1. Reichstag, Weimarer Republik


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Reichstag. - 196. Sitzung. Dienstag den 28. März 1922

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196. Sitzung. [i]


Dienstag den 28. März 1922


Präsident: Die Sitzung ist eröffnet. Wir treten in die Tagesordnung ein. Einziger Gegenstand: Entgegennahme einer Erklärung der Reichsregierung. Hierzu erteile ich dem Herrn Reichskanzler das Wort.

Dr. Wirth, Reichskanzler: 1 Meine Damen und Herren! Die Sitzungen des Reichstags waren in der vergangenen Woche ausgefüllt durch die Beratungen über die neuen Steuergesetze, welche die Regierung unter verantwortlicher Würdigung der inneren und äußeren Lage des Reiches vorzulegen verpflichtet war. Die Bezeichnung "Steuerkompromiß" kennzeichnet die Tatsache, auf die ich hier besonders hinweisen Ursache habe, die Tatsache nämlich, daß es nur nach langen Bemühungen gelungen ist, für diese große Steuerbelastung des deutschen Volkes in einer Zeit höchster wirtschaftlicher Unsicherheit eine so große, parlamentarische Mehrheit zu finden. Die beiden Parteien, welche das Kompromiß von rechts und links stützen, haben unter Zurückstellung schwerer parteipolitischer und wirtschaftlicher Interessen an den 14 neuen Steuergesetzen mitgewirkt und schließlich durch die Einbeziehung der Zwangsanleihe eine zusätzliche Einnahme von einer Million Goldmark gesichert, wovon der größte Teil noch die Lasten des Jahres 1922 tragen helfen soll. Die Reichsregierung hatte die Hoffnung, durch diese positive innere Arbeit des Aufbaues und der Sanierung der deutschen Finanzen die auswärtige Politik des Reiches zu fördern, die darauf gerichtet ist, das Problem der deutschen Reparationsleistungen, welches die Beziehungen Deutschlands zu den größten ausländischen Mächten beherrscht, allmählich so zu lösen, daß zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands und den ihm auferlegten Lasten ein vernünftiger Ausgleich gefunden wird.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)

In diesem Zusammenhang hat man in Deutschland die neuen Steuern betrachtet, und dies allein war das treibende Element, daß die widerstrebenden Parteien und Interessen zusammengeführt und zu gemeinschaftlicher Arbeit gebracht hat.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten und im Zentrum.)

Man kann also wohl mit Recht das Steuerkompromiß einen integrierenden Bestandteil unserer auswärtigen Politik nennen

(sehr richtig)


1Bd. 353,S. 6613C

und daraus die Forderung ziehen, daß, wenn dieses Steuerkompromiß von innen oder von außen gestört wird damit auch die auswärtige Politik in Frage gestellt ist. Meine Damen und Herren! Diese Störung, die von innen nicht mehr zu befürchten war, ist in der Tat von außen erfolgt, und zwar durch die Note, welche die Reparationskommission am 21. März an die Reichsregierung richtete, und durch das Schreiben, das von derselben Stelle dem deutschen Reichskanzler zugestellt wurde. Ich will zunächst zur Klarstellung der historischen Entwicklung folgendes sagen. Die beiden Noten der Reparationskommission sind die Entscheidung auf das Stundungsgesuch, welches die Regierung am 14. Dezember vorigen Jahres wegen der im Januar und Februar fälligen Reparations-zahlungen in bar an die Reparationskommission richtete. Dieses Stundungsgesuch vom 24. Dezember war die Folge jenes Schrittes, den wir, wie Sie wissen, bei der Bank von England unternommen hatten, um für die im Januar und Februar fälligen Barzahlungen, die wir aus eigenen Mitteln nicht leisten konnten, einen kurzfristigen oder langfristigen Kredit zu erhalten, und der erfolglos blieb, weil die Bank von England erklärte, sie könne - das war der klare Sinn der Antwort - Deutschland keinen Kredit gewähren, solange es unter den unerfüllbaren und mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands nicht zu vereinbarenden Zahlungsbedingungen des Londoner Ultimatums stehe. Im Anschluß an die Besprechung, die der jetzige Minister des Äußeren, Herr Dr. Rathenau, in London über die Lage der Dinge geführt hatte, erfolgte dann die Zusammenkunft des damaligen französischen Ministerpräsidenten Briand mit Herrn Lloyd George in London, deren Ergebnis das Londoner Protokoll war. In diesem wurden die Zahlungen Deutschlands in bar und seine Sachleistungen für das Jahr 1922 herabgesetzt und eine Reihe von Bedingungen und Garantien aufgestellt, unter denen diese vorläufigen Abänderungen Deutschland bewilligt werden sollte. Die erste Note 2 erhält im großen Ganzen die Mitteilung, daß die in Cannes in Aussicht genommenen Abänderungen des Londoner Zahlungsplans, soweit sie für das Jahr 1922 in Betracht kommt, von der Reparationskommission gebilligt werden. Es werden uns danach anstatt der Barzahlungen in Gold, die nach dem Londoner Zahlungsplan für 1922 etwa 3 ½ Milliarden Mark betragen würden, Barzahlungen im Gesamtbetrag von 720 Millionen Goldmark auferlegt. Mit diesen Goldzahlungen hatten wir nach dem bisherigen Gang der Verhandlungen rechnen müssen, und so große Vorbehalte auch angesichts der unsicheren Entwicklung der Wirtschaftslage sogar für die Leistung dieser herabgesetzten Barzahlung gemacht werden mussten, hätte sich aus dieser Regelung eine aktuelle Schwierigkeit kaum ergeben. Ebenso waren wir auf die Festsetzung der von uns zu bewirkenden


2 S. S.6614C

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