1. Reichstag, Weimarer Republik


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Regierung getan, um diesen schändlichen Betrug aufzuklären?

(Sehr gut! rechts.)

Hat die deutsche Regierung je den Versuch unternommen, die Folgen dieses schändlichen Betruges rückgängig zu machen? Mir ist nichts Derartiges bisher bekannt geworden; aber ich hoffe, daß das an mir liegt.

(Rufe links: Sehr richtig! Das liegt an Ihnen!)

Aber auch draußen ist nichts bekannt geworden, und das liegt nicht an mir, das liegt jedenfalls an der Regierung. Muß sich denn unter diesen Umständen, die im Saargebiet bekannt sind, die saarländische Bevölkerung nicht verlassen und verraten fühlen, wenn auch jetzt wieder die Regierung mit so matten Worten ihrer gedenkt? Ich wiederhole es: ich danke dem Herrn Minister dafür, daß er die Tatsachen festgestellt hat; meine Kritik soll keine persönliche sein; sie ist vielleicht scharf, weil mir dieses Land nach meiner ganzen Geburt und Herkunft ganz besonders am Herzen liegt.

(Zurufe links.)

Aber ich frage: besteht nicht die Gefahr, daß bei der Bevölkerung des Saargebietes die matten Worte, in denen Empörung und Entrüstung kaum anklangen, den Eindruck erwecken, als ob sie mehr von Sorge vor einem französischen Stirnrunzeln als von den Leiden der Bevölkerung des Saargebiets eingegeben seien?

(Sehr richtig! rechts.)

Und dann, meine Herren am Regierungstisch! Wenn Herr Dr. Rathenau sozusagen als einzigen Trost dem Saarland die Hoffnung auf eine bessere Einsicht des Völkerbundes zeigte, muß da angesichts der Erfahrungen mit Oberschlesien die Saarbevölkerung nicht geradezu verzweifeln?

(Sehr wahr! rechts.)

Muß da nicht die ganze Welt auch über das Saarland hinaus das Gefühl haben: hier steht eine Regierung, der der Völkerbund alles und jedes bieten kann: die Hoffnung auf eine bessere Einsicht des Völkerbundrats wird diese Regierung deshalb doch nicht verlieren!

(Lebhafte Zustimmung rechts.)

Nehmen Sie zu dem Jammer des Saargebiets und des Rheinlands nun noch Oberschlesien hinzu, wo jetzt der polnische Adler über Gebiete und Städte hochgeht, die seit mehr als acht Jahrhunderten zu Deutschland gehörten,

(Abgeordneter Wels: Alles Ihre Erfolge!)

dann haben Sie, ich will nicht sagen, das Ergebnis, aber das einzige bisher greifbare Resultat der Politik, die uns immer und immer wieder als die einzig mögliche Politik gepriesen wird,

(sehr richtig! links.)

als die Politik, die uns nach den Verheißungen des Herrn Reichskanzler den "Weg ins Freie" öffnen sollte.

(Lachen rechts.)


4S.

vorige

Meine Damen und Herren! 2 Die Verträge von Wiesbaden, Berlin und Paris sind nur einzelne Schritte auf dem Leidensweg der Politik der Erfüllung, der mit der Unterschrift unter das Londoner Ultimatum begonnen hat. Die Politik der Erfüllun 3g , die in dem uns vorliegenden Schriftwechsel mit der Reparationskommission ihre neueste Dokumentierung erfährt, hat uns die furchtbare Entwertung des deutschen Geldes gebracht, hat unseren Mittelstand zermalmt, hat zahllose Menschen und Familien in Not und Elend gebracht, hat zahllose Menschen in Verzweiflung und Selbstmord getrieben, sie hat große wertvolle Teile unseres nationalen produktiven Kapitals dem Auslande ausgeliefert, sie hat unsere wirtschaftliche und soziale Ordnung in ihren Grundfesten erschüttert.

(Abgeordneter Hoch: Alles die Folge Eurer Politik!)

Meine Herren von der Regierung, Sie wollen heute, wo volle Klarheit und unbestrittene Klarheit über die Unmöglichkeit der Erfüllung des Londoner Ultimatums besteht, den Versuch der Erfüllung nur noch gemacht haben, um den Beweis der Unmöglichkeit der Erfüllung zu bringen. Wenn Sie wirklich sehenden Auges all das Elend und die Zerstörung auf sich genommen haben, um unsere Gegner eines Besseren zu belehren, um unsere Gegner von unserem guten Willen zu überzeugen, dann beneide ich Sie nicht um Ihren Schlaf.

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen. - Lachen und Zurufe links.)

Wenn Sie das für sich in Anspruch nehmen, dann nehmen Sie sich selbst den einzigen mildernden Umstand, der Ihnen zur Seite steht, die mangelnde Voraussicht.

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen. - Zurufe von den Kommunisten.)

Ich muß aber aus den Vorgängen der letzten Zeit die ernstliche Befürchtung herleiten, daß Sie auch durch die bisherigen Folgen Ihrer Politik noch nicht über den Weg klar geworden sind, den Sie gehen, oder daß Ihnen der Wille oder die Kraft fehlt, die Umkehr zu gewinnen. Ich kann mich mit meinen Freunden der Befürchtung nicht verschließen, daß Sie uns mit der Politik, wie sie aus den uns vorgelegten Weißbüchern hervorgeht, nur noch weiter in das Verhängnis hineinführen. Es schien ja einmal oder zweimal, als wenn Sie einen Anlauf nehmen wollten, sich aus der furchtbaren Verstrickung Ihrer Politik zu befreien. Es schien namentlich so, als die Note der Reparationskommission vom 21. März dieses Jahres hier einging, als diese Note Sie aus allen Himmeln der Hoffnung stürzte. Sie glaubten, in London, in Paris und in Cannes soviel "Atmosphäre" geschaffen zu haben, daß jetzt die Wendung zum besseren kommen müsse. Sie sahen es als einen großen Erfolg an, daß Ihnen die Londoner City und die Bank von England im Dezember vorigen Jahres, statt Ihnen den


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