1. Reichstag, Weimarer Republik


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gegen sie ein Disziplinarverfahren. Von den Tatsachen, die die Untersuchung aufgedeckt hat, ist nichts erschüttert worden.

(hört! hört! bei den Deutschen Demokraten.)

insbesondere nicht erschüttert, daß die zwei jungen Leute, die als Mörder von Erzberger jetzt bekannt sind, eine Führerstellung in rechtsradikalen Geheimorganisationen gehabt haben.

(Lebhafte Rufe: Hört! Hört!)

Obwohl dies der Tatbestand ist, tragen Sie hier, Herr Kollege Graef, von dieser Stelle aus völlig leeres Gerede vor. Darin sehen Sie, meine Herren, eine Krankheitserscheinung dieser Zeit. Noch nie gab es eine Zeit, in der so viel bösartiges Gerede herüber und hinüber getragen wurde, und noch nie gab es eine Zeit, in der die Menschen so leicht geneigt waren, das törichtste und unsinnigste Gerede zu glauben. Aber von verantwortlichen Männern, Herr Kollege Graef, erwarte ich, daß sie ein derartiges Gerede prüfen bevor sie es weitergeben, und daß sie nicht mithelfen, die Autorität des Staates, der auch Ihr Staat ist, Herr Kollege Graef, dadurch zu untergraben, daß sie sinnloses leeres Geschwätz weitergeben.

(Sehr richtig! links)

Die Verordnung des Reichspräsidenten vom 28. September d. Js. Über den Ausnahmezustand für das ganze Reich trägt zwar nicht allen Wünschen und Bedenken Rechnung, die wir bezüglich unserer innerpolitischen Verhältnisse haben. Wir lehnen die sofortige Außerkraftsetzung dieser Verordnung ab und werden gegen die bezüglichen Anträge stimmen.

(Bravo! Bei der Bayrischen Volkspartei.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Herzfeld.

Dr. Herzfeld, Abgeordneter:10 Meine Damen und Herren! Die Verordnung von 28. September 1921 hat, wie gesagt, ihren Anlaß in dem Morde an Erzberger. Dieser Mord an Erzberger war aber nur ein Glied in der Kette der politischen Morde, die an Rosa Luxemburg, Liebknecht, Jogisches, Eisner und Gareis, Sylt und jüngst an Lohse, dem Kommunisten, und zahllosen namenlosen, vollzogen worden ist. Nur hatte dieser Mord an Erzberger die Eigentümlichkeit, daß er das deutsche Volk bis in die weitesten Kreise des Kleinbürgertums aufregte, das mit den Arbeitern in gewaltigen Demonstrationen aufmarschierte, weil es glaubte, ein neuer Kapp-Putsch sei im Anzug. Wenn die Mörderzentrale der Rechten es wagt, einen Führer des Kleinbürgertums mit der Waffe des politischen Mordes zu beseitigen, dann - so sagt man sich - ist man im Begriffe, auch die Regierung des Kleinbürgertums, die wir ja haben, beiseite zu schaffen, und so kamen die ungeheure Erregung und jene gewaltigen Demonstrationen. Im Reichskanzlerhause fand eine Besprechung des Allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbundes, des Gewerkschaftringes deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände und des Ufabundes mit dem Reichskanzler statt. Gleichzeitig waren Vertreter der


10S. 5286D

vorige

S.P.D. und U.S.P eine Stunde vorher zu Besprechungen beim Reichskanzler erschienen. Diese Besprechung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und die übrigen Vertreter der Arbeiter und Angestellten wiesen den Reichskanzler darauf hin, daß die Ermordung des Abgeordneten Gareis in München bis heute noch ungesühnt sei. Gegen Handlungen des Hochverrats, soweit sie von rechts kämen, seien die Organe der Justiz gar nicht oder nur mir außerordentlicher Mühe vorgegangen. Vor allen Dingen wurde festgestellt, daß die am 20. März 1920 zur Sicherung der Republik getroffenen Vereinbarungen - das sind die bekannten acht Punkte nach dem Kapp-Putsch - bis heute unerfüllt geblieben seien. An den Reichskanzler wurde deshalb die dringende Aufforderung gerichtet, zur Beseitigung dieser Zustände die Acht Punkte zu erfüllen. Die "Rote Fahne" forderte damals zum Zusammenschluß des gesamten arbeitenden Volkes zur gemeinsamen Abwehr des drohenden Säbelregiments auf. Sie stellte entsprechend den acht Punkten die Forderung auf: "Restlose Entwaffnung der reaktionären Formationen - Orgesch, Einwohnerwehren, Stahlhelm usw. -, Entfernung aller offenen und verkappten Monarchisten aus der Reichswehr, Verwaltung und Justiz, Wahl der Vorgesetzten der Reichswehr und der Schupo durch die Mannschaften, Wahl der Richter durch das arbeitende Volk, Aufhebung des Ausnahmezustandes in Bayern, Ostpreußen, Halle-Merseburg, Freilassung aller politischen Gefangenen. Zum Kampfe für diese Forderungen", schrieb sie, "blieb die proletarische Einheitsfront". Meine Damen und Herren, mir ist es ganz zweifellos: wenn man damals in den drei proletarischen Parteien zusammengestanden und die Einheitsfront, die möglich war, gebildet hätte, dann hätten wir nicht diese Bedrohung, dann brauchten auch heute die Unabhängigen nicht das Gesetzt zum Schutz der Republik zu fordern. Das Gesetz zum Schutz der Republik liegt in der Ausführung der Forderungen der acht Punkte der Gewerkschaften. Sorgen Sie (zu den Unabhängigen Sozialdemokraten) für deren Erfüllung und Sie haben das Gesetz zum Schutz der Republik.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Meine Herren und Damen von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei und Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, sorgen Sie für die Einheitsfront des Proletariats, und Sie haben das Gesetz zum Schutz der Republik!

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Präsident: Es ist also nun vorgeschlagen, über den Ausschußantrag abzustimmen. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, welche mit dem Ausschuß den Anträgen Bartz, Hergt und Agnes die Zustimmung n i c h t erteilen wollen, sich vom Platz zu erheben.

(Geschieht.)

Ich bitte um Gegenprobe.

(Pause.)

Es haben gestimmt 160 Mitglieder mit Nein, 142 Mitglieder mit Ja; der Kommissionsantrag ist also abgelehnt.