1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 145. Sitzung. Donnerstag 17. November 1921

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145. Sitzung. [i]


Donnerstag 17. November 1921


Geschäftliches:
Fortsetzung der Besprechung der Interpellation Hergt und Genossen.:

a) Aufhebung der Zwangswirtschaft für
Landwirtschaftliche Produkte
b) Getreideverschiebung

Präsident: Die Sitzung ist eröffnet: In der fortgesetzten Beratung hat das Wort der Abgeordnete Hepp.

Hepp,1 Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Das Haus hat sich in seiner letzten Plenarsitzung sehr eingehend mit der Teuerungsfrage beschäftigt. Ich glaube, das eine Fazit darf zunächst aus diesen gewesenen Verhandlungen gezogen werden, daß sich in diesem Hause eine Einigung über die Auffassung der waren Gründe der Teuerung nicht herbeiführen lassen werden. Solange insbesondere die linke Seite des Hauses die sachlichen Gründe, die hier von beruflicher Seite in die Debatte geworfen worden sind, noch so wenig Verständnis entgegenbringt. Aber ich glaube, es liegt ja auch gar nicht in der Politik und im Interesse dieser Seite des Hauses, sich mit uns auf irgendeiner sachlichen Plattform zu einigen; denn damit würde ihr ja die gesamte Grundlage, auf der sie heute ihre Politik gegen die Rechtsparteien, insbesondere gegen die Landwirtschaft, zu treiben pflegt, entzogen werden.

(Unruhe und Zurufe links: Unerhört!)

Meine Damen und Herren! Das soll uns aber nicht abhalten, den Tatsachen auf den Grund zu gehen und festzustellen, wo in Wirklichkeit die wahren Gründe für die augenblickliche Teuerung zu finden sind. Wenn in der Art und Weise, wie in den letzten Wochen gegen die Landwirtschaft gehetzt worden ist, etwa gegen die Arbeiterschaft gehetzt würde, die Sie (nach links) ja zu vertreten für sich in Anspruch nehmen, hätten wir, glaube ich, nicht die Ruhe und Ordnung, die wir Gott sei Dank noch haben. Ich glaube, wir sollten gerade jetzt der Landwirtschaft dafür dankbar sein, daß sie in dieser unruhigen Zeit trotz der andauernden Angriffe, die gegen sie gerichtet worden sind, die Ruhe und die Ordnung zu wahren verstanden hat. Meine Damen und Herren! Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hat mit Recht in seiner Rede darauf hingewiesen, wo die wahren Gründe der Teuerung zu suchen sind. Sie liegen nicht in den angeblichen Wucherpreisen der Landwirtschaft. Die wahren Gründe liegen in unserer gesamten Wirtschaftslage, in der wir uns zurzeit befinden, einer Wirtschaftslage, die gekennzeichnet ist durch die


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Verpflichtungen, die wir gegenüber der Entente eingegangen sind. Nach unserer Auffassung geht das deutsche Volk jetzt den Leidensweg, den es beschritten hat mit dem Vertrag von Versailles, der weiterführt über Spa, über London, über Genf. Wir erleben nunmehr die ganzen furchtbaren Folgen dieser so genannten Erfüllungspolitik des derzeitigen Kabinetts. Nicht die Wirtschaft ist schuld an dem augenblicklichen Hochstand der Preise, an der Entwertung der Mark, schuld sind vielmehr die Verpflichtungen, die wir auf Grund der Politik des Reichskabinetts übernommen haben. Auch diese Teuerung ist ein weiteres Moment von sehr starkem Einfluß, das sich gerade in den letzten Wochen und Monaten geltend gemacht und das ebenfalls eine Folge der Entwertung der Mark ist. Das ist der Ausverkauf Deutschlands, der sich insbesondere in den besetzten Gebieten des Westens zeigt, der sich in der letzten Zeit aber auch selbst in Berlin bemerkbar macht. Das geht nicht nur so weit, daß die Ausländer nach Deutschland kommen, und hier uns das Letzte, was wir noch haben, wegkaufen, sondern das Unerhörte ist Tatsache geworden, daß deutsche Geschäftsleute, die man wohl ruhig unter die Rubrik der Schieber setzen kann, ins Ausland gehen und dort deutsche Waren zu billigem Preise anbieten . Nun gestatten Sie mir noch einige Worte zu der speziellen Frage der Teuerung auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Erzeugung.2 Die Industrie ist mit der Entwicklung der Preise ihrer Erzeugnisse der Landwirtschaft um Monate und Jahre vorausgeeilt. Durch die Zwangswirtschaft sind die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse künstlich niedrig gehalten worden. Nachdem nun die Zwangswirtschaft allmählich beseitigt worden ist, müssen selbstverständlich auch die Erzeugnisse der Landwirtschaft den Weg gehen, den die Erzeugnisse der Industrie schon seit Monaten gegangen sind. Wenn ich vorhin davon gesprochen habe, daß unsere Wirtschaftslage und der Tiefstand unserer Mark in erster Linie an der derzeitigen Teuerung schuld sind, so kommen doch speziell für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse noch einige ganz besondere Momente hinzu. Es handelt sich zunächst einmal um die Steigerung der Produktionskosten in der Landwirtschaft. Ich weise auf das Anwachsen der Löhne hin, möchte aber besonders auf den Punkt aufmerksam machen, der im Haushalt eines landwirtschaftlichen Betriebes eine ganz besondere Rolle spielt, nämlich die Kosten für landwirtschaftliche Produktionsmittel, insbesondere für die Düngemittel. Wenn im Jahre 1913 das Kiloprozent schwefelsaures Ammoniak zu einem Preise von 1,30 Mark käuflich war, so beträgt dieser Preis im Augenblick für die gleiche Menge und die gleiche Qualität 14,50 Mark.

(Hört! Hört! Rechts.)

Unter diesen Umständen3 wird es selbst dem Dümmsten klar werden, daß die Landwirtschaft, wenn sie ihren Betrieb überhaupt aufrechterhalten will, bei der Herausbildung der Kosten für ihre Erzeugnisse den Produktionskosten Rechnung tragen muß.


2S. 5012A/B
3S. 5012C

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