1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 137. Sitzung. Sonnabend den 1. Oktober 1921.

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137. Sitzung. [i]


Sonnabend den 1. Oktober 1921


Präsident: Wir fahren in der Besprechung fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marx.

Marx, Abgeordneter: Meine Damen und Herren!1 Das eine mögen Die Herren von der Deutschnationalen Partei mögen doch einmal erwägen: wie verhält es sich mit nationaler Gesinnung2, wenn in den ihnen nahestehenden Zeitungen, auch in den von ihrer Seite herausgegebenen Broschüren von Anfang an bis heute noch gegen die Republik gegen die Träger der Regierungsgewalt Sturm gelaufen wird3 mit Hohn, bald mit Spott, bald mit dem allerbeißendsten Spott, bald mit Verleumdung, mit Verdächtigungen aller Art, bald mit Anekdoten und Erzählungen, die das Volksbewußtsein vergiften und vielleicht gefährlicher sind, als sonstige gewaltsame Angriffe gegen das Staatswesen,

(sehr richtig! im Zentrum)

denn sie vergiften die Seele des Volkes in weiten Kreisen und beschwören eine Gefahr für die Zukunft herauf, die direkt gar nicht zu bemeistern und zu beherrschen ist. Wenn dem verstorbenen Abgeordneten Erzberger4 um nur weniges und verhältnismäßig Harmloses zu erwähnen, von angesehenen und verbreiteten Zeitungen immer wieder vorgeworfen wurde, er sei von der Entente bestochen gewesen, als er mit ihr verhandelt hätte, wenn er ein Schurke genannt wurde und als derjenige hingestellt wurde, der das Vaterland vernichtet habe, wenn sein Name in rechtsgerichteten Kreisen kaum genannt werden konnte, ohne das Vaterlandsschädigung, Schädling des deutschen Volkes hinzugefügt wurde, - muß das diesen Haß erzeugen, dessen schreckliche Folgen wir erlebt haben. Ja, meine Damen und Herren, ich gehe weiter und sage: wenn dem nicht bald Einhalt geschieht, was sich jetzt in den letzten Wochen ereignet, dann werden wir von dem gegen unseren jetzigen Reichskanzler veranstalteten Kesseltreiben vielleicht Folgen zu erwarten haben, die denen gegen Erzberger genau gleichzustellen sind.

(Sehr wahr! im Zentrum und links.)

Vizepräsident Dr. Bell: Der Herr Abgeordnete Dr. Levi hat das Wort.

Dr. Levi, Abgeordneter: Meine Damen und Herren!5 Man könnte sich eigentlich darüber wundern, daß der


1Bd. 351, S.4671B
24671D
34672A
44674A
54705A

Mord an dem früheren Abgeordneten Erzberger in Deutschland diese große Erregung und tiefe Erschütterung hervorgerufen hat. Denn man muß sagen, daß der Mord an Erzberger eigentlich weder der Tatsache des Mordes nach noch bezüglich der Kreise, den der Mord betraf, eine Absonderlichkeit und etwas neues war.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Gemordet wurde in Deutschland seit November 1918 sehr viel, gemordet von der rechten Seite.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten. - Widerspruch rechts.)

Gemordet wurden während der Revolution nicht nur Angehörige der linken Parteien und besonders Freunde von uns, sondern der Mord hat sich ja schon bei früheren Gelegenheiten bis in die Reihen des Zentrums geschlichen. Ich erinnere Sie an die katholischen Gesellen in München,

(sehr wahr! Bei den Kommunisten)

die in bestialischer, schamloser Weise gemordet worden sind, und deren Mörder Richter gefunden haben, deren Urteile als eine Aufreizung zu neuem Mord wirken mußte.

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten)

Im Zentrum hat sich damals keine Stimme gefunden, die bei dieser furchtbaren Tragödie ein Wort geredet hätte.

Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Vorsitzende des braunschweigischen Staatsministeriums, Herr Örter.

Örter, Minister, Vorsitzender des braunschweigischen Staatsministeriums: Meine Damen und Herren!6 Fürchten Sie nicht, daß ich Ihre Zeit länger als eine Minute in Anspruch nehme. Die geistige Berieselung, die ich zwei Tage hier empfunden habe, ist nämlich so gewesen, daß sie mich weniger erfrischt als ermattet hat.

(Heiterkeit!)

Wir haben seinerzeit in Braunschweig 54 Polizisten, die dem "Stahlhelm" angehörten, entlassen.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Wir mußten zu dieser Entlassung aus einer ganzen Reihe von Gründen schreiten. Es ist ja jetzt allgemein üblich, daß man, nachdem das Kind, wenn ich so sagen soll, in den Brunnen gefallen ist, plötzlich dazu kommt, die vollkommene Verfassungstreue, die man in sich hat, zu betonen. Auch sonst haben alle Organisationen, deren Charakter ganz unzweideutig ist, das getan, daß sie plötzlich etwas anderes sein wollten, als sie wirklich innerlich sind.

(Sehr wahr! Bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Dazu gehört auch der "Stahlhelm". Nun ist er jetzt lediglich eine Organisation zur Pflege der Kameradschaftlichkeit,

(Heiterkeit links)

der die Klassen versöhnen will. Die Tatsache aber, die wir bezüglich des "Stahlhelm" ermittelt haben, sind ganz andere.

(Hört! Hört! Links.)

Ich weise nur darauf hin, daß wir in der braunschweigischen Stahlhelmorganisation die Tatsache zu verzeichnen, daß die Leute dort aufgefordert worden


64709C

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