1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 191. Sitzung. Montag den 20. März 1922

Seite 177

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191. Sitzung. [i]


Montag den 20. März 1922


Präsident: Wir treten in die Tagesordnung ein. Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die Zweite Beratung des Entwurfs eines Vermögenssteuergesetzes. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Helfferich:

1

Dr. Helfferich, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Das Vermögenssteuergesetz ist das Hauptstück der neuen Besitzsteuern. Im Vordergrund steht hier die Zwangsanleihe, die ja mit der Vermögenssteuer als konkurrierend in allerengstem Zusammenhang steht, die Zwangsanleihe,1 die wir als das große Schulbeispiel der Unterordnung sachlicher Gesichtspunkte unter kompromißtaktische ansehen,

(Zurufe von der Deutschen Volkspartei)

- Die Herren sind anderer Ansicht. Die Herren, die nach mir gesprochen haben, haben versucht, die Zwangsanleihe sachlich zu begründen und zu rechtfertigen. Gegenüber meiner Feststellung, daß die sämtlichen bürgerlichen Fraktionen bis in den 10. Januar hinein, bis in die Kompromißverhandlungen hinein, den von den Sozialdemokraten verlangten über die neuen Besitzsteuern hinausgehenden neuen Eingriff in die Vermögenssubstanz als ungerechtfertigt und unvertretbar abgelehnt haben. Wie sieht nun die sachliche Berechtigung der Zwangsanleihe aus. Ich halte mich auch hier zunächst an die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Becker. Er begründete die Zwangsanleihe damit, daß sie notwendig sei, um den inneren Etat des Reichs in Ordnung zu bringen. Und er hat hinzugefügt, das wollten wir doch auch. Gewiß wollen wir das. Einzig und allein die Notwendigkeit, unter den schwierigen Verhältnissen, unter denen unser Volk zu leben und zu arbeiten gezwungen ist, die Voraussetzung für die Deckung unseres Reichsetats zu schaffen, hat uns veranlaßt, den neuen Steuern, die jetzt verlangt werden, bis auf einige Vorbehalte zuzustimmen, trotz aller der schweren Bedenken, die wir nach wie vor gegen diese Steuern haben und geltend machen müssen. Mit dieser unserer Zustimmung, die wir trotz schwerer Bedenken zu den neuen Steuern in der Hauptsache aussprechen, ist aber für uns die Grenze erreicht. Die Steuern, die jetzt beschließen, werden nach meiner Überzeugung in solcher Höhe auf die Dauer überhaupt nicht aufrecht erhalten werden können, so wenig, wie, um auf ein Bild


1Bd. 353, S.6376A
2 S. 6377D

zurückzugreifen, daß ich neulich gebraucht habe, das Kamel sein ganzes Leben lang von seinem Fetthöcker zehren kann; das kann es einmal bei einer kleinen Wüstenreise, darüber hinaus reicht es aber nicht! Wenn es mit diesen ungeheuerlichen Steuern und mit der von der Reichsregierung adoptierenden Sparpolitik, den Spargrundsätzen aus der Denkschrift der Deutschen Volkspartei, nicht einmal gelingt, den inneren Reichshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen, dann kann die ganze Regierung einpacken, dann können Sie einpacken, dann können wir alle einpacken. Wir müssen es jedenfalls auf das entschiedenste ablehnen, laufende Ausgaben des inneren Etats durch Eingriffe in die Vermögenssubstanz des Volkes zu decken. Es handelt sich also bei diesem Teile des inneren Etats, wie ihn Herr Kollege Becker konstruiert, um ein wesentliches Stück des Budgets der Kontributionen, wie Herr Dr. Wirth einmal den Etat der Durchführung des Friedensvertrages genannt hat, sogar, möchte ich hinzufügen, um den wesentlichsten Teil des Budgets der Kontributionen.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Denn nach dem Wiesbadener Abkommen, nach den Beschlüssen von Cannes, mit dem Berliner Abkommen mit Herrn Bemelmanns und der Reparationskommission und nach dem neuesten Abkommen, daß jetzt hier mit Frankreich verhandelt worden ist, wird künftighin der weitaus größte Teil der uns auferlegten Kontributionen in Sachleistungen bestehen. Was an Kosten der Okkupation und der Kommission hinzukommt, haben wir neulich nicht nur von dem Vertreter unserer Regierung, sondern mit der schärfsten Deutlichkeit von jenseits des Wassers, aus England, aus Amerika gehört. Augenblicklich sieht es so aus, daß, wenn sich das erfüllt, was wir jetzt alle erwarten müssen, so wie die Verhandlungen geführt geworden sind, - daß dann für das Jahr 1922 1450 Millionen Goldmark in Sachleistungen zu bewirken sind gegen 750 Millionen in Devisen.

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Die Sachleistungen, die wir zu leisten haben, sind also, ganz abgesehen von den Ausgaben für Okkupation und Kommission, doppelt so hoch wie dasjenige, was auf Grund dieses Zahlungsplans für 1922 in Golddevisen zu leisten ist. Ich will hier in diesem Zusammenhang nur hervorheben, daß Sachleistungen in dem Umfange, in welchem sie uns jetzt auferlegt werden sollen, genauso phantastisch sind wie alles, was bisher über uns verhängt worden ist.3

(Sehr wahr! bei den Deutschnationalen.)

Meine Damen und Herren! Das Wesentliche für mich ist:4 Wenn Sie jetzt mit allen Mitteln, ehe für das deutsche Volk eine erträgliche Regelung der Kontributionen gesichert ist, mit der Zwangsanleihe einen neuen Eingriff in die deutsche Vermögenssubstanz bewilligen, so unterstützen Sie


3S. 6378C/D
4S. 6379B

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