1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 174

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(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten und Sozialdemokraten. Zurufe von den Deutschnationalen.)

- Den Zwischenruf will ich gerne beantworten: wir sollen uns um die jüdischen Schieber und Zwischenhändler bemühen.2

(Jawohl! Rechts.)

Wer war es denn, der hier vor wenigen Wochen der sofortigen Verabschiedung des Gesetzes wider-sprochen hat, durch das Schieber oder Wucherer öffentlich angeprangert werden sollten?

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten und den Sozialdemokraten!)

Sie waren es!

(Zuruf von den Sozialdemokraten: Schieber und Schiebergenossen!)

Sie haben damals diese Mittel nicht benutzen wollen, die die Regierung vorgeschlagen hat, um endlich einmal der Wuchergesetzgebung, die unzulänglich ist, die auf Papier steht, ein wirksames Mittel an die Hand zu geben. Sie haben sich damals vor die Wucherer und Schieber gestellt, genau so, wie sie es in allen anderen Fällen zu tun pflegen.

(Lebhafte Zustimmung und Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten und den Sozialdemokraten.)

Vizepräsident Dr. Rießer; Das Wort hat der Reichsernährungsminister Dr. Hermes. 3

Dr. Hermes, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft: Meine Damen und Herren! Es schießt doch weit über das Ziel hinaus,4 wenn auf dem Landbundtag in Hannover Reden wie die des Abgeordneten Lind abgehalten werden.

(Sehr wahr!)

Ich habe hier einen Auszug, einen kurzen Bericht in der "Vossischen Zeitung", in dem es heißt:
Reichsabgeordneter Lind ließ sich folgendermaßen aus: Die verfluchte Judenzwangswirtschaft hat unsere Greise und Kinder bedrängt, als wir mit Hindenburg draußen im Felde waren. Stecken Sie in den Boden, was Sie können, das wird Ihnen kein Finanzamt wegsteuern. Von unseren Liebesgaben ist sicher nur der geringste Teil in die Hände der Verbraucher gekommen, weil die verfluchte Judenbande am Kurfürstendamm, die sich Reichsgetreidestelle nennt, dazwischen steht.

Ich stehe nicht an, diese ungeheuerliche Beleidigung von treuen Mitarbeitern, die in sachlicher Pflichterfüllung Seite an Seite mit mir die so schwierigen Probleme der Volksernährung zu lösen versuchen, mit allem Nachdruck zurückzuweisen. 5 Ich darf es ruhig dem Urteil der Öffentlichkeit überlassen, solche Auffassungen niedriger zu hängen;


2S. 5982D
3S. 5097C
4S. 5998B
5S. 5998B

vorige

(sehr wahr!)

sie zeugen von einem Mangel an Verantwortungsgefühl und Gerechtigkeitssinn, der der Sache, die wir gemeinsam fördern wollen, nicht dient.

(Sehr gut!)

Vizepräsident Dr. Rießer: das Wort hat der Herr Abgeordnete Blum.6

Blum, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Der Herr Minister hat die Mängel der Zwangswirtschaft und der Umlage im einzelnen vor Ihnen dargelegt. Ich bin überzeugt, daß ihm die schwerwiegendsten Mängel gar nicht zu Ohren gekommen sind. Namentlich bei uns im Rheinland haben wir feststellen können, daß das Umlageverfahren tatsächlich auf einer Grundlage aufgebaut ist, die volkswirtschaftlich unhaltbar ist.

(Sehr richtig! im Zentrum und rechts.)

Wir haben schon, als das Umlageverfahren beschlossen wurde, darauf hingewiesen, daß es sich auf der unzuverlässigsten Wissenschaft der Neuzeit aufbaut, nämlich der Statistik. Die Anbaufläche der Jahre 1906 bis 1920 ist zugrunde gelegt worden, und wir haben derzeit schon darauf hingewiesen, daß sich diese Anbaufläche namentlich seit dem Kriege wesentlich verschoben hat, und daß eine neue Statistik und zwar die vom Jahre 1914 bis 1920 hätte zugrunde gelegt werden müssen.

(Zustimmung in der Mitte und rechts.)

Leider sind diese Anträge abgelehnt und nun zeigen sich die Folgen. Ich kann mitteilen, daß die Umlage in meinem Heimatkreise, im Landkreis Crefeld, auch in den benachbarten Kreisen, nicht zwei Zentner pro Morgen, wie es in der derzeitigen Denkschrift heißt, sondern 4, 5, 6 Zentner pro Morgen beträgt. Im Kreise Crefeld ist die Umlage auf 128 Prozent der gesamten Ernte festgesetzt.

(Hört! Hört! im Zentrum und rechts.)

Also es sollen 28 Prozent mehr abgeliefert werden, als überhaupt gewachsen ist!

(Unruhe und Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Sie sehen also, zu welchen Absonderlichkeiten ein derartiges Umlageverfahren führt. Dazu kommen noch die ernormen Kosten. Ich weiß nicht, ob ich richtig berichtet bin, daß die Reichsgetreidestelle 72 Millionen Mark an Verwaltungskosten verschlingt.

(Andauernde Zurufe bei den Sozialdemokraten und den Kommunisten.)

Weiter kann ich darauf hinweisen, daß die Verwaltungskosten der Kommunalverbände für die Umlage tatsächlich riesengroß sind. Es gibt kleine Kommunalverbände, 6, 8, 10 Beamte bloß zur Bewirtschaftung der Umlage brauchen. Was den Kartoffelwucher anlangt, so muß ich die Behauptung des Herrn Kollegen Höllein bestreiten, daß sich sehr viele Bauern des Preiswuchers schuldig machen oder gemacht haben. Wäre das der Fall, so wären wir auch als Landwirte Ihnen sehr dankbar, wenn Sie den betreffenden dem


6S. 6001A

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