1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 171

A B

Man kann ja ungefähr, wenn man eine gewisse Kombinationsgabe hat, über die ich ja verfüge,

(Heiterkeit rechts)

sich das zusammenrechnen. Es schien so, als ob diese Polizeibeamten etwa die angesetzte Belohnung dadurch hätten erschleichen wollen, daß sie die Spur der Staatsanwaltschaft auf eine falsche Fährte gelenkt haben. Wir fragen also, um Klarheit zu haben: wie steht es mit dem Erzberger-Prozeß? Und noch ein zweites, Herr Minister. Wir fragen weiter. Der Herr Reichskanzler und die ganze Regierungspresse hat über die deutschnationale Mörderzentrale geklagt, die natürlich nur in den Gehirnen der Herrschaften besteht. Wir fragen deshalb an -

(Abgeordneter Dr. Rosenfeld: Sie wissen es doch, Sie brauchen doch nicht zu fragen! - Lachen bei den Deutschnationalen.)

- Herr Kollege Rosenfeld, wenn ich es wüßte, würde ich nicht fragen.

(Heiterkeit bei den Deutschnationalen.)

Ich frage also den Herrn Minister: Was ist mit den Untersuchungen über das Vorhandensein von angeblichen deutschnationalen Mörderzentralen in München oder Süddeutschland herausgekommen? Und ein drittes: Mein Freund Graf Westarp hat über den unerhörten Versammlungsterror geklagt, dem meine Partei seit Monaten ausgesetzt ist. Etwa 70 Fälle hat er aufmarschieren lassen.

(Zuruf von den Kommunisten: das ist wenig!)

- Das ist nur ein Bruchteil von dem, was sich ereignet hat, aber immerhin etwas. Wir haben kürzlich eine Antwort bekommen, die sich auf etwa 5 bis 6 Fälle beschränkt und die äußerst dürftig ist. Wir fragen deshalb an: ist jetzt, nachdem 6 bis 8 Wochen ins Land gegangen sind, die Regierung in der Lage, anzugeben, ob in diesen Fällen des unerhörten Versammlungsterrors die Staatsanwaltschaft den Tätern den Prozeß gemacht haben? Das sind die drei Fragen, deren Beantwortung wir von dem Herrn Minister wünschten.

(Zuruf von den Kommunisten: Fragen Sie doch noch ein bißchen!)

Meine Damen und Herren! Das Kesseltreiben der Regierung gegen uns ist uns im allgemeinen recht wohl bekommen. Das haben die Berliner Wahlen, die Wahlen in Baden und Hessen zur Evidenz erwiesen. Also wenn wir eine Parteipolitik treiben wollten, könnten wir sehr wohl mit ansehen, daß die Verordnung weiter bestehen bleibt. Wir könnten uns dabei, parteipolitisch betrachtet, recht wohl und munter fühlen. Aber darum ist es uns nicht zu tun. Wenn wir den Antrag auf Aufhebung stellen, ist es uns zu tun um die wirkliche Freiheit der Presse, die Ihnen (nach links) allerdings hier gleichgültig zu sein scheint. Wir wollen mit unserem Antrage die Pressfreiheit in Deutschland, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Schutz nehmen gegen diejenigen, die sie stets im Munde führen. Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

(Lebhafter Beifall bei den Deutschnationalen.- Zurufe von der äußersten Linken.)


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Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haas (Baden).

Dr. Haas, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Wie krankhaft unsere Zeit ist und wie sehr wir in außergewöhnlichen Zuständen leben, hat die Rede des Abgeordneten Graef deutlich bewiesen.8 Denn wenn ein ernsthafter Mann hier an dieser Stelle offenbar auf ganz leeres Gerede hin offensichtlich unwahre Behauptungen aufstellt,

(hört! Hört! bei den Sozialdemokraten)

dann ist das nur so zu erklären, daß eben die Krankheitserscheinungen unserer Zeit auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen sind. Sie haben folgende Ausführungen gemacht9 , Herr Kollege Graef. Sie haben gesagt: Nach der Ermordung von Erzberger wochenlang ein wilder Lärm: die Deutschnationalen seien moralisch verantwortlich für die grässliche Tat; in den letzten Wochen sei es still geworden, die Behauptungen seien verstummt, und Sie hätten eine Erklärung dafür. Das erkläre sich dadurch, daß einige Polizeibeamte verhaftet worden seien; sie hätten offenbar falsche Angaben gemacht, um eine Belohnung zu erschleichen. Wenn ihre Ausführungen einen Sinn haben, so konnte der Sinn nur der sein: alles was früher an Beweismaterial als richtig angenommen wurde, hat sich als Lügengebäude herausgestellt, das Polizeibeamte errichtet haben, um die Belohnung zu erschleichen. - Ich weiß, das ähnliche Behauptungen, wie Sie sie hier an dieser Stelle vorgebracht haben, von Mund zu Mund getragen worden sind.

(Sehr richtig! Bei der Bayrischen Volkspartei.)

Ich weiß, daß die Zeit so krank und die Menschen so wahnsinnig sind, daß man sich sogar zugeflüstert hat: die Mörder stehen nicht etwa in Verbindung mit irgendwelchen rechtsradikalen Kreisen, nein, sie stehen dem Zentrum nahe. Und es hat Menschen gegeben, die durch diese Zeit so krank geworden sind, daß sie den Wahnsinn geglaubt haben. Nun, Herr Kollege Graef, was ist denn nun eigentlich wahr? Wahr ist, daß zwei preußische Polizeibeamte von einem Dienstmädchen einige Papierstücke bekamen, die sich für den Untersuchungszweck als wichtig herausgestellt haben, und daß sie die Papierstücke vorgelegt haben mit der Meldung: sie, die beiden Polizeibeamten, hätten diese Papierstücke gefunden; sie haben verschwiegen, daß das Dienstmädchen ihnen diese Papierstücke gegeben hat. Bei einer Untersuchung einige Tage später fand man noch weiteres wichtiges Material, und der Untersuchungsrichter erklärte: Wenn die Polizeibeamten mir gleich erklärt hätten, nicht sie hätten die Untersuchung vorgenommen, sondern das Dienstmädchen habe ihnen die Zettel gegeben, hätte ich sofort eine weitere Nachforschung angeordnet: die Leute haben mich angelogen, indem sie gesagt haben, sie hätten gesucht und sie hätten gefunden. Und wegen dieser dienstlichen Unwahrheit sind die Beamten nicht etwa verhaftet worden, sondern wegen dieser Sache schwebt


8S. 5282D
9S. 5283B

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