1. Reichstag, Weimarer Republik


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durch die Bluttat ausgelöst worden ist, eine Nervosität, die soweit ging, daß man in der Abwehr jeden Maßstab verlor. Auch damals, meine Damen und Herren, die Verfolgung der Demagogen, die Schnüffelei nach Geheimbünden, wie sie ja heute ihre Blüten treibt! Auch damals der Abschluß der ganzen Periode mit einem gegen das Vereins- und Versammlungsrecht im allgemeinen und gegen die Presse, gegen die Pressefreiheit im besonderen gerichteten Beschluß. Ich erinnere Sie an die bekannten Karlsbadener Beschlüsse, die der heutigen Ausnahmeverordnung gleichen wie ein Ei dem anderen.

(Lebhafte Zustimmung rechts. - Zurufe von den Deutschen Demokraten: damals von Konservativen ausgegangen!)

Ich sagte, daß auch der Vergleich der maßgebenden Staatsmänner da allerhand Perspektiven eröffnet. Damals war der Fürst Metternich, an dessen Namen sich bekanntlich die Erinnerung an die Reaktionszeit knüpft. Nun, ich widerstehe der Versuchung, etwa hier Vergleiche zwischen dem Fürsten Metternich und dem Reichskanzler Dr. Wirth anstellen zu wollen.

(Sehr gut! rechts. - Zurufe.)

- Ja, es ist sehr gefährlich! - Es gibt, wie gesagt, aber doch eine Parallele. Sie liegt allerdings nicht, wie ich zur Beseitigung von Missverständnissen hervorheben werde, auf dem Gebiet der diplomatischen und staatsmännischen Befähigung.

(Heiterkeit rechts.)

Das meine ich nicht; denn der Fürst Metternich - man mag über ihn sagen, was man will - war ein Staatsmann und Diplomat, eine Eigenschaft, die der Herr Reichskanzler Dr. Wirth -, sagen wir einmal bescheiden, erst noch zu erweisen haben wird.

(Heiterkeit rechts.)

Aber in der Bekämpfung der Gegner, der Knebelung der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts ist eine geradezu verzweifelte Ähnlichkeit zwischen beiden nicht zu verkennen.

Meine Damen und Herren! Die Vertreter der Regierungsparteien haben sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Verordnung der berechtigten Notwehr gegen umstürzlerische Einflüsse und Bestrebungen zu verdanken sei und daß ein Staat auf die Notwehr gegen solche Einflüsse nicht verzichten könne. Wir Deutschnationalen haben für diesen Gedankengang an sich volles Verständnis. Ein Staat, mag er eine Monarchie sein oder auch eine Republik, eine Staatsform, der wir bekanntlich innerlich nicht anhängen, muß, wenn er sein erstes Recht, daß er in Anspruch zu nehmen hat, nämlich das Recht der Selbsterhaltung, zur Geltung bringen will, selbstverständlich auch gegen Umsturzbewegungen, zu jedem verfassungsmäßigen Mittel greifen können, um sie abzuwehren.

(Zuruf auf der äußersten Linken.)

- Herr Abgeordneter Hoffmann, ich nehme an, daß Sie in der Geschichte unseres Vaterlandes so weit beschlagen sind, daß Sie auch Heinrich v. Treitschke kennen.

(Abgeordneter Hoffmann: Ich kenne auch Kapp!)


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- Daran habe ich nicht gezweifelt, Sie kennen auch noch ganz andere Leute.

(Abgeordneter Hoffmann: Jawohl, ich kenne auch Sie ganz genau!)

- Das freut mich, ich habe leider noch nicht den Vorzug gehabt. Also Heinrich v. Treitschke hat bekanntlich das Wort geprägt: Staat ist Macht! Und von diesem Standpunkt Treitschkes aus verstehen wir es vollkommen, wenn die Reichsregierung in der Abwehr von kommunistischer oder unabhängiger Bestrebungen, soweit sie auf gewaltsame Änderungen der Verfassung und des Staates abzielen,

(Abgeordneter Höllein: Wo waren Sie in Weimar?)

- Herr Abgeordneter Höllein, gehen Sie doch in eine Kaltwasserheilanstalt!

(Sehr gut! rechts. - Erneute Zurufe des Abgeordneten Höllein.)

- Ich sage also, wir haben volles Verständnis dafür, daß die Reichsregierung gegen diese Bestrebungen vorgegangen ist. Aber wir haben den Eindruck, daß der Herr Reichskanzler, der ja dafür verantwortlich ist und ja bekanntlich einseitig die Front nach rechts zu nehmen pflegt, hier größere Gefahren wittert, als sie dort von jener Seite in die Erscheinung getreten sind.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen, - Zurufe links.)

Wir wollen aber die Gelegenheit doch nicht vorübergehen lassen, um folgende Fragen an den Herrn Reichskanzler zu richten.7 Die eine ist die folgende: Man hat uns von der Regierungsbank und in der ganzen regierungsfreundlichen Presse in allen Tonarten vorgeworfen, daß wir an der Ermordung Erzbergers die moralische Schuld trügen.

(Sehr wahr! Bei den Sozialdemokraten und bei der äußersten Linken.)

Ich richte die Frage an den Herrn Reichskanzler beziehungsweise, wenn er nicht da ist, an den Herrn Innenminister: wie ist der Stand des Prozesses gegen den angeblichen Mörder Erzbergers?7

(Sehr gut! Bei den Deutschnationalen.)

Wir möchten gern wissen, ob bei der Untersuchung, die ja doch mit allem Nachdruck aufgenommen worden ist, etwas herausgekommen ist, was irgendwie die Behauptung rechtfertigen könnte, daß die Deutschnationale Volkspartei mit diesem Mord in irgendeinem, wenn auch nur losen Zusammenhang steht.

(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen. - Lachen links.)

Ich habe zu dieser Frage alle Veranlassung. Auf einmal nämlich wurde der Sturm abgeblasen. Während erst in allen Tonarten von Tag zu Tag zu lesen war, daß die Deutschnationalen daran schuld seien, ist es seit einigen Wochen davon still geworden. Merkwürdigerweise - wenigstens reime ich mir das so zusammen - seit den Tagen, als plötzlich durch die Zeitungen die Nachricht ging, daß die Polizeibeamten, die angeblich die Spur der Mörder entdeckt haben sollten, in Untersuchungshaft genommen seien, und zwar wegen vollendeten oder versuchten Betruges.

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)


7S. 5275D

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