1. Reichstag, Weimarer Republik


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hat. Auch dieses Schriftstück ist in seiner ganzen Nüchternheit ein furchtbares Dokument der Anklage.

(Sehr richtig! rechts.)

Was in diesem Schriftstück zugegeben und bestätigt, was in ihm noch über die von den Interpellanten vorgebrachten Tatsachen hinaus festgestellt wurde, das ist schlechthin erschütternd für jeden, der noch ein deutsches Herz in der Brust hat; ich hoffe, auch erschütternd für das Ausland, soweit es sich noch ein objektives Urteil und ein menschliches Gefühl bewahrt hat. Wir danken dem Herrn Minister des Auswärtigen für diese Feststellung. Wir danken ihm auch die namens der Reichsregierung abgegebene Erklärung, daß sie sich mit allen Mitteln - so haben wir das verstanden - der versuchten Losreißung der Rheinlande widersetzen wird. Aber allerdings, wir hätten noch etwas mehr gewünscht. Ich begreife, daß der Herr Minister des Auswärtigen seine Worte wägt, wenn er in solchen Fragen nicht nur vor dem Deutschen Reichstag, sondern vor der Öffentlichkeit, der gesamten Welt spricht. Ich verstehe auch, daß der Herr Minister des Auswärtigen Diplomat sein will, denn das ist schließlich sein Beruf. Ich weiß auch, daß Gott dem Diplomaten die Sprache gegeben hat um seine Gedanken zu verbergen. Aber es gibt Augenblicke, in denen auch ein Minister des Auswärtigen von dieser Gabe keinen Gebrauch machen sollte. Vorgestern war ein solcher Augenblick. Deshalb kann ich - es liegt keine persönliche Spitze in dem, was ich sage - kein Verständnis für die, ich will ein mal sagen, mehr als abgeklärte Art der Kritik des Herrn Ministers an den Zuständen finden, an diesen Zuständen, die zum Himmel schreien. Er hat damit dem von ihm selbst entworfenen Bild die Farbe und damit doch auch etwas das Leben vorenthalten. Es ist nicht richtig, daß durch das Verhalten der Saar-Regierung nur ein Mangel an gegenseitigem Vertrauen hervorgerufen worden ist. Was dort in der Saarbevölkerung und weit darüber hinaus in der Seele unserer Landsleute entstanden ist, ist Erbitterung und Empörung, ist Haß und Wut.

(Zustimmung bei den Deutschnationalen.)

Warum sagen Sie das nicht, Herr Minister? Es ist wichtig, daß die Welt das weiß, und es ist nach unserer Ansicht wichtig, daß sie es auch aus ihrem Munde hört.

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen.)

Es ist wichtig, daß unsere Brüder im Saargebiet, die in aller Bedrängnis treu zu ihrem angestammten Vaterlande halten, die Gewissheit haben, daß man auch an den höchsten Stellen des Deutschen Reiches für diese ihre Gefühle das vollste Verständnis hat.

(Abgeordneter Crispien: Ein unverschämter Hetzer sind Sie!)

- Die "Unverschämtheit" ist bei Ihnen schon längst ein parlamentarischer Ausdruck, deswegen sei Ihnen das Wort gestattet. Der Minister hat den letzten Teil seiner Ausführungen eingeleitet mit den Worten: "Das Bild, das ich Ihnen entrollen durfte - entrollen durfte! -, ist


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kein erfreuliches." - Bei Gott, die Limonade ist matt! Nein, das Bild ist nicht nur kein nicht erfreuliches; es ist ein empörendes und herzzerreißendes und zum Himmel schreiendes Bild der Leiden eines deutschen Volksteils, der sich im wörtlichen Sinne des Wortes verraten und verkauft fühlt.

(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen. - Große Unruhe und Zurufe links: Die Früchte Ihrer Politik!)

- Das Schamgefühl scheint hier keinen Platz mehr zu haben.

(Andauernde lärmende Zurufe links. - Glocke des Präsidenten.)

Wenn ich das Wort "verraten" und "verkauft" ausgesprochen habe, so habe ich das aus bestimmten Gründen getan. Ich erinnere an den schändlichen Betrug und stelle ihn für diejenigen, die ihn noch nicht kennen, fest, der bei den Vorverhandlungen von Versailles von der französischen Regierung begangen worden ist.

(Abgeordneter Müller: Die ganze Erregung ist vor dem Spiegel einstudiert! - Pfui-Rufe bei den Deutschnationalen. - Erneute Rufe von den Sozialdemokraten: Einstudierte Geste! Gegenrufe von den Deutschnationalen: So etwas ist mal Reichskanzler gewesen!)

- ich antworte nicht; denn die Verachtung hat keine Worte.

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen.)

Nach dem Buche von Herrn Tadieu, der bei diesen Verhandlungen zugegen war, stelle ich folgenden Sachverhalt fest. Es ist eine Sache, die wirklich ganz Deutschland interessieren sollte:

Lloyd George tritt den französischen Ansprüchen auf das Saargebiet scharf entgegen. Er führt aus, die von Frankreich angenommene Grundlage des Friedens sei die "Reparation des Unrechts von 1871, nicht desjenigen von 1815". Er schließt mit den Worten: "Schaffen Sie kein neues Elsaß-Lothringen!"
Das bezog sich auf das Saargebiet. Clemenceaus Antwort:
Es gibt dort im Saargebiet 150.000 Menschen, die Franzosen sind. Diese Menschen, die im Jahre 1918 an den Präsidenten Poincaré Adressen geschickt haben, haben auch einen Anspruch auf Gerechtigkeit.

Im Saargebiet gab es damals noch keine 100 Franzosen und Französlinge. Was Clemenceau hier vorbrachte, war eine unerhörte Lüge und wenn diese Adressen vorgelegt wurden, dann waren diese Adressen unerhörte Fälschungen.

(Erneute lebhafte Zustimmung rechts. - Widerspruch und Zurufe links.)

Diese Fälschungen haben ihre Schuldigkeit getan; sie sind die Grandlage des Zustandes, in dem sich heute das Saargebiet befindet. Ich frage: Ist der deutschen Regierung dieser Sachverhalt bekannt, und was hat die deutsche


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