1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 17. Sitzung. Dienstag den 3. August 1920.

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irgendwie in ihrem Wohlbefinden tangiert werden, wenn da einige zehntausend Männer und Frauen aus Polen sich vorübergehend in Deutschland aufhält? Ich muß sagen, es zeugt doch von wenig Mut, bei diesen Herren, wenn sie eine solche Angst haben vor der kleinen Anzahl von Personen, die nicht aus eigenem Wollen, sondern getrieben durch Not und Elend nach Deutschland gekommen sind. Wir sind bereit, an der Lösung des Problems der Fürsorge für die Ostjuden mitzuarbeiten, aber nicht in der Form, daß man von Internierungsmaßnahmen ausgeht.

(Sehr richtig! Bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Auffallend ist an dem Verhalten der Rechten noch eins. Zweierlei Arten von Personen sind ja bei uns in Deutschland aus Polen und aus Russland. Einerseits die Ostjuden, von denen ich sprach, aber, meine Herren, dann sind auch die russischen Barone hier in großer Zahl.

(Zuruf bei den Deutschnationalen: das sind Deutsche!)

- Ach, das sind Deutsche? Das ist ja sehr interessant, daß Sie sie ohne weiteres als Deutsche bezeichnen, obgleich unter ihnen zahlreiche Männer sind, die nichts mit dem Deutschtum in Ihrem Sinne zu tun haben.

(Sehr richtig! Bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Das sind richtiggehende Russen, wenn ich so sagen darf. Aber sie sind geistig mit Ihnen verwandt, da haben Sie vollkommen recht! Das sind Männer, die in Russland die Reaktion vertreten wie Sie in Deutschland. Gegen diese Einwanderung haben Sie gar nichts! Wir haben aus der Presse der Rechten nichts gehört gegen die Zuwanderung dieser russischen Großgrundbesitzer, dieser russischen Barone, wir haben nichts gehört gegen den Zuzug der russischen Offiziere, die hier dabei sind und die vor allen Dingen lange Zeit dabei waren, einen Kampf gegen die russische Sowjetregierung vorzubereiten. Alle diese Männer waren Ihnen sehr angenehm, da haben Sie keinen Anstoß genommen, und doch waren das gerade zum großen Teil Nichtstuer, die ebenso gut hätten anderswo leben können, weil sie über die nötigen Kapitalien verfügen, während es sich bei den Ostjuden um die Ärmsten der Armen handelt, die Sie rücksichtslos ins Unglück stürzen wollen!

(Zuruf bei den Deutschnationalen: Mühlendamm!)

- Sie scheinen ihn nicht zu kennen, Herr Kollege! Sonst würden Sie wissen, daß man dort keine Ostjuden finden kann.

(Erneuter Zuruf rechts.)

- Ach, die waren nicht dort, wo Sie sie suchen! Erkundigen Sie sich erst mal über die Dinge, bevor Sie sich erlauben, darüber einen Zwischenruf zu machen. Die Ahnungslosigkeit der Herren auf der rechten scheint mir allerdings eine sachliche Erörterung mit ihnen von vornherein auszuschließen. Wir wünschen also, daß man mit Fürsorgemaßnahmen eingreift. Auch wir wollen keineswegs Verbrecher schützen, die sich da einfinden und zu diesen Kreisen gehören sollen. Aber, meine Herren (nach rechts), auch gegenüber den Verbrechern aus diesen Kreisen sind Sie keineswegs besonders energisch. Gegen die Großschieber, die aus diesen Kreisen kommen, die die Millionenumsätze haben, haben Sie gar keine Einwendungen.

(Lebhafter Widerspruch rechts.)

Die Polizeimaßnahmen, die von Ihnen gefordert sind - - (Zuruf rechts.) - Ach, Herr Kollege Dr. Helfferich, Sie sollen ganz ruhig sein! (Zuruf rechts: das verbitte ich mir! - Mehrfache Zurufe rechts: Wer ist denn während des Krieges reich geworden?!) - Sie wahrscheinlich! (Glocke des Präsidenten.) Präsident: Ich bitte, die Zwischenrufe zu unterlassen. Dr. Rosenfeld, Abgeordneter: Bitte werden Sie doch deutlicher, damit man Ihnen ebenso deutlich antworten kann! Mit solchen Verdächtigungen, Herr Kollege Helfferich, kommen Sie bei mir nicht weiter!

(Zurufe rechts.

- Wenn Sie das bestreiten, will ich darauf eingehen! Es ist ja auch im Hauptausschuß von der Razzia die Rede gewesen, die eines Tages unternommen wurde und die ganz besondere Freude des Herrn Kollegen Mumm hervorgerufen hat. Als wir im Hauptausschuß von diesen Dingen sprachen, konnte ich gerade darauf verweisen, daß man bei diesen Massenverhaftungen diese Schieber nicht verhaftet hat. Die Gründe sind sehr einfach. Diese Gesellschaft versteht sich schon zu drücken, und ich möchte die Polizeibeamten sehen, die diesen Leuten gegenüber die nötige Energie zeigen. Wie groß das Elend unter den polnischen Juden ist, dafür zum Beweise will ich nur darauf hinweisen, daß hunderte und aber hunderte Nacht für Nacht nicht einmal eine reguläre Unterkunft finden können, daß sie auf Stühlen schlafen müssen und dafür zwei bis drei Mark die Nacht zu zahlen haben, also in den elendesten Verhältnissen leben. Und da wollen Sie noch mit polizeilichen Internierungsmaßnahmen gegen diese Unglücklichen vorgehen? Ich muß konstatieren, daß im Ausschuß festgestellt werden konnte, daß die preußische Regierung immerhin mit einer gewissen Rücksicht gegen diese Elemente vorgeht, nd ich habe mit Bedauern hören müssen, daß die Reichsregierung einen weniger rücksichtsvollen Standpunkt einnehmen will.

(Hört! Hört! Bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich sprach vorhin davon, daß es sich um ein soziales Problem handelt 3 , um das Problem, diesen Unglücklichen Arbeit zu verschaffen und sie so unterzubringen, daß sie keine Störung für das deutsche Volk bedeuten. Eine solche Fürsorge wäre erforderlich. Nach dem Antrage soll diese Fürsorge durch Internierung geschehen. Was hat die Internierung für eine Bedeutung? Entweder führen Sie für die Internierten den Arbeitszwang ein, und ich möchte nicht annehmen, daß das auch nur irgendein Mitglied dieses Hauses verlangt, oder aber Sie müssen diese Männer und Frauen auf Staatskosten beherbergen und beköstigen, und das würde wiederum eine Belastung für das Reich bedeuten, die von niemandem verantwortet w erden kann. Nein, meine Damen und Herren, was geschehen muß, ist, daß im Zusammenarbeiten mit den sozialen Organisationen, die auf diesem Gebiet bereits


3 S. 627B

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