1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 125. Sitzung. Samstag den 27. Juni 1921.

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125. Sitzung.[i]


Samstag den 27. Juni 1921.


Präsident Wir kommen zum nächsten Gegenstand der Tagesordnung, zur Beratung des schleunigen Antrags der Abgeordneten Becker, Trimborn, Hergt, Petersen und Genossen, betreffend Außerkraftsetzung der Verordnung über die deutschen Flaggen vom 11. April 19211 Zur Begründung hat das Wort namens der Antragsteller der Herr Abgeordnete Dr. Gildemeister:

Dr. Gildemeister, Abgeordneter, Antragsteller:2 Meine Damen und Herren! Der Art. 3 der Reichsverfassung bestimmt im ersten Absatz, daß die Reichsfarben schwarz-rot.gold sind, während für die Handelsflagge des deutschen Reichs eine andere Farbe vorgesehen ist, nämlich schwarz-weiß-rot, jedoch die Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold in der oberen linken Ecke dieser Handelsflagge erscheinen. Für Deutschland ist also nunmehr das Zweiflaggensystem eingeführt: wir besitzen eine Staatsflagge und daneben eine Handelsflagge. Das Eigenartige an der Regelung, wie sie hier getroffen worden ist, ist jedoch nicht die Tatsache, daß zwei Flaggen nebeneinander bestehen; denn wir haben ähnliche Systeme auch bei anderen Staaten gehabt. Ich darf nur an Rußland und an Österreich erinnern, um von zwei großen Ländern zu sprechen. Es ist aber beklagt worden, daß man in die schwarz-weiß-rote Flagge, ein Eck mit den Reichsfarben oben hineingesetzt hat. Die schwarz-rot-goldene Flagge hat auf See niemals auf einem Handelsschiff geweht. Zwar ist die Flotte von 1848, die nachher in Elsfleth wieder versteigert wurde, mal unter Schwarz-Rot-Gold in das Meer gefahren, aber diese Flagge wurde auch vom Deutschen Bund nicht anerkannt und ist wieder verschwunden. Die schwarz-weiß-rote Handelsflagge aber ist diejenige Flagge, unter der Deutschland überhaupt mit seiner Handelsflotte als einer einheitlichen Handelsflotte jene Seegeltung und Bedeutung erst gewonnen hat. Man betrachtet es deshalb in den Kreisen der Reederei und aller seemännischen Interessenten zunächst einmal vom flaggentechnischen Standpunkt aus als verfehlt, daß die Reichsfarben in einem Eck in die Handelsflagge hineingefügt worden sind. Derartige Einfügungen in die Flagge haben wohl einen gewissen Sinn bei der Flagge, die Bedeutung eines Unterscheidungsmerkmals. Da hier aber von einer einheitlichen Handelsflagge die Rede ist, fehlt diesem Eck im schwarzen Streifen jede vernünftige Bedeutung. Aber ganz abgesehen von der flaggentechnischen Bedeutung ist zu erwägen, daß die schwarz-wie-rote Flagge ein Element ist, daß die Seemannschaft, daß unsere Handelsflotte, daß unsere Kaufleute und


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insbesondere auch die Auslandsdeutschen als reine deutsche Handelsflagge ungestört erhalten wissen wollen.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen und bei der Deutschen Volkspartei.)

Es wäre nun nach der Verordnung des Reichspräsidenten vom 11. April vom 1. Juli dieses Jahres an zunächst neben der schwarz-weiß-roten Flagge die neue Flagge einzuführen. Davon wird Verwirrung besorgt, und es besteht in allen beteiligten Kreisen der starke Wunsch, daß die Handelsflagge rein, wie sie war, schwarz-weiß-rot erhalten bleiben möge. Es ist die Flagge, unter der der deutsche Handel in Übersee Fuß gefaßt hatte,3

(sehr richtig! rechts)

und wenn er heute noch zerstört ist, die Verbindungen abgebrochen sind und es dort an den Wiederaufbau geht, dann ist es Pflicht für Deutschland dies unter seiner alten guten schwarz-weiß-roten Handelsflagge zu tun.

(Sehr wahr! Rechts. - Hört! Hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokratie.)

Das wird allgemein in den Kreisen, die auf diese Dinge ihr Augenmerk gerichtet haben, empfunden. Um diesem allgemeinen Wunsche und der großen Einstellung des Wiederaufbaugedankens unserer Beziehungen über See Ausdruck zu geben, haben sich die Parteien zu dem Ihnen vorliegenden Antrag geeinigt, der von der Tatsache ausgeht, daß die genannten Berufsverbände an den Reichstag herangetreten sind, und feststellt, Daß zweifellos - und das wird, glaube ich, von niemandem bestritten werden können - eine Gefährdung des Wiederaufbaus unserer überseeischen Beziehungen

(Unruhe und Zurufe links: Das Gegenteil ist der Fall!)

zu den Auslandsdeutschen besteht, falls die Flagge geändert werden würde.

(Sehr richtig! rechts.)

Wer demgegenüber rufen kann, daß das Gegenteil der fall ist, der ist über die Stimmung der Auslandsdeutschen, über ihre Kundgebungen völlig unorientiert.

(Lebhafte Zustimmung rechts. - Widerspruch links.)

Ich darf mitteilen, da beispielsweise in Chile von den Deutschen eine Abstimmung veranstaltet worden ist, die sich mit 95 Prozent für die Beibehaltung der schwarz-weiß-roten Flagge ausgesprochen hat.

(Lebhafte Rufe rechts: Sehr gut! - Lachen und Zurufe links.)

Wenn Ihnen das nicht genügt, so weise ich, um ein anderes Land hervorzuheben, auf Argentinien hin, wo die Auslandsdeutschen beschlossen habe, daß, wenn die Handelsflagge geändert werde, sie auf ihren Häusern die Flagge nicht mehr hissen würden. Es besteht also die große Gefahr, daß die deutsche Handelsflagge über See überhaupt verschwindet.

(Sehr richtig! rechts. - Lachen links.)

Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß über diese Dinge überhaupt noch Zweifel bestehen können.

(Sehr richtig! rechts. - Lachen links.)

Wir haben also mit diesem Antrag das hohe Haus zu bitten4 , daß diesem Wunsche breiter Kreise Rechnung getragen wird, daß die große nationale Aufgabe des


3S. 4163C/D
4S. 4164A

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