1. Reichstag, Weimarer Republik


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Sachleistungen gefaßt, die für Frankreich 950 Millionen Goldmark, für die anderen Alliierten 500 Millionen Goldmark in Waren betragen sollen. Auch in diesem Punkte hat die von der Repara-tionskommission getroffene Entscheidung ungefähr das gebracht, was wir erwarten mußten. Wir würden also in dieser Neuregelung des Zahlungsplans für das Jahr 1922 eine ziffernmäßige Erleichterung erblicken, wenn nicht in Ziffer 4 der Note der unsichere und provisorische Charakter dieser Regelung betont und die ganze Geltung des Abkommens an die Frist des 31. Mai gebunden wäre. Denn zu diesem Zeitpunkt will die Reparationskommission prüfen, ob der provisorische Aufschub zu bestätigen oder für unwirksam zu erklären ist. Für den letzteren Fall behält sie sich ausdrücklich vor, die vorläufig gestundeten Summen innerhalb 14 Tagen einzufordern.

(Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren! Ich kann in diesem Verfahren eine praktische Logik nicht erblicken.

(Sehr richtig!)

Denn wenn Deutschland auf Grund seiner nachgewiesenen Leistungsunfähigkeit ein Moratorium bewilligt wird, so ist es logisch unmöglich, am 31. Mai über diese bereits anerkannte Tatsache der Zahlungsunfähigkeit einfach hinwegzugehen und aufs neue Forderungen zu stellen, die nicht erfüllt werden können.

(Lebhafte Zustimmung)

Aber ich will mich bei diesem inneren Widerspruch nicht lange aufhalten, sondern zu dem Schreiben übergehen, daß die Reparationskommission an den deutschen Reichskanzler gerichtet hat und in dem die Bedingungen festgestellt werden, in denen wir jene tatsächliche und neue Erschwerung der Lage zu erblicken haben, die ganz Deutschland mit Recht auf das tiefste erregt hat. Es wird in diesem Briefe, der überaus schroff gehalten ist,

(hört! hört!)

nur mit wenigen kurzen Worten auf die ausführlichen und gründlichen Darlegungen Bezug genommen, welche unsere Vertreter auf der Konferenz in Cannes gemacht hat. Das Reformprogramm der deutschen Regierung, das die Beseitigung der Subventionen für Ernährungszwecke, die finanzielle Gesundung der Staatsbetriebe und die Maßnahmen für das Gleichgewicht des Haushalts auseinandersetzte, wird in dem Brief zwar kurz erwähnt, aber es tritt ganz deutlich hervor, daß die ernsthaften Anstrengungen, welche die deutsche Regierung in dieser Hinsicht gemacht hat, von der Reparationskommission in keiner Weise gewürdigt wird.

(Hört! Hört!)

Der beste Beweis für diese Tatsache ist, daß der Brief von der Zwangsanleihe, die durch das Steuerkompromiß gesichert ist nur wie von einer vagen und belanglosen Andeutung der deutschen Regierung spricht. Auf Grund dieser völlig ungenügenden Würdigung sowohl der wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands, als auch der von uns gemachten


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Anstrengungen kommt der Brief sodann zur Festsetzung der Bedingungen, unter denen der vorläufige Aufschub bewilligt werden soll. Die peinlichste Überraschung bedeuten zwei Punke dieser Bedingungen, auf die ich hier zunächst eingehen möchte. In Ziffer c wird die deutsche Regierung aufgefordert, unverzüglich einen Plan zur Vermehrung der Steuern vorzubereiten und in Anwendung zu setzen, welcher im Laufe des Rechnungsjahres 1922/23 Eine Summe von mindestens 60 Milliarden Reichsmark

(Lachen)

über die Einnahmen hinausgehen soll, welche in diesem Haushalt berechnet worden ist. Diese neue 60-Milliarden-Steuer soll vor dem 31. Mai dieses Jahres bewilligt und in Kraft gesetzt werden,

(erneutes Lachen)

und es sollen von ihr mindestens 40 Milliarden noch in diesem Jahre sichergestellt werden Meine Damen und Herren! Vor allen weiteren Betrachtungen muß ich im Namen der Reichsregierung kurz, bestimmt und eindeutig feststellen, daß diese eine völlig unmögliche Bedingung und Zumutung ist.

(Lebhafte Zustimmung.)

Was zunächst die rein sachliche Seite dieser Forderung der Schaffung von 60 Milliarden neuer Steuern betrifft, so dürfte es wohl in diesem hohen Hause niemand geben, der im Ernst an eine solche Möglichkeit glauben wollte.

(Erneute lebhafte Rufe: Sehr richtig!)

Mit unendlicher Mühe haben wir versucht, unser Steuersystem den gewaltigen Anforderungen anzupassen, die nach innen und außen an uns gestellt werden. Unser direktes Steuersystem ist in einer Weise ausgebaut, wie kein anderes der Welt. Unsere indirekten Steuern sind nunmehr gleichfalls in sehr scharfer Weise erhöht worden. Wir sind gern bereit, in eine sachliche Auseinandersetzung über die Steuerbelastung des deutschen Volkes, verglichen mit anderen Völkern, einzutreten, nachdem wir schon verschiedentlich eingehendes Material der Gegenseite geliefert haben. Die Äußerungen französischer Staatmänner 3 aus den letzten Wochen haben zwar ergeben, daß in der Frage der vergleichenden Steuerbelastung ein größeres Verständnis für die Schwierigkeiten dieser Materie Eingang gefunden hat. Aber ich muß leider feststellen, daß aus dieser Erkenntnis praktische Folgen im gegenteiligen Sinne nicht gezogen worden sind.

(Sehr richtig!)

Nehmen wir einmal an, was ich durchaus bestreite, daß die Wirtschaftskräfte Deutschlands imstande wären, die gesetzgeberisch vorgesehene Steuerlast zuzüglich der neuen 60-Milliarden-Steuer zu tragen, so muß ich doch mit allem Nachdruck und Ernst darauf hinweisen, daß diese Forderung schon aus rein parlamentarisch-politischen und technischen


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