1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 118. Sitzung. Montag den 20. Juni 1921

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118. Sitzung. [i]


Montag den 20. Juni 1921


Präsident:Wir kommen zum zweiten Gegenstand der Tagesordnung, zur
Fortsetzung der Besprechung der Interpellation der Abgeordneten Aderhold und Genossen, betreffend Ermordung des bayerischen Landtagsabgeordneten Gareis. In der fortgesetzten Besprechung hat das Wort der Herr Abgeordnete Bazille.

Bazille, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! 1 Was der Zweck der Interpellation ist, ergibt sich aus dem Ziel der Partei, die die Interpellation einbringt. 2 Das Ziel der Unabhängigen Sozialdemokraten ist in der Zeit vom 23. bis 27. Februar dieses Jahres auf der so genannten internationalen sozialistischen Konferenz in Wien an der die Unabhängige Sozialdemokratie mitgewirkt hat, festgestellt worden. In den Beschlüssen dieser Konferenz steht folgender Satz:

Wo die Revolution noch nicht bis zur Machtergreifung durch das Proletariat fortgeschritten ist, muß die Arbeiterklasse die revolutionäre Krise zur Eroberung der politischen Macht ausnützen.

Ein besonderer Abschnitt der auf der Konferenz gemachten Beschlüsse handelt von den Methoden und der Organisation des Klassenkampfes. In diesem Abschnitt heißt es einmal:

Selbst da, wo das Proletariat mit den Mitteln der Demokratie die politische Macht erobert, wird die Bourgeoisie in der Regel ihre wirtschaftliche Macht benützen, um die Auswirkungen der in die Hände des Proletariats gefallenen demokratischen Staatsgewalt zu sabotieren. Auch in diesem Falle wird daher das Proletariat nach der Eroberung der politischen Macht diktatorische Mittel anwenden müssen,

(hört! hört! bei den Deutschnationalen)

um die Widerstände der Bourgeoisie zu brechen. Die proletarische Diktatur nimmt dann die Form einer diktatorischen Herrschaft der von der Arbeiterklasse eroberten demokratischen Staatsgewalt an:

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Diese beiden Sätze, die sich ganz unzweideutig aussprechen über die Ziele der Unabhängigen und die Mittel, die sie anzuwenden gedenken, beleuchten hell und klar die Ziele der Interpellanten und erleuchten zugleich den Weg, den der Herr Reichskanzler hätte gehen müssen.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)


1Bd. 350, S. 3979D
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Die Interpellanten richten vier Fragen an die Reichsregierung. Die Grundlage für alle Fragen ist die eine Behauptung, es stehe fest, "daß das Verbrechen angestiftet wurde von den monarchistisch-militaristischen Kreisen, die sich unter Begünstigung der Kahr-Regierung in den Einwohnerwehren und Orgeschorganisationen Waffen für ihre reaktionären Pläne geschaffen haben." Wie steht es mit dieser Behauptung? Der Mord ereignete sich in der Nacht zum 10. Juni in München, und schon am 11. Juni rufen die überweisen Unabhängigen in Berlin: Das ist Tells Geschoß! Das war der Schuß eines Mannes, der Deutschland frei machen wollte von der Schmach, in die es mit durch das verhalten der Unabhängigen gekommen ist.

(Ruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Unerhört!)

Es war also eine Anklage, die aus schuldbeflecktem Gewissen gekommen ist.

(Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Vor wenigen Wochen ist in Württemberg 3 ein Attentat auf den Herzog Albrecht gemacht worden. Was würden Sie sagen, wenn von den monarchischen Kreisen Deutschlands die Behauptung aufgestellt würde, der Täter sei von den Unabhängigen oder von den Kommunisten angestiftet worden!

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen.)

Sie würden mit Recht über diese Behauptung daßelbe Urteil fällen, das wir über Ihre Behauptung fällen.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Und warum denn diese voreilige Anklage? Warum die Verquickung einer gänzlich unaufgeklärten Tat mit der Regierung Kahr? Weil diese Regierung ein Turm ist in der Schlacht der Ordnung gegen die Revolution,

(sehr gut! bei den Deutschnationalen)

weil unter der Regierung Kahr vornehmlich das bayerische Volk zum Schirm und Schild der deutschen Ehre geworden ist,

(bravo! bei den Deutschnationalen)

und weil die Herren, die den Umsturz wollen, wissen, daß, solange die Regierung Kahr Widerstand gegen die Diktatur des Proletariats leistet, sich zu den Flügeln ihres wahnbeherrschten Geistes nicht so leicht ein körperlicher Flügel gesellen wird.

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen.)

Das beweist ja auch klar der Verlauf des Generalstreiks, überhaupt der gesamten Aktion, die verflogen ist wie der Rauch eines Strohfeuers.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Wie verbrecherisch war aber auch der Aufruf zum Generalstreik durch die Parteien, die das Ultimatum unterschrieben haben, die also verpflichtet sind, jede Störung des Wirtschaftslebens zu unterlassen! 4

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Und wie töricht, ja, wie lächerlich war schließlich der Kampf gegen die Windmühlen der Reaktion! Die unsterbliche Gestalt Don Quijotes ist wieder umgegangen in deutschen Landen. Was macht denn den irrenden Ritter aus der Mancha unsterblich? Doch gewiß nicht der Umstand, daß das Werk Servante's eine Satire auf die Ritterromane jener Zeit sein soll! Diese


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