außerhalb Bayerns in einem ganz drastischen Bilde zeigen.

(Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich möchte also nur feststellen, daß der Vorwurf, als ob in Bayern besonders unruhige Verhältnisse und Zustände bestehen würden, gar nicht zutrifft.

(Lachen links.)

Alle die Vorkommnisse, die hier als eine Spezialität von Bayern angeführt werden, kommen in ganz gleichem Maße oder vielleicht noch in schärferen Formen in allen Ländern des Deutschen Reiches tagtäglich vor, ohne besonders beachtet zu werden.

(Sehr richtig! bei der Bayerischen Volkspartei.)

Es hat in manchen Kreisen bei uns den Anschein erweckt, als ob das ganze Kesseltreiben der äußersten Linken, das leider bis zu einem gewissen Grade auch von einer gewissen Presse in Berlin und Frankfurt unterstützt wird, den Zweck haben soll, den Fremdenverkehr nach Bayern zu unterbinden.

(Erregte Zurufe von den Sozialdemokraten und den Unabhängigen Sozialdemokraten. - Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich bitte um Ruhe!

Schwarzer, Abgeordneter: Jedenfalls ist diese Möglichkeit als Folge der Hetze gegen Bayern gar nicht ausgeschlossen. Sie schädigen damit also, ob Sie wollen oder nicht, direkt oder indirekt die Geschäftswelt in Bayern.

(Zurufe links: Blödsinn! - Unruhe.)

Sie schädigen aber vor allen Dingen die Arbeiter, die in der Fremdenindustrie beschäftigt sind.

(Abgeordneter Ledebour: Fragen Sie mal die bayerischen Arbeiter! Solche Erbärmlichkeiten hier vorzubringen! - Glocke des Präsidenten.)


1 Bd. 350, S. 3968A

Präsident: Herr Abgeordneter Ledebour, für diesen Zwischenruf muß ich Sie zur Ordnung rufen!

Schwarzer, Abgeordneter: Soweit kommt es allerdings nicht. Über Bayern ergießt sich zurzeit ein Fremdenstrom, wie wir ihn vielleicht überhaupt noch nie erlebt haben. Im Oberland, im Allgäu, im bayerischen Wald und überall, wo Sie hinkommen, ist alles voller Fremden, die Erholung suchen.

(Andauernde Zurufe links.)

- Warten Sie doch nur einmal ab! Seien Sie doch nicht so nervös!

(Abgeordneter Ledebour: Nein, ich bin empört! - Glocke des Präsidenten.)

Was nun die zitierten zwei Blätter anbelangt, so möchte ich Ihnen folgendes sagen.2 Der "Völkische Beobachter" ist ein Organ der nationalsozialistischen Arbeiterpartei und des antisemitischen Schutz- und Trutzbundes. Die nationalsozialistische Arbeiterpartei soll auch Arbeiter als Mitglieder haben. Soweit ich feststellen konnte, gehören diese Arbeiter nicht zu uns. Es ist mir aber berichtet worden, daß ein Teil dieser Arbeiter heute noch in Ihrer, das heißt, roten Gewerkschaften Mitglieder sind.

(Hört! Hört! bei der Bayerischen Volkspartei und rechts, Unruhe links.)

Sie sehen, wie interessant hier die Dinge liegen, daß die Arbeiter, die dieses Organ herausgeben, die sich nationalsozialistisch nennen, es noch mit ihrer Auffassung vereinbar finden, zu gleicher Zeit Mitglied der sozialistischen Gewerkschaften zu sein. Im Grunde genommen sind es verblendete, antisemitische Fanatiker, denen man allerdings nationale Begeisterung nicht absprechen kann.

(Unruhe links.)

Ihre Hetze aber und ihre Propaganda der Gewalt muß dem ganzen deutschen Volk den allerschwersten Schaden zufügen. Die Leute von dem antisemitischen Schutz- und Trutzbund wie auch von der nationalsozialistischen Arbeiterpartei schonen überhaupt keine Autorität und keine Partei, sie greifen wahllos alles an, sie haben den Kardinal Faulhaber angegriffen, sie sind gegen die Katholische Kirche Sturm gelaufen, sie greifen die Sozialisten ebenso wie die bayrische Regierung an. Und wenn Sie nun aus einem solchen Organ, das nur von dem Schmutz lebt, der in der Zeitung niedergelegt wird, aus einem Organ, das absichtlich darauf ausgeht, hundsgemein zu schreiben, damit es ein Geschäft macht, eine Menge von Zitaten vorbringen, um nachzuweisen, daß die Mordtat aus diesen Kreisen entstanden ist, und das die bayrische Regierung für diese Mordtat verantwortlich sei, so ist das eine Folgerung, die ich allerdings nicht verstehen kann.

(Große Unruhe links.)

Meine Damen und Herren! Ich werde Ihnen sagen, wie wir über diese Zeitung urteilen. Ich habe bis jetzt den "Völkischen Beobachter" überhaupt nicht ernst genommen, ihm überhaupt keine Beachtung


2 S. 3971D

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